Kids Run

Sozialromantik

oder das bürgerliche Bedürnis, sich aufzuheizen an der Morbidikonographie der deutschen Unterschicht. Die gibt es offensichtlich, wenn man Barabara Ott, der Autorin und Regisseurin dieses Filmes glauben darf, so wie sie diese uns präsentiert. 

Es ist weniger Story als mehr Impression eines Mannes, Andi Javanovich (Jannis Niewöhner), der im Leben nicht zurechtkommt, der mehr Kinder gezeugt hat, als er ernähren kann. Es wirkt alles erfunden, konstruiert. Er jobbt ab und an auf dem Arbeiterstrich oder versucht sich bei Boxkämpfen, bei denen es Geld zu gewinnen gibt. 

Also kein typischer Film über einen Boxer, der alle Kräfte darin investiert, über das Boxen nach oben zu kommen. So existenziell ist das hier nicht bei Barbara Ott. Hier geht es nur um die Begleichung von Schulden, ein paar Tausend Euro, die Andi einer der Mütter seiner Kinder schuldet. 

Zum Konstrukt gehört, dass nicht so ganz klar wird, wieso er das Geld braucht, ach, vielleicht doch, Mietrückstände, und ebensowenig klar wird, warum die Frau das Geld, kaum, dass sie es ihm geborgt hat, auch schon wieder zurückfordert. Mit mehr oder weniger Nachdruck. 

Jannis Niewöhner ist ein im deutschen Subventionskino zur Zeit gehypter Jungstar und er will beweisen, was er vielleicht gar nicht kann oder nicht tun sollte. Er hat einen prima vorzeigbaren Oberkörper, schlank und muskulös, aber eben nicht proletarisch, also aufgrund körperlicher Arbeit, sondern offenbar als Resultat regelmäßigen Gym-Besuches. Er spricht sogar ein relativ kompliziertes Deutsch: „Würde Deinen Typen sicher freuen, zu wissen, dass wir hier zusammen rumhängen“. Mithin wirkt sein Bildungsbackground unklar. 

Niewöhner legt seine Prolorolle vor allem mit Lautstärke an, ab und an gegen irgendwas schlagen und primär mit einem schuldbewussten Bedröppelblick schauen. Visuell nimmt man ihm die Rolle ab. Substantiell habe ich mehr Probleme, da kommt mir vieles nachgemacht vor und ist auch bei manchen Dialogen ziemlich schwierig. Was das Problem dieses Menschen ist, warum er nicht klar kommt im Leben, das bleibt im Dunkeln. Insofern auch seine Motivation. 

Klar, Andi liebt seine Kinder. Der Cast ist allerliebst, aber mehr nach der Sozialromantik ausgewählt als nach einer glaubwürdigen Familie; wobei das wohl auch schwierig ist, oft sind Fernsehkinder recht bürgerliche Kinder und da reicht es nicht, sie in die entsprechenden Klamotten zu stecken oder sie mal traurig schauen zu lassen. Die haben intensivere Konflikte in solchen Verhältnissen, wie sie hier behauptet werden. 

Milieu-Atmosphäre will auch die wilde, zu oft detailversessene Kamera erwecken. Und wenn ein Boxkampf mit wenigen Zuschauern, die noch relativ passiv reagieren, mit dem Sound eines Boxkampfes aus einem Megastadion unterlegt wird, so entsteht auf der Leinwand sozusagen ein Zwiespalt, eine groteske Situation, unfreiwillig komisch.

Man kann hier das ehrliche Bemühen um die Darstellung eines Milieus, das offenbar der Regisseurin wenig vertraut ist, beobachten und als solches auch ehrenwert nennen.

Der Mangel an Authentizität allerdings dürfte der Grund sein, warum sich voraussichtlich die Zuschauermassen mehr als nur den Corona-Abstand teilen werden im Kino. 

Aus den Dialogen:

Guck mal, das ist dein Kind.

Nimm dein Kind und kümmer dich. 

Ich kam in Teufels Küche.

Hast du sie eigentlich noch alle?

Bist du bescheuert?

Andi, ich muss auch schauen, wo ich bleibe. 

Würde deinen Typen sicher freuen, zu wissen, dass wir hier zusammen rumhängen. 

(vernünftelnde Dialoge, die einer vernünftelnden Schicht zuzuordnen wären).

Mir fehlt bei Niewöhr auch der Vaterstolz, der den Kindern den tollen Vater vorspielen will. 

Aber: auf einen am Boden liegenden Boxer soll man nicht treten. 

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