Die Welt wird eine andere sein (Berlinale Summer Special)

Alles für den Mann.

Das deutsche Kino und die Weltpolitik. 

Hat der Film Curveball wie mit einem Blitzlicht Dinge erhellt, die bislang im Dunkeln lagen und damit punktgenau auf eine der Figuren gezielt, die aus Feigheit den Irakkrieg nur für die Deutschen, nicht aber für die Amis verhindert hatten, den amtierenden Bundespräsidenten (der aus seiner Erkenntnis heraus mit seinem Politkumpan Schröder durch den Verzicht Deutschlands auf Teilnahme am Irakkrieg in Deutschland die nächste Bundestagswahl gewinnen konnte), so sucht Anne Zohra Berrached, die mit Stefanie Misrahi auch das Drehbuch geschrieben hat, die deutsche Verquickung mit dem Afghanistankrieg aus der Sicht einer Frau, die alles mit sich machen lässt, zu erzählen. Hier pirscht sich das deutsche Kino gewissermaßen über die Hintertreppe an die Weltpolitik heran. 

Es ist eine Annäherung an einen der Haupttäter von 9/11. Das wird aber erst am Schluss klar, darf aber sicher nicht als journalistisches Geheimnis oder als Spoiler begriffen werden; es ist zu erwarten, dass das in die Synopsen und Ankündigungen über den Film Eingang finden wird, ist es doch ein besonderes Verkaufsargument, denn sonst müsste die Fazit-Zeile lauten: über eine Frau, die alles mit sich machen lässt, um sich ihren Mann (den Schwanz), zu bewahren. Moderner Heimchen-Typ, auch wenn sie studiert. 

Berrached und ihr Team gehen ihre Geschichte filmisch leger an im Studentenmilieu in Hamburg. Das müsste nach der Schlussinformation und da der Film als Zwischenkapitel die Jahre der Beziehung des zentralen Liebespaares zählt, in etwa 1995 sein. 

So unverkrampft ist das deutsche Kino selten bei Studentenfeten, die Kamera tut gerade so, als sei sie selbst aktiver Teilnehmer mit all der Unruhe und Neugier und vielleicht auch Getriebenheit der studentischen Jugend. 

Hier lernen sich Asli (Canan Kir) und Saeed (Roger Azar) kennen und bald schon lieben; sie scheinen keine Hemmungen vor Sex zu haben und treiben es selbstverständlich. 

Asli stammt aus einer türkischen Einwandererfamilie, die so modern ist, dass die Frauen zuhause kein Kopftuch tragen, also nicht wie die sonst üblichen deutschen TV-Vorurteilstürken. Asli studiert Medizin. Der Film vergnügt sich dabei, wie die Studenten an künstlichen Körpern die Leichensektion üben. 

Von Saeed werden wir erfahren, dass er aus einer libanesischen High-Society-Familie stammt, modern moderat muslimischer Hintergrund, und dass er auf Wunsch der Eltern in Hamburg Zahnmedizin studieren soll, er aber liebe Pilot werden möchte (das wird man im Nachhinein vielleicht erstaunlich finden, dass er das damals schon wollte). 

Hier lohnt sich eine Zwischenbemerkung zur Besetzung der beiden Protagonisten: Saeed wirkt anfangs mit seinen langen Haaren und dem Bartbewuchs im Gesicht und einer gewissen Leichtigkeit und Oberflächichkeit wie ein höchst labiler Mensch. Manchmal kann es sich auszahlen, einen Film ohne jede Vorinformation anzuschauen. Bei ihm habe ich mich spontan interessiert, was aus dem wohl werden würde, und dass sich etwas tun würde, das war spürbar, weil für eine Romanze mit Heimchen am Herd schien er mir nicht geschaffen. 

Während seine spätere Frau Asli schon früh die Heimchen-am-Herd-Attitüde und die Wehrlosigkeit einer verliebten Frau an den Tag legt, auch das kommt überzeugend. 

Die Familie von Asli ist so stockkonservativ, dass Asli ihre Freundschaft zu Saeed der Mutter gegenüber verheimlicht. 

Die Entwicklung der Geschichte wird in einer Art Klatschjournalismus erzählt, so vielleicht wie die Bildzeitung, die sich auf alles Schlagzeilenhafte stürzt, sich nicht aber mit den Gelenken von Geschichten beschäftigt, wodurch auch keinerlei Verständnis zu schaffen ist; allenfalls Urteile und Vorurteile zementiert werden.

Für den Zuschauer wirkt es manchmal so, als sei die Story eine Molluske, ein Körper ohne Skelett, was ihm Nachfragebedarf beschert. Kapitelüberschriften könnten sein: Asli verschweigt ihre Liebe zu Saeed ihrer Mutter, Saeed wird Islamist, Saeed zwingt Asli, ihn heimlich muslimisch zu heiraten, Saeed schwört seine Frau auf absoluten Gehorsam ein, Saeed schickt Asli zu seiner Familie nach Beiruth und verschwindet für einige Zeit mit unbekanntem Aufenthalt, Asli hält sich an ihr Schweigeversprechen, Asli scheint auf den Strich zu gehen, Saeed kommt verändert zurück, Saeed will in den USA Pilot werden, Asli darf Saeed in den USA besuchen. 

Das Warum für diese Handlungen, die möglichen inneren Konflikte, die zu solchen Entscheidungen führen, die werden nicht gezeigt. Das bedeutet Verzicht auf ein wesentliches Spannungselement. Dadurch wird der Zuschauer in die Position des Boulevardblattlesers versetzt, dem Zusammenhänge und bewusste menschliche Entscheidungen vorenthalten werden, der Film ist dann immer gerade verreist, wenn man so will, wenn ein Knackpunkt ansteht, der Film kommt für den neugierigen Zuschauer sozusagen immer zur Unzeit auf Zwischenlandung in der Geschichte, er schildert die Umstände, wie sie nach Entscheidungen und Veränderungen sind. Ein krasser Gegensatz zu Bresson beispielsweise, den ich so in Erinnerung habe, dass gerne eine Tür aufgeht, eine Figur in einen Raum eintritt, dann wird etwas besprochen, verhandelt, entschieden, geklärt und dann verlässt jemand den Raum; die Türe als Scharnier für eine Geschichte. Was dessen Filme so spannend macht. Dieser Film hier verpasst sozusagen das Bresson-Moment (man könnte dafür viele andere renommierte Filmemacher anführen). 

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