Unser Boden

Vom Boden runterleben,

das ist das, wozu die Landwirtschaft verführt ist, denn ob sie in den Boden investiert, ob sie Humus aufbaut oder nicht, das sieht man den Produkten nicht an; das sind Kosten, auf die verzichtet werden kann – und auch Landwirte, ob konventionell oder Demeter, müssen kalkulieren. Da die Kalkulationen oft knapp sind, muss gespart werden, wo es möglich ist, unter anderem am Aufbau vom Humus, dann lebt der Bauer vom Boden runter und die Menschheit von der Substanz der Erde. 

Das hat zur Folge, dass Böden irgendwann erschöpft sind. Hier greift der Kulturphilosoph ein und trägt als Begründung für den Untergang großer Reiche vor, dass der Boden eines Tages runtergelebt war, die Ernährungsgrundlage weggefallen ist: Ende der Reiche. Deshalb gibt es bei uns den Erdüberlastungstag, der war 2019 schon im Mai, der Tag, ab dem die Menschheit auf Kosten der nächsten Generationen lebt. 

Der schön fotografierte Film von Marc Uhlig beleuchtet dieses Thema der „Haut der Erde“ aus verschiedenen Gesichtswinkeln ganz ruhig und überhaupt nicht alarmistisch. Direkt stoisch. Ein Demeter-Landwirt kommt ausführlich zu Wort und auch ein konventioneller Landwirt (spricht für etwa 90 Prozent der Landwirtschaft), der Vertreter einer solidarischen Landwirtschaft und verschiedene Experten vom physischen Geograph und Perma Designer bis zum Bürgermeister. 

Die Erde, die Krume, wird als die Haut der Erde eingeführt. In dieser Haut kann sich ein unendlicher Reichtum an Bakterien und Pilzen sammeln. Sie sorgen daür, dass auch bei Trockenheit noch Pflanzen wachsen können, sie sorgen daür, dass nicht beim erstbesten Sturm das ganze Erdreich weggeblasen wird, sie sorgen daür, dass nicht der erstbeste heftige Regenfall den Acker erodieren lässt und sie sorgen dafür, dass last not least Unmengen von CO2 gebunden werden. 

Es würden, ist eine Meinung, 0,4 Prozent mehr Humusaufbau genügen, um den ganzen CO2-Ausstoß der Menschheit zu binden. Aber diese geht den umgekehrten Weg, statt den Humus aufzubauen lebt sie vom Boden runter, versiegelt immer mehr Ackerland, verbaut es, betoniert es zu. Das führt zu Prognosen, dass unser Boden noch 60 – oder maximal 100 – Jahre lang fruchtbar bleibt. 

Humusaufbau ist mühsam und wird nicht vergütet, ist aber eine außerordentlich nachhaltige Investition; für den Demeter-Landwirt, der Zwiebelmonokultur als Konzession an die Wirtschaftlichkeit betreibt und mit schwerem Gerät über die Äcker fährt, ist es ein Erfolgserlebnis, dass sein Acker nach elf Jahren eine deutlich bessere Qualität hat und dass selbst bei trockenem Wetter noch Grünzeug als Zwischennnutzung gedeiht. Die Kamera unterstützt den philosophischen Duktus dieser Dokumentation und die sanften Gedankengänge mit das Land betrachtenden Drohnenflügen, mit Zwischenbildern aus der städtischen Konsumwelt, für die schließlich geackert wird, mit Zeitraffern, die das Werden und Vergehen versinnbildlichen; dabei begleitet der Film die Haut der Erde kursorisch über ein Jahr und gibt ein ruhiges, wohlüberlegtes Votum für eine Agrarwende ab – vielleicht im deprimierenden Bewusstsein, dass eh keiner hinhört – was interessieren uns die nächsten Generationen. 

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