Charlatan

Nonkonformismus und Urinanalyse. 

Wenn wir uns in der Architektur befinden würden, könnte man diesen Film von Agnieszka Holland (Die Spur) nach dem Drehbuch von Marek Epstein neoklassizistisch nennen, so streng sie die Geschichte des Scharlatanes, geprüften Kräuterkenners und Urinanalytikers Jan Mikolásek erzählt, in klassisch klarer Art, meisterlich und so zwingend, dass die fast zwei Stunden längst vorbei sind, bevor man auch nur einmal auf die Uhr schauen möchte. 

Die Geschichte fängt an in den 50er Jahren, der Zeit des Kommunismus in Tschechien. Der Präsident ist gerade gestorben. Menschen stehen Schlange mit Uringläsern vor der Praxis des Naturheilers. Kleine Szenen machen klar, dass die Gläser sauber sein müssen. Es ist die Spezialität von Jan Mikolásek (Ivan Trojan), aus dem Urin die Krankheiten der Menschen abzulesen. Er braucht dazu nur die Zusatzinfo von Geschlecht und Alter des Urinspenders. Für seine Untersuchungen nimmt er kein Geld. Er verschreibt Kräuter, die müssen die Leute bezahlen. 

Aber es wird auch deutlich, dass Mikolásek ein hilfsbereiter Mensch ist, wie er einer Mutter den Aufenthalt am Meer für sie und ihr Kind spendet. Er behandelt sogar das Staatsoberhaupt, das dann allerdings stirbt. Epstein und Holland legen wenig Wert auf Details der politischen Wirkung dieses Todes. Ihnen ist wichtig zu zeigen, wie ein so unkonventioneller Heiler dem kommunistischen System ein Dorn im Auge ist und mit wachsendem Erfolg immer mehr wird. 

In Rückblenden gibt es Einblicke in die Geschichte, die Herleitung von Mikoláseks Leben. Als Sohn eines Gärtners ist ihm die Pflanzenwelt von früh auf vertraut. Er fühlt sich magisch zu einer Heilerin hingezogen, der Mühlbacherová (Jaroslava Pokorná), die ihn, nach anfänglicher Skepsis, in die Geheimnisse ihrer Kunst einführt. Sie überzeugt, dass er bei einem Patienten den baldigen Todestag voraussagen kann. 

Während der Besatzung durch die Nazis praktiziert Mikolásek bereits. Er hat einen Assistenten, Frantisek Palko (Juraj Loj). Beide Männer sind verheiratet, aber sie fühlen sich zueinander hingezogen. Holland erzählt diese unkonventionelle Liebesgeschichte modern in einem gewissen Gegensatz zum klassisch-konservativen Erzählstil und selbstverständlich, so selbstverständlich wie die sich verstecken mussten, da ja Homosexualität verboten war. Auch diese Beziehung, ob nur gespürt und als Gerücht in Umlauf, ist den Kommunisten ein Dorn im Auge. 

Das Regime versucht, den Heiler zu diskreditieren. Und da das nicht reicht, werden ihm Fehldiagnosen und tödliche Medikamente, die er den Fernpatienten geschickt habe, untergeschoben. Es kommt zur Verhaftung, zum Prozess, vor dem Urteil endet der Film. 

Gegen das Gerichsverfahren im Kommunismus mutet der Umgang der Nazis mit Mikolásek direkt freundlich an. Die haben immerhin seine urinanalytischen Fähigkeiten getestet und sich überzeugen lassen. Wobei der junge Mikolásek (Josef Trojan mit einer stupenden Ähnlichkeit zum älteren Mikolásek; der Schauspieler heißt ebenfalls Trojan und dürfte wohl der leibliche Vater sein) nicht gerade ein Held gewesen ist im Krieg. Dafür büßt er aber auch ein Leben lang mit den Folgen einer Schusswunde. 

Die Mühlbacherová hat Mikolásek zum Glauben gebracht. Das hat er sich zu Herzen genommen, mehrfach betet er zum Gekreuzigten auf seinen unbekleideten, kriegssverletzten Knien auf einem Haufen eckiger Pflastersteine. Von seiner Meisterin hat er den Lehrsatz übernommen, dass Glaube die halbe Heilung sei. 

Ein Film, der dringend den Kinoraum braucht!

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