In die Liebe gekentert
Alexis (Félix Lefebvre) ist 16, lebt mit seinen Eltern in einem Küstenort in der Normandie. Sommerferien. Er will mit seinem besten Freund segeln gehen. Dieser lässt ihn wegen einer neuen Freundin stehen. Alexis segelt allein mit seinem Boot ‚tape-cul‘ hinaus.
Ein Unwetter zieht herauf. Alexis kentert, sein Boot schwimmt umgedreht auf dem Meer. David (Benjamin Voisin) ist mit seiner Calypso auch allein auf dem Meer. Er fischt Alexis aus dem Wasser, bringt ihn an Land, trocknet ihn, bringt ihn gleich auf das schlossähnliche Anwesen seiner Eltern. Mutter (Valeria Bruni Tedeschi) ist ganz glücklich. Vater ist vor einem Jahr gestorben. Mutter führt den Laden mit Fischereibedarf weiter.
Bis zu diesem Informationsstand weiß der Zuschauer bereits, dass Alexis in wenigen Tagen David umgebracht haben wird und vor Gericht erscheinen muss. Da hat er die Liebe seines Lebens hinter sich und hat, beraten vom Lehrer Lefèvre (Melvil Poupaud), angefangen, seine Geschichte aufzuschreiben. Diese dürfte der Roman von Aidan Chambers geworden sein, den Francois Ozon zum Drehbuch für sein neuestes Meisterwerk umgearbeitet hat.
Präzise wie ein Pathologe seziert Ozon diese ungleiche Liebe. David ist 18, strahlt Erotik pur aus, schaut unverschämt direkt anmacherisch aus seinen Augen, mustert sein Gegenüber nach den erotischen Qualitäten.
Alexis hat Davids Sexhunger wenig Widerstand entgegenzusetzen; seine Liebessehnsucht ist leicht abrufbar; er wird bald die sensationellste Nacht seines Lebens erleben – und den darauf folgenden Absturz, wenn er realisiert, dass David die Beziehung nicht so exklusiv sieht, wie er selber, dass David schnell dem ‚Ennui‘ erliegt; das wird schon klar, kaum sind sie an Land nach dem Schiffbruch und David sich gleichzeitig noch um einen betrunkenen jungen Mann kümmert.
Interessant ist vielleicht der Vergleich zwischen diesem doch knapp und sehr rational skizzierten Film von Ozon mit den Filmen von Xavier Dolan (zuletzt und demnächst im Kino: Matthias und Maxime): dieser schildert mit Wonne und ausladend die Atmosphäre junger Schwuler, deren Lebensgenuss, währen Ozon ungefiltert beobachtet, speziell die vielseitige Rolle von Alexis präzise inszeniert mit all ihren Höhen und Tiefen und dessen frühen Beschäftigung mit dem Tod.
Wie schon in seinem Vorgängerfilm Gelobt sei Gott scheint Ozon die schnelle, verblüffend präzise Skizze eines Menschen, seines Schicksals zu faszinieren, wobei ihm Ausstattung, Kostüme, Locations lange nicht so wichtig sind wie frappant auffällig beispielsweise beim Kanadier Bernard Cronenberg in Possessor, eben erst ins Kino gekommen.
Ozon beweist mit seinen beiden letzten Filmen, ein wie exzellenter Beobachter der Menschen und ihrer Situationen und Probleme er ist; er liefert künstlerisch herausragende Befunde; dagegen wirkt Xavier Dolan in seiner ausschweifenden, wenn auch schnellen Schilderung mehr wie ein Gourmet des Kinos.
Ozon zeigt, dass er auch diese Seite der Liebe filmisch beherrscht als Seelen- und Gefühlsanalytiker, wobei hier thematisch noch ein Hauch Morbidität hineinspielt mit Alexis‘ intimem Verhältnis zum Tod, wenn er in der luxuriösen Badewanne von Madame Gorman, also der Mutter von David, liegt, sinniert er, er habe Badewannen schon immer für Särge gehalten, hier aber komme sie ihm vor wie ein Katafalk. Fast scheint es angebracht, von der Folgerichtigkeit eines Todes zu sprechen, daraufhin inszeniert Ozon.