Die Atmosphäre
ist so himmelgrau wie die pessimistische Wolke, die Streicher auf der Tonspur erzeugen, wenn nicht grade gesummt oder gesungen wird.
Ossiland zum Milleniumswechsel, zehn Jahre nach der Wende. Nach Aussage eines Kollegen, der im Osten aufgewachsen ist, erzeugt Katharina Marie Schubert treffend diese Stimmung im Osten, in der Sätze prominentes Gewicht erhalten, wie „Ich glaub, der Kaffee ist fertig“, „Ich fahr noch schnell zum Supermarkt“, „Geschirrspülmittel, Salz, Tabs..“, „5.99, das nehmen wir, das gleiche für die Hälfte“, „Ich will noch Gummibärchen“, „Ich seh, Du brauchst ein Bügelbrett“, „ich hab schon gebügelt“, „Du sitzt auf meinem merkwürdigen Kleid“, „Guten Morgen, ich hab Brötchen mitgebracht“, „Und ich seh ganz besonders Scheiße aus, wenn ich heule“, – ist das nun typisch Osten oder ist das nicht viel mehr typisch deutsche, gremienkompatible Drehbucharbeit?
Dem Wessi bleibt die zerfaselte Erzählweise über zerfaselte Familienverhältnisse eher rätselhaft. Gudrun (Corinna Harfouch) feiert in dem Waisenhaus, in dem sie mit einem Märchenbuch (filmrahmend, die Erzählung vom armen Müller und dem Obstbaum) aufgewachsen ist und das aktuell leer steht, ihren 60. Geburtstag.
Gudrun verlässt die Feier, weil der Bürgermeister (Jörg Schüttauf) das Gebäude für eine Mark an einen Investor verkaufen will.
Gudruns entfremdete Tochter Lara (Birte Schnöink) arbeitet in der Stadt als Garderobiere an der Oper. Sie besucht die Mutter zum Geburtstag. Mutter landet nach einem Fahrradunfall im Spital. Deshalb bleibt die Tochter und findet einen neuen Zugang zur Mutter und deren Vergangenheit. Dabei stößt sie auf ihren leiblichen Vater, einen Kunstprofessor.
Das ist einer der Film, bei denen es ratsam erscheint, sich vorher kundig zu machen darüber, wie das Familienleben in der DDR war und der Einfluss darauf durch die Wende. Filmwidmung: „Für Wilhelmine“.
Und hier der Text nach der ersten Sichtung:
Im selbst erzeugten Nebel stochern
Hier muss und will ich drauflos spekulieren, mich auf den Film und nicht auf Pressematerialien verlassen.
Die Absicht von Katharina Marie Schubert scheint mir hochinteger zu sein und auf ein Problem in der deutschen Kultur, der deutschen Filmkultur hinzuweisen: es ist die unglückliche Usurpation des Ostens durch den Westen Deutschlands nach der Wende. Alles musste nach dem Westen assimiliert werden. Dabei ging auch viel Gutes verloren. Zum Beispiel die nüchternen Qualitäten des DDR-Kinos.
Mir scheint die Absicht der Regisseurin, die auch das Drehbuch geschrieben hat, zu sein: in einem selbst hergestellten DDR-Nebel das „echte“ und „originelle“ (Ansprüche, die in einer Szene an die bildende Kunst gestellt werden) an der DDR-Filmkunst zu entdecken.
Den Nebel erzeugt der Film, indem er um drei Figuren kreist, die je ein Kapitel überschreiben und die in einem Lebenszusammenhang stehen.
Die Kapitel sind fragmentarisch, die Story wirkt oft sehr gebastelt. Es scheint ein Realismus intendiert, der lieber mal eine Figur sagen lässt, er müsse noch eine Sicherung reinschrauben, als sich auf akademischen Tiefsinn zu kaprizieren.
Inszenierung, Bildformat, Schnitt lassen die Absicht einer ungekünstelten Kunst, einer vielleicht „ehrlichen“ Kunst, wie die DDR-Filme gewiss eine Zeitlang waren, erkennen. Diese Gedanken sind mir aber erst im dritten Kapitel, in dem über Werner (Peter René Lüdicke) gekommen, erst hier vermochte der Film in mir dieses Interesse zu erwecken, dass man sich nach der Leinwand streckt.
Kapitel eins hat vielleicht am meisten Nebel gestreut, indem mit der Protagonistin Gudrun (Corinna Harfouch) ja gerade eine Position, die nicht zu den Qualitätsmerkmalen „echt und originell“ passen, vorgeführt wurde; ihre Qualitätsmerkmale passen eher zum Bereich ’subventioniertes Kino der Bundesrepublik nach 2000′.
Gudrun feiert ihren 60. Geburtstag, es geht auf den Milleniumsjahreswechsel zu. Nachdem im Film Lara Corinna Harfouch noch als schmalgesichtige Kettenraucherin in Erinnerung blieb und ich zutiefst vermutet hab, hier sei eine private Eigenschaft der Schauspielerin in den Film eingebaut, ein Verdacht, der sich schon in früheren Filmen ergeben hat, wirkt sie jetzt nicht mehr so eingefallen, dafür rundlicher und nicht einmal zündet sie sich eine Zigarette an. Suchtbefreit vielleicht. Umso mehr rauchen die anderen.
In der Mitte ist das Kapital Lara (Birte Schnönk). Die ist eine Generation jünger, die Tochter von Gudrun. Sie ist Kostümbildnerin und hat wohl deshalb Gold an den Händen, was aber weiter keine Rolle spielt und vielleicht auch eines von diesen Vernebelungsmanövern ist, um die eigentliche Absicht des Films nicht zu billig breitzutreten, das Thema ist relevant und delikat, es steht in direktem Zusammenhang mit der enormen Resonanz der AfD im Osten, meiner Meinung nach, dieses Gefühl des Ressentiments, weil man sich irgendwie überfahren vorkommt.
Einer der direktesten Hinweis auf die DDR ist die Erwähnung der Künstlerkolonie Ahrenshoop, über welche auch ein Zusammenhang zwischen den Protagonisten insinuiert wird. Und dass das Kinderheim aus der DDR am Schluss abbrennt, ist vielleicht eher als dramaturgische Verzweiflungstat zu interpretieren.
Das Künstlerdorf heißt Ahrenshoop. Vielleicht sollten sie doch vorher mal recherchieren.
Und warum dieser ironische, ständig in Anführungszeichen schreibende Stil? Für mich war es eines der besten Filme seit Langem, der in die Atmosphäre des Ostens eintauchen ließ, respektvoll mit den Charakteren umging, mit herausragender Kamera, Dialoge, die die Bilder nicht kaputt machten. Ja, sehr ungekünstelt künstlerisch und ehrlich ohne Anführungszeichen. Großartig!
Vielen Dank Kathrin Assauer,
für Ihr Feedback. Ahrenshoop habe ich korrigiert.
Das mit den Gänsefüßchen sind, so weit ich es übersehen kann, generell Zitate aus dem Film; und wenn die ironisierend wirken sollten, so dürfte das doch eher am Drehbuch liegen.