Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Alfred Kerr

war ein berühmter Journalist, Theaterkritiker, bissig. Geboren wurde er als Alfred Kempner. Dieser spielt eine der Hauptrollen in dieser Verfilmung des Buches seiner Tochter Judith, die im Mai 2019 in London verstorben ist. 

Das Buch beschreibt die Flucht der Familie Kerr kurz vor der Wahl von 1933, in der die Nationalsozialisten stärkste Partei wurden. Ein befreundeter Polizist der Familie verrät dem Journalisten, dass er auf einer geheimen Liste stehe und nach der Machtergreifung verhaftet werden soll. Er reist sofort aus nach Prag, von dort weiter in die Schweiz. Seine Frau, im Film dargestellt von Carla Juri, folgt mit den beiden Kindern Anna (Riva Krymalowski), also die Rolle der Autorin Judith als Kind, und dem etwas älteren Bruder Max (Marinus Hohmann) in die Schweiz. 

Die Rolle von Alfred Kerr, hier noch Arthur Kemper, ist besetzt mit Oliver Masucci, einem famosen Darsteller, aber in der Rolle sicher unglücklich besetzt, da er kaum Talent zeigen kann und den scharfen Blick des scharfen Kritikers hat Masucci von Natur aus nicht und der ist wohl nicht erspielbar. Hinzu kommt, dass die im Drehbuch nacherfundenen Szenen kaum Kerr-Futter hergeben. 

Das Drehbuch haben Anna Brüggemann und Caroline Link nach dem Buch von Judith Kerr geschrieben. Dabei kommt einmal mehr die fehlende Drehbuchkultur in Deutschland voll zur Geltung, auch wenn wieder jeder Menge Filmförderer mit an Bord sind. 

Inszeniert hat Caroline Link, die herausragend mit Kindern arbeitet. 

Allein was hilft es, wenn das Drehbuch für die Darsteller nichts zu beißen hergibt; weil es lediglich eine Nachillustrierung von Szenen ist, die wohl dem Buch entnommen sind, weil es nicht konsequent aus der Sicht von Judith (hier Anna) geschrieben ist, weil sie keine Konflikte hat. 

Außerdem scheint mehr Aufmerksamkeit auf historische Ausstattungssorgfalt gelegt worden zu sein, als auf die Situation des Kindes, das kaum erfasssen dürfte, was sich in Deutschland für ein Grauen anbahnt, ein Kind, was noch an seinen Stofftieren hängt, wodurch aus dem Nazitum ein Stofftier-Kuscheltiernazitum wird, was noch dazu mit rosa Klangwolken sanft unterlegt wird, Süß-Nazitum. 

Im Gegensatz zur österreichischen Christine-Nöstlinger-Verfilmung von Maikäfer flieg, scheint die kleine Anna das gar nicht so recht mitzukriegen; wobei es sicher schwieriger ist, einen sich anbahnenden Horror zu schildern als den eingetroffenen Horror wie im Nöstlinger-Film. 

Bei Caroline Link entsteht jedenfalls wieder so eine Käseglockenatomosphäre wie schon beim Film über Hape Kerkeling, bei dem aber das Drehbuch voll subjektiv die Hape-Position vertreten hat und der Bub sich über Show-Effekte definiert; das ist bei Anna just nicht der Fall. 

Satz: „Die Deutschen sind von allen guten Geistern verlassen“. Der Satz könnte auch heute in den Raum geworfen werden. Damit kann ein Drehbuchautor im deutschen Filmförderkosmos nie falsch liegen. 

„Kommt, ich zeig Euch was!“ als Beispielssatz für extrem langweilig nacherfundene Realität, oder „Na, da seid Ihr ja endlich“ – irgendwie schwer vorstellbar, dass sich ein 10-jähriges Mädchen solche Sätze merkt. Und dann müssen sie immer wieder singen – ob das das Mädchen so beeindruckt hat? Offenbar. Ob es den Zuschauer heute beeindruckt?

„Wie wärs mit einem Liqueur?“ Wenn sich ein 10-jähriges Mädchen solche Sätze, wohlverstanden auf Deutsch in Paris gesprochen von der Gattin eines von Kerr arg zerrissenen Regisseurs, merkt, dann muss es ein entsetzlich langweiliges Leben gehabt haben; so eines jedenfalls behauptet dieselbe Gattin von ihrem Pariser Leben und so eines behauptet Caroline Link in diesem ihrem Film. Da helfen nur noch Sätze wie „Oh, ist das schön, da wird einem ganz schwindlig“. Sind das Zitatsätze aus dem Kerr-Buch? Sind das nicht viel mehr Kino-Kitsch-Sätze? Allenfalls Sätze aus einem Vademecum für fantasiearme Fernsehserien-Schreiberlinge. 

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