Die durften noch demonstrieren!
Der Titel dieses Filmes von Tobias Frindt ist vielleicht etwas ambitioniert. Diese Geschichte als ein Gesamtwerk in einem Film zusammenzufassen, dürfte ziemlich viel Arbeit sein; gut, er beschränkt sich ja auch auf „Eine“ Geschichte (und dabei eine vielfältige, anregende Materialiensammlung!). Denn wie die ersten Jugendzentren im Nachschwung der 68er in den frühen Siebziegern aufkamen, da sproßen sie im ländlichen Raum wie die Pilze im Herbstregen, wie einer der Talking Heads sagt, wenn es im einen Dorf ein Jugendzentrum gab, so musste das andere auch eines haben.
Der Ausgangspunkt ist heute schwer vorzustellen, wie auch ein Talking Head sagt: wie erstarrt und geregelt die deutsche Nachkriegsgesellschaft in den 60ern war, wie sehr sie die Nazizeit verdrängte, wie kontrolliert die Jugend war, vor allem die ländliche. Die wollte Räume für sich. Und sie nahm sie sich. Sie demonstrierte dafür. Sie wurden angefeindet, wer lange Haare trug, war automatisch ein Kommunist, damals noch ein Schimpfwort.
Der Film erzählt viel vom JUZ in Mannheim, bestimmt stellvertretend für viele andere Jugendzentren. Es ist ein Film aus faszinierendem Archivmaterial von Fotos, Videos, Nachrichten der ARD, Zeitschriftenausschnitte vom Spiegel über Lokalblätter, Youtube-Schnipsel; dazwischen geschnitten jede Menge Talking Heads.
Die Geschichte spannt sich von den frühen 70ern des letzten Jahrhunderts bis in die späten 10er unserers Jahrhunderts. Der Dokumentarist wagt Seitenblicke auf andere Städte. Er lässt Ehemalige, die damals pionierhaft dabei waren, heute erzählen, aber auch Leute, deren Jugendzentrumserfahrung noch nicht lange zurückliegt.
Jede Generation hat ihre eigenen Jugendkultur und ihre eigenen Feindbilder, an denen sie sich abarbeitet – bald waren sie auch aus der eigenen Generation, Neonazis etc. Die Entwicklung geht von dem Verlangen nach Selbstverwaltung über die Häuserbesetzer-Szene, Musikszene, Antifa bis hin zur Flüchtlingsbetreuung und Demo gegen Pegida.
Und man wundert sich, wie die demonstrieren konnten, wenn man an das heutige Problem der Anticorona-Demos denkt. Gemeinsam scheint allen Demos zu sein, dass sie einem Teil der Gesellschaft, die über die Polizeigewalt verfügt, nicht in den Kram passen – da hat sich bis in unsere Corona-Zeit wenig geändert; weshalb es immer wieder Bilder von gewaltsamen Zusammenstößen gibt.
Nichts Neues über die Jugendkultur, sie muss sich immer wieder neu erfinden und irgendwann ist es vorbei, sind die nächsten dran. Aber wenn sie Räume dafür haben, die sie selbst verwalten könnten, so ist das nicht das schlimmste, auch wenn es recht gesittete Jugendliche sind wie in einem Jugendzentrum im Saarland heute, die sich durchaus der örtlichen und regionalen Tradition und Vereinskultur verbunden und verpflichtet fühlen. Hauptsache, man hat einen Ort außerhalb von zuhause, wo man rumhängen kann und es nicht zu teuer ist, wo man sich austauschen kann, ohne kontrolliert zu werden.