Veränderung.
Der politische Kern dieser wunderschön anekdotischen Nacherzählung nach dem Tagebuch von Anwar Hashimi, der selbst den Waisenhausvater spielt, kommt leise, unerwartet und brutal: Der Übergang von der Hadschibullah-Regierung zum religiösen Mudschahedin-Staat. An der Waisenhaus-Schule sind überall plötzlich nur noch Kopftuchfrauen tätig. Stärker könnte dieses Machtsymbol der islamischen Unterdrückung der Frau nicht gezeichnet werden. (Wie möglicherweise auf leisen Sohlen Corona unsere Gesellschaft verändert?).
Die Kids im Zentrum des Tagesbuches und damit von Drehbuch und Inszenierung von Shahrabanoo Sadat sind 14, 15, 16 Jahre alt. Sie sind Waisen und Halbwaisen als Folge der sowjetischen Besatzung.
Quadrat (Quadratollah Qadiri) lernen wir als erstes kennen. Er ist ein Straßenjunge. Schlägt sich durch mit dem Verkauf von Schlüsselanhängern oder mit überteuerten Kinokarten – Kino war damals, 1989, eine begehrte Sache; es gibt auch einen Blick in eine Filmvorstellung, ein Actionfilm mit Songeinlagen in Bollywood-Manier (über afghanisches Kino siehe Meister der Träume – Le Prince de Nothingwood).
So hält es auch Shahrbanoo Sadat, er unterbricht den Film ab und an, um in einem Song die Träume von Quadrat zu visualisieren, dieser sieht sich darin als Liebes- oder Kampfheld, letzteres als Karatekämpfer gegen die Mudschahedin.
Quadrat wird von der Polizei aufgegriffen und ins Kinderheim bugsiert. Mit Fayaz (Ahmad Fayaz Osmani) und dessen jüngerem Onkel Masihullah (Masihullah Feraji) wird er befragt, erhält Pyjama, Bettwäsche und alle drei werden auf Zimmer verteilt.
Es sind Zimmer mit mehreren Doppelstockbetten. Ehsan (Ehsanullah Kharoti) spielt sich als Boss der Kids auf, nimmt jüngeren Heiminsaßen Wertsachen ab, wenn sie etwas geschenkt bekommen.
Die Jungs spielen Fußball, erhalten Schulunterricht, werden nach Russland zum Pionierlager eingeladen, besuchen das Lenin-Mausoleum in Moskau. In Afghanistan lernen sie Russisch, sammeln Patronenhülsen und schlachten sie aus.
Einmal erleben die Kids, wie ein sowjetischer Panzer einen Abhang hinunterstürzt. Andererseits träumen die Jungs von ihrern Lehrerinnen. Einer, der in Moskau gegen einen Schachcomputer spielt und gewinnt, wird von Ehsan zum Schachkampf aufgefordert. Auch das ergibt eine der vielen eindrücklichen Szenen, wie die ganzen Waisenheim-Jungs dicht gedrängt um die beiden Schachspieler hochkonzentriert der Partie folgen. Wie die Regie nicht nur eine gute Auswahl an Darstellern getroffen hat, sondern auch hervorragend mit ihnen arbeitet, nie werden sie süßlich oder bemitleidenswert, immer sind sie ernsthaft mit der Bewältigung ihrer Probleme befasst.