Die Heimreise

Diese pointiert gesetzte Sprechweise,

diese spitzen norddeutschen Konsonanten, diese Vokale, die wie in der Tiefe von Ostsee oder Nordsee gründen, dieses Kamerafeeling, diese charismatische Persönlichkeit, diese Selbstreflexion in den Sätzen, das druckreife Sprechen: alles Eigenschaften, die ein Spitzenpolitiker im Berlin mitbringen sollte, dazu sieht er noch gut aus: Bernd Thiele. 

Aber Bernd Thiele hat einen Defekt; allerdings scheint das Denken intakt – das macht diesen Protagonisten so faszinierend. Er hat eine Leseschwäche, er kann nicht selbständig in einem Haushalt leben, er hat einen Schaden im Gehirn (so wie es beim Auto auch Defekte gibt, wie er sagt), bedingt durch übermäßigen Alkoholkonsum seiner Mutter während der Schwangerschaft. 

Bernd Thiele wird aus Berlin zu Pflegeeltern in Schleswig Holstein gegeben, besucht die Steiner-Schule und lebt jetzt auf Hof Sophienlust.

Bernds Kumpel Johann hat auch eine Behinderung, der kommt aber in der großen Welt wie Hamburg oder Berlin allein und dank Navi zurecht; er ist stoischer Pfeifenraucher. 

Bernd hat keinen Kontakt mehr zu seiner Familie; er weiß nichts über sie. Er will sich auftue Suche machen, ein Projekt, das über vier Jahre dauert und bei dem Dokumentarist Tim Boehme die beiden begleitet. 

Böhmes Erzählverfahren ist das mit Rückblenden, ausgehend von einer Fahrt nach Hamburg und später nach Berlin. Ein Roadmovie von Behinderten mit allen nötigen Zutaten, Überraschungen, aber auch Enttäuschungen, ja sogar Diskrimierung übler Art erleben sie von einem Privatdetektiv, der in Berlin Verwandte aufspüren sollte und wie er erfährt, dass er es mit Betreuungsbedürftigen zu tun hat, den Auftrag hinschmeißt, keine schöne Art. 

Bernd hat auch seine Meinung und sein Wissen zum Verhältnis vom Dritten Reich zu Behinderten und nicht weniger eine klare Meinung über die heutigen Politiker. Bernd ist glücklich auf dem Demeter-Hof in Schleswig-Holstein, reflektiert seine Arbeit, deren Notwendigkeit, aber auch über die leibliche Familie denkt er nach, das sei eben doch etwas anderes und der Hof nur eine Ersatzfamilie. 

Deshalb macht Bernd sich auf die Suche nach seiner Mutter und Verwandten von ihr und auch nach seiner Schwester. Wie in einer spannenden Schatzsuche wird er nach und nach fündig; insofern eine schöne Geschichte, nicht ohne Humor und Originalität, die das Leben schrieb. 

Ein Satz von Bernd über die Schweine: „Die sind wie Menschen, nur dass sie Schweine sind“. In seinem Zimmer hat er eine Reproduktion des Abendmahls von Leonardo da Vinci an der Wand hängen, seine kleine religiöse Ecke. 

Familie und Einsamkeit. Die Einsamkeit von Onkel Manfred in Berlin, das gibt zu denken, wie viele Menschen wie er wohl allein in solchen Hochhauswohnungen hocken und mit kaum menschlichen Kontakten ihre Zeit verbringen müssen. 

Der Film ist eine Produktion des NDR, Redaktion Timo Großpietsch. 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert