Mit Köpfchen.
Minty (Cynthia Erivo) ist anno 1949 eine Sklavin in Maryland. Es ist die Zeit, in der es in den Staaten unterschiedliche Gesetzgebungen zur Sklavenhalterei gibt; schon 100 Meilen nördlich in Philadelphia ist sie nicht mehr erlaubt.
Darüber hat eindringlich und bewegend der Film 12 Years a Slave von Steve McQueen erzählt. Hier wird auch deutlich, wie gefährlich es für Schwarze in dieser Zeit werden konnte, sich als freie Menschen in die Südstaaten zu begeben.
Mit der ähnlichen Emotionalität wie McQueen beginnt Kasi Lemmons, die mit Gregory Allen Howard auch das Drehbuch geschrieben hat, ihre Schilderung der Lebensumstände von Minty. Sie spielt perfekt das geschundene, erbarmungswürdige Wesen, bei dem sich sogar wegen einer Misshandlung am Kopf die Frage stellt, ob sie einen Gehirnschaden hat.
Wobei die Momente der Brutalität vor allem als schnelle Wischer-Flashbacks vorkommen, Tritte von hoch oben zu Pferd, Schläge. Auf der anderen Seite werden die Weißen geschildert. Dabei wird deutlich, dass Sklaven für sie ein selbstverständliches Kapital sind und wenn es ihren Besitzern finanziell schlecht geht, dann ist es eine Möglichkeit, Sklaven zu verkaufen.
Minty wird bereits auf Plakaten für ein paar Hundert Dollar angeboten. Gleichzeitig hat sie über ihren Mann, der bereits frei ist, die Papiere ihrer Freiheit erhalten. Ihr Besitzer zerreißt sie. Das ist die Initialzündung für ihre atemberaubende Flucht, bei der man ständig bangt, ob sie, die nicht einmal lesen kann, das schafft. Sie schafft es.
Faszinierend an diesem Film von Kasi Lemmons ist, dass er bis hierher als privates Befreiungsmovie sich gegeben hat, das anhand von einem Beispiel aus der Schwarzen Befreiungsbewegung erzählt im Rahmen der vielen Votumfilme für die Rechte der Schwarzen.
In Philadelphia fangen die Überraschungen an – und wer sich die offen halten will, der sollte nicht weiterlesen. Es hat mit dem Köpfchen von Minty zu tun. Nach einem Jahr in Philadelphia, wo sie durch die Anti Slavery Bewegung mit William Still (Leslie Odom Jr.) an der Spitze Unterstützung erfährt, hat sie sich auch einen neuen Namen gegeben: Harriet Tubmann.
Harriet hat ihre Familie nicht vergessen, vor allem ihren Mann (Zackary Momoh) nicht. Gegen alle Ratschläge fährt sie wieder nach Maryland, um ihn nachzuholen. Da es hierbei Probleme gibt, schließt sie sich der Underground-Organisation „Underground Railroad“ an, die sich zum Ziel gesetzt hat, Sklaven in die Freiheit zu schleusen.
Anfänglich zittert man noch mit ihr, sie könnte ihren ehemaligen Sklavenstatus verraten und so auffliegen. Der Film öffnet sich ab hier vom Privatistischen, vom privaten Biopic zum Bereich gesamtgesellschaftlicher Relevanz.
Im Gegenzug wird die Reaktion der Weißen auf die Sklavenrechte immer gehässiger und aggressiver. Womit sich der Film in Richtung Western und Abenteuerfilm entwickelt durch die sich verstärkende Gefahr und die Professionalisierung der Sklavenbefreiungsbewegung und auch mit einem klaren Antagonisten, dem Farmerben Gideon Brodess (Joe Alwyn).
Diese Öffnung und gesamtgesellschaftliche Verbindlichkeit wird nochmal gesteigert zur Zeit des Civil War, bei dem die ganze Größe von Harriet Tubmann, zu sehen ist, wodurch sich beim Kinozuschauer eine Bildungslücke in der amerikanischen Geschichte auf spannende Weise und mit exzellenten Darstellern geschlossen haben dürfte. Mit Köpfchen.