Irreversibel (DVD)

Egal wie Gaspard Noe seinen Film erzählt, ob von hinten nach vorn wie hier anno 2002 oder straight wie 2020 in, IRREVERSIBLE STRAIGHT CUT, der Zuschauer baut sich so oder so sein Bild zusammen. 

Es gibt einen Test, bei welchem die Buchstabenfolgen in einem Wort verändert werden und trotzdem kommt der geübte Leser mit großer Selbstverständlicheit auf den genormten Content. So könnte es bei Noé sein, ein Input linguistischen Kinos gewissermaßen. Noé spielt mit der Schreibweise der Wörter schon im Titel, dreht Buchstaben und Buchstabenfolgen um, verfremdet das Optische, was am Inhalt nichts ändert. 

Und so ist es auch mit diesem Film, es dürfte sogar keine Rolle spielen, welchen von beiden man zuerst schaut, es ist schließlich das gleiche Footage, lange durchgespielte Szenen aber in der hier vorliegenden Originalfassung von hinten her erzählt. 

Wobei auch die neue „straight“-Fassung einen nicht daran hindert, den Film nicht primär als eine quasireale dramatische Begebenheit zu verstehen wie eine Geschichte von A nach B, sondern viel mehr ihn als eine Entblätterung, Aufblätterung extremer Möglichkeiten in der Beziehung zwischen den Geschlechtern zu sehen.

Diese Vorgehensweise des Auseinanderzupfens erinnert an das Bild von Nikolaus von Cues von den beiden ineinenader gebauten Pyramiden, bei denen je in der Spitze schon die konträre Basis enthalten ist und umgekehrt, das Einzelne im Gesamten. Also hier in dem friedlichsten Miteinander, in der albernsten Sorglosigkeit, in der aufgekratzen Erotikatmosphäre immer schon der Ernst, ja die Gewalttat, die Hemmungslosigkeit des Triebes mitschwingen. 

Enthüllungsarbeit, die der Zuschauer leistet. Ein so geforderter Zuschauer hat mehr von einem Film als von einem, der ihm alles Buchstaben für Buchstaben vorkaut, „erklärt“, so wie Alex es über den Sex behauptet, dass man nicht alles sagen könne. 

Und daneben kurz die bürgerliche Bemessungsschablone, dass manche Dinge Untaten seien; das wird von zwei älteren Herren in einem Zimmer über der Schwulen-Disco ‚Rectum‘ philosophisch behandelt, es gebe nur Taten, das Wort Untaten sei dumm. So ist auch dieser Film eine Tat, über die man sich trefflich unterhalten kann. Die lebensversessene Kamera trägt das ihre dazu bei, dass es sich um eine schillernde Kinotat handelt. 

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