Lektionen in Demokratie
So dröge, wie sich diese reviewtitelnde Inhalts-Essenz anhört, ist der Film von Gesa Hollerbach keineswegs. Ganz im Gegenteil. Dank einer exzellenten Protagonisten-Auswahl und dank gut bedachter, angenehmer Kinobilder, die ohne TV-Asthmatik montiert sind, kommen die drei Geschichten, die die Filmemacherin ineinander verschränkt, spannend, unterhaltsam, teils sogar skurril rüber und transportieren ihre Message bestens verdaulich.
Wobei das tiefer liegende Demokratie-Thema die zwei Geschichten aus Deutschland und mit Frauen als Protagonistinnen betrifft, während die Geschichte aus Österreich als flankierendes Moment zum offiziellen Filmtitel zu sehen ist: der auf Probleme des Landes, des Bodens, des Bodenpreises, der Entvölkerung und der Lichtverschmutzung referiert.
Während in München ein Investor mittels Verdichtung von Stadt und Bevölkerung mit zwei gigantischen Hochhausklötzen neben der Paketposthalle den Uraltkapitalismus Urständ feiern lassen will (nicht in diesem Film!), kämpft Bürgermeisterin Karin Berndt gegen die Entvölkerung in Seifhennersdorf in Sachsen mit Mut und klarem Menschenverstand, kämpft gegen die widerrechtliche Schließung der Mittelschule.
Sie muss sich Häme, Spott, Verachtung gefallen lassen, weil sie nicht locker lässt. Sie ist bereit, für den Erhalt der Schule bis vor das Bundesverfassungsgericht zu gehen. Gleichzeitig muss sie sich der Wiederwahl stellen.
In Leutkirch lebt die Bäuerin Maria Heubuch und wird mit dem neukapitalistischen Thema konfrontiert, dass immer mehr Investoren Land in ihr Portofolio aufnehmen, weil sie das viele Geld irgendwo anhaften lassen wollen. Das führt zu schwindelerregenden Preissteigerungen, die es jungen Bauern unmöglich macht, einen eigenen Hof zu kaufen und rentabel zu betreiben.
Diese Sachlage führte dazu, dass die Bäuerin für die Grünen ins Europaparlament einzieht und dort mit einer Kollegin versucht, das Thema aufs Tapet zu bringe. Dazu muss sie einen Initiativbericht ins Parlament einbringen und wenn der angenommen wird, dann muss sich die EU-Kommission damit beschäftigen.
Die Filmemacherin war bei der Abstimmung dabei, war dabei, wie eine Mitarbeiterin der Bäuerin aus dem Allgäu einen Verfahrenstrick erklärt, dass sie jedes Mal, wenn ein Punkt ihres Antrages vom Plenumspräsidenten als abgelehnt ad acta gelegt wird, „check“ rufen soll. Dann muss nochmal abgestimmt werden. Das Verfahren schenkte der Filmemacherin aufregende Szenen mit überraschenden Resultaten.
Zu den Verfahren im Europaparlament gibt es bereits Filme Europa – Ein Kontinent als Beute, Democracy – Im Rausch der Daten. In diesem Zusammenhang kommt auch eine Demo gegen Monsanto in Brüssel vor. Als Side-Kick dazu wäre der Spielfilm Percy mit Christopher Walken zu empfehlen, der ebenfalls heute an den Kinostart geht.
Die zwei bemerkenswerten Protagonistinnen verstehen unter Demokratie, sich zu engagieren für die sie betreffenden Probleme. Es sind garantiert keine Karrierpolitikerinnen; es täte auch der Bundespolitik gut, wenn es mehr von dieser Sort gäbe, die absolut vertrauenswürdig und fern jeglicher Überheblichkeit sind, sozusagen an der Scholle geerdet. Bei Langzeitdokus ist ein Problem, dass der Dokumarist nicht weiß, wie die Geschichten ausgehen. Hier lächelt der Tüchtigen (also der Filmemacherin) das Glück.
In nicht allzu weiter Entfernung von Wien liegt Großmugl in Niederösterreich mit einem Grabhügel, einem Tumulus, aus der Hallstattzeit. Hier haben Entvölkerung und geographische Lage zu einer Sonderheit geführt: die Lichtverschmutzung ist so wenig wie weit herum nicht, was bedeutet, dass es ein idealer Ort für Sternengucker ist.
Die beiden Protagonisten Charly Schillinger (der Wirt) und der Sternengucker Günther Wuchterl haben eine verrückte Idee: sie wollen ihren Sternenhimmel zum Weltkulturerbe erklären lassen. Sie sind beide beredt und können mit ihrer Begeisterungsfähigkeit anstecken und wenn die Filmemacherin den beleibten Schillinger ein Stück Weges gehen lässt vor Dorfkulisse, so wirkt das so skurril, als hätte sich Hitchock nach Großmugl verirrt.
Ein Fazit des Zuschauers: Demokratie ist weder ein Selbstbedienungsladen noch ein Restaurant mit Bedienung. In der Demokratie muss man sich selber einbringen.