Downstream Kinshasa – En Route pour le Milliard (DOK.fest)

Kongoflussfahrt

Ein Road-, besser: ein Rivermovie. Eine Reisegesellschaft auf einer einfachen Fähre ist stromabwärts unterwegs. Gegen Regen muss man sich mit improvisierten Planen schützen. Es kann stark schütten. 

Die Passagiere sitzen dicht an dicht, haben ihre eigenen Kochgelegenheiten, ihren eigenen Proviant dabei. Die Reise dient nicht dem Abenteuer. So abenteuerlich die Bilder anmuten mögen. Die Reisegesellschaft ist eine Theatergruppe. Eine Selbsthilfegruppe. 

Es sind Menschen mit fehlenden Beinen, fehlenden Armen. Die Folgen eines 6-Tage-Krieges in Kisangani vor 20 Jahren. Immerhin haben sie überlebt, liegen nicht in einem der Massengräber. 

Das Ziel der Reise ist Kinshasa, ist Gerechtigkeit, ist Anerkennung und Schadenersatz. Sie haben ein Theaterstück, das sich auf unseren Bühnen nicht schämen müsste, eingeübt, ein Stück, was aus tiefer Seele kommt, ein Stück über die Entwertung verstümmelter Menschen. Sie wollen auf ihr vergessenes Schicksal aufmerksam machen. Sie haben es so schon schwer. Nicht nur wegen mangelhafter Prothesen. Sie erzählen, wie sie in den eigenen Familien schikaniert und diskriminiert werden für ihr Behinderung. Auf dem Schiff üben sie chorische Szenen, Musiknummern. 

Der Film von Dieudo Hamadi legt sein Augenmerk ganz auf die Gruppe, auf die Menschen, er vergeudet keine Energie damit, sich in der kongolesischen Flusslandschaft zu ergehen. Er ist mitten drin in dem dichten Gewühl auf dem Schiff, das ja auch voll ist mit Reisegepäck und mehr als überfüllt wirkt. Er ist dabei mit dem Auge des Einheimischen und nicht des afrikasehnsüchtigen Europäers. Er sieht sich in der Position des Frontreporters. 

Heftiger Wind kann zu einem aufregenden Tanz der überall schützend aufgespannten Planen führen. Und drunter drängeln sich die Menschen, versuchen die Teile vorm Davonfliegen abzuhalten, richtiggehend dramatisch kann das werden. 

Hauptfigur und Kopf der Aktion scheint „Mama“ zu seine, eine Frau, die mit zwei Beinprothesen sich durchs Leben kämpft. Alle nennen sie nur Mama. Aber irgendwie scheint es auch, dass alle Frauen Mama genannt werden.

Die Forderung der Gruppe beruht auf Versprechen, die ihnen Politiker gegeben haben schon vor 20 Jahren und die nie erfüllt wurden. Denn In Kisangani haben damals Armeen aus Uganda und Ruanda, unterstützt von kongolesischen Politikern gekämpft. Der Zeitpunkt der Reise wurde von der Gruppe so gewählt, dass er mitten in den kongolesischen Wahlkampf fällt; denn es gibt Kandidaten, die ihre Hände nicht in Unschuld waschen. 

Der Film ist eine beachtliche Mischung aus hochdramatisch und nachdenklich-reflexiv. Und es gibt Szenen, da ist man froh, dass die Doku-Kamera sichtbar dabei ist, weil sie sonst eskaliert wären. Insofern ist der Film selbst ein Mittel, auf die Situation dieser Menschen, die mit ihren Verstümmelungen allein gelassen wurden, aufmerksam zu machen.

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