Me Too in der Naturwissenschaft
sieht etwas anders aus als im Show-Business, es ist subtiler, direkt sexuelle Übergriffe sind eher selten, aber sie sind die Spitze eines enormen Berges der Diskriminierung der Frau im Bereich der Naturwissenschaften.
Der Film kommt aus den USA und Canada. Dort heißen die Naturwissenschaften STEM (Science, Technology, Engineering, Math). Die Diskrimierung aufgrund des Geschlechtes beginnt in dieser immer noch von Männern dominierten Domäne mit schlichtem Nichtbeachten, Ignorieren und geht über abfällige Bemerkungen bis hin zu beleidigenden Frauenbegriffen, Behandlung, als ob sie Müll wären, unzüchtige E-Mails oder prinzipiell die Zuteilung von weniger Laborraum oder gar der naiven Frage, ob sie zur Hausmeisterei gehöre, bis zum Madigmachen einer wissenschaftlichen Karriere oder dem Fehlen von Kinderbetreuung an den Unis.
Die strukturelle und chronische Diskriminierung der Frau zeigte sich in einem Bewerbungsexperiment: eine Frau bewirbt sich mit den exakt gleichen Qualifikationen einmal als Frau, einmal als Mann. Die Reaktionen sind ernüchternd in der Ungleichbewertung und der Bevorzugung der männlichen Variante.
Ian Cheney und Sharon Shattuck, die mit Human Nature schon komplizierte Wissenschaft leinwandreif verständlich und bestens genießbar zubereitet haben, porträtieren mit drei hervorragenden Protagonistinnen drei Forscherinnen aus dem amerikanischen Wissenschaftsbetrieb, die sich dieser Diskriminierung ausgesetzt gesehen haben und sie sich nicht haben bieten lassen, die dagegen gekämpft hatten. Wobei eine davon heute meint, wie viel Zeit sie durch diese unnötigen Konflikte verloren habe, die sie lieber für die Forschung eingesetzt hätte.
Am skandalösesten ist der Fall des Antarktisforschers, nach dem sogar ein Gletscher benannt war, der bei den Expeditionen ins Ewige Eis, wo die Forscher auf engem Raum monatelang zusammenleben, eine junge Mitarbeiterin psychisch, mit abschätzigen Bemerkungen und mit Stalken, wenn sie zur Toilette musste, so drangsalisiert hat, dass sie bis heute Folgeschäden davonträgt.
Mitte der Neunziger Jahre hatte eine junge Naturwissenschaftlerin am MIT in Boston die diskriminierenden Erfahrungen dazu benutzt, mit anderen Frauen einen ausführlichen Report anzufertigen und die Universitätsleitung damit zu konfrontieren, durchaus mit Erfolg, aber unendlich zeitraubend.
Bei einer Forscherin und Wissenschaftsmoderatorin kommt hinzu, dass sie Afroamerikanerin ist, was zu zusätzlichen Diskriminierungen führt.
Cheney und Shattuck haben wieder einen spannende Wissenschaftsfilm montiert aus den Interviews mit den Forscherinnen, die die Position der Gedemütigten längst hinter sich gelassen haben und selbstsicher und hochintelligent das Thema verhandeln können, auch ohne jede Schuldzuweisung. Dazwischen schneiden die Filmemacher immer wieder für die Kinoleinwand bestens geeignete Bilder aus Forschungslabors, aus der Antarktis, von Feldforschung an der Küste Kaliforniens, aus diversen Uni-Campus und -Labors. Dazwischen eingefügt sind jede Menge Tabellen, die Aufschluss geben über die Verteilung der Geschlechter bei den unterschiedlichsten Positionen an den Universitäten.
Zur Sprache kommt das Problem, dass ein Aufbegehren gegen eine geschlechtsbedingte Herabsetzung einer Person, eines Studenten meist nicht ratsam sei, weil der Prof in der stärkeren Position ist und über die weitere Karriere seiner Schützlinge entscheidet, ob sie Forschungsaufträge erhalten, ob ihre Arbeiten gut bewertet werden, etc. hier ist eine Parallele zum Weinstein-Syndrom zu sehen.
Aber auch: in den Naturwissenschaften läuft Me Too nicht so spektakulär ab wie im Filmbusiness, aber subtiler, so dass sogar ein Forscher, der in der Arktis dabei war und der nicht zu dem Missachtern und Diskriminierern gehört, das überhaupt nicht mitgekriegt haben will und heute selbst fassungslos ist darüber. Deshalb spricht eine Forscherin auch von „unsichtbarer Diskriminierung“, jemanden als minderwertig behandeln (können Wissenschafts-Asse das echt nötig haben, fragt man sich). Die Frage bleibt, warum tun sich die Menschen mit dem Geschlechterunterschied so schwer? Ist vielleicht Geschlechtlichkeit an sich schon ein Defizit und somit Grund für ein Minderwertigkeitsgefühl, das kompensiert werden will – und offenbar stärker bei den Männern?
Was mir nicht ganz behagt: dieser berühmte Forscher, der auch verdammt gut aussieht, gewinnend und der doch die Frauen so mies behandelt und dann auch verurteilt worden ist; er hat hier im Film keinerlei Chance auf Verteidigung. Es wäre zumindest auch ein Biopic wert, zu erfahren, woher kommt es, dass ein gut aussehender, beruflich erfolgreicher Mann, sich so mies zu Frauen verhält. Das muss ja einen Grund haben. Ist er vielleicht als Kind von Frauen schlecht behandelt worden?
Und es ist natürlich keineswegs so, dass Männer nur Frauen diskriminieren, sie tun es auch unter ihresgleichen, um unliebsame Konkurrenten nicht hochkommen zu lassen beispielsweise.