Ehrlichkeit und Talk.
Sie fordert von ihm Ehrlichkeit, er tut vieles von ihr als Talk ab. Es dürfte sich dabei um Grundparameter handeln, an denen sich zeigt, ob eine Ehe funktioniert oder nicht.
Oder die Frage, wie viel Ehrlichkeit in einer Beziehung möglich ist oder ob Talk kitten kann.
Der Titel referiert gewiss nicht zufällig auf Ingmar Bergmans „Szenen einer Ehe“. Hier filettiert der Schwede eine Ehe und andere Beziehungen als Regisseur und Autor, der außen vorbleibt.
Katrin Schlösser geht mit ihrem Film einen Schritt weiter, sie versucht ihrer eigenen Ehe mit Lukas Lessing, so offen wie möglich auf den Zahn zu fühlen. Wobei es sicher ein Glücksfall ist, dass ihr Ehemann ein Raisonnierer ist, absolut kein Poser, ein Intellektueller, der nicht nur die Welt, sondern auch sich und sein Leben immer wieder in Frage stellt, bei dem Text faktisch gleich Literaturproduktion ist. Er war bereit, dieses Selbstexperiment mitzumachen.
Und womöglich ist er offener, als ihr lieb ist; das wird spürbar, wenn er vorschlägt, neue Sexualpraktiken auszuprobieren, mit der Begründung, dass sich Rituale eingeschlichen haben, und dass immer sie sich den Samen holt.
Was die Formblatt-Informationen über die beiden Protagonisten betrifft, ist der Film ein Stück Rätsel; immer wieder werden einzelne Informationen eingestreut, dass sie eine Wohnung in Berlin haben, ein Landhaus im Burgenland, einen Hund, dass Bücher eine große Rolle spielen, dass er ein Textarbeiter ist.
Wundervoll die Szene, wie er im Bett liegt mit Lähmungserscheinungen am Bein, weil seine Frau für ihn Lektorin gespielt hat; das kann man psychosomatisch nennen, so wach ist sein Bewusstsein.
Der Film ist auch ein Dokument über den Lifestyle eines Paar in einer arrivierten, intellektuell-künstlerischen Elite. Sie ist Professorin an einer Filmschule und für ihr Selbstbewusstsein ist es von Belang, dass sie wirtschaftlich nicht von ihm abhängig ist.
Ihre gemeinsame Liebesgeschichte ist komplex: es war eine Zeitlang eine doppelte Seitensprunggeschichte, die das Problem Abtreibung schmerzlich in den Film bringt. Dann war zehn Jahre Pause und wie sie sich wieder begegnet sind, das schildert Frau Schlösser in der Eingangssequenz, das ist wirklich verrückt, wie magnetisch, wie sie einfach so aus Intuition heraus auf einem üblichen Weg ganz gegen die Gewohnheit zwei Abweichungen gemacht habe und genau da wieder auf ihn getroffen sei und er ihr gleich mit einem Heiratsantrag reagiert hat. Mehr Magnetismus dürfte kaum gehen.
Ein wichtiges Thema und gleichzeitig Test in der Beziehung wird das Thema Pflege der Mütter; das führt soweit, dass beide ihre mobilitätseingeschränkten Mütter in ihr Landhaus aufnehmen. Vorher allerdings gibt es eine ernsthafte Beziehungsdiskussion, die grundsätzliche Probleme einer Ehe auf ein allgemeines Niveau hebt; so dass man sich als Zuschauer fragt, geht Selbstverwirklichung eines Menschen überhaupt ohne andere zu beschädigen.
Dieses Bewusstsein ist einer der wichtigen Blicke, die der Film auf das Beziehungsthema wirft. Immerhin, sie lernen den Paartanz und der strebt die vollendete Harmonie zwischen zwei Menschen an.
Lukas würde bei allen Auseinandersetzungen nicht daran denken, sich von ihr trennen zu wollen, auch wenn ihm ihre Art zu kochen stets fremd bleiben wird, obwohl es ihm schmeckt. Während er ihren Wunsch, wenigstens am Familientisch (mit Müttern und Schwiegermüttern) den kleinen Weltfrieden herzustellen, als Talk empfindet. Wobei auch bei dieser Selbstdoku zu fragen wäre, wie weit das Bewusstsein des Dokumentiertens und Dokumentiertwerdens sich verändernd auf die Beziehung auswirkt, ob sie sich auf das Experiment der Pflege der Mütter fernab von ihre beruflichen Wirkungskreis Berlin auch eingelassen hätte, wenn das nicht dokumentiert worden wäre?