Potzblitz,
da gehen jungen Talenten (Mike Baran für Drehbuch und Regie, Tom Schuster für die Idee und die Hauptrolle des Gustl Wanninger, dem niederbayerischen Jesusdarsteller aus Radlkofen) fast die Gäule durch vor Begeisterung für das Medium des bewegten Bildes mit all seinen Möglichkeiten von Bildverfremdungen, Zeitraffer, Überschneidungen, Inserts aus der Natur, vom Genre her, von der Giallo-Affinität über das B-Moviehafte, gänzlich ohne jede Subventionsarthrose, von Bauerntheaterelementen über die Werbeparodie bis zum Trash und Krimi und der Politposse, teils mit der Ungeniertheit der Begeisterung eines Studenten fürs Metier.
Der dubiose Geschäftsmann Harry Sandmann will einen bayerischen Whisky promoten und findet in Radlkofen den jungen Gustl Wanninger, der wirklich super ausschaut, richtig jesushaft. Sandmann will mit einer Werbe-Mischung aus Christusploitation und Wunderglauben den Whisky groß rausbringen. Der Erfolg mit Wanninger stellt sich schnell ein. Der Jesus-Darsteller wird zum Promi. An solche hängen sich die bayerischen Ministerpräsidenten gern ran, während Sandmann sich in der Stretchlimousine durch das enthusiastisch fotografierte München kutschieren lässt.
Sandmann muss nach Berlin verreisen. Derweil bleibt Jesulein bei seiner Frau. Die wird anderntags ermordert aufgefunden und der Verdacht richtet sich auf den Werbejesus. Ab hier wandelt sich der Film zum Krimi mit TV- als auch Trashelementen bis zu einer nicht weiter erwartbaren Endlösung, die keine Erlösung ist, aber dem ganzen Bilderspaß eine Ende bereitet. Dies gänzlich ohne jede Filmförderlähmung – oder -verkünstlichung.
Grandiose Satire, böse, kreativ und voller skurriler Ideen. Einfach brillant.
Ihre Begeisterung verstehe ich voll und ganz, da gibt der Film schon Anlass dazu mit seinem Enthusiasmus fürs Kino und die Satire. Wobei unterschieden werden muss zwischen Absicht und Resultat. Für eine breitwirksam schlagkräftige Satire müssten dann wohl doch die Menschen, die Figuren genauer beobachtet und schärfer gezeichnet werden.
Muss es das? Auch auf die Gefahr hin, dass es jetzt etwas akademisch wird, Ihre Kritik, dass die Figuren schärfer hätten gezeichnet werden sollen, halte ich für falsch. Der Film leistet sicher mit Absicht keine Charakterstudien, sondern greift die allgemeinen Zustände der Verhältnisse einfach an der Oberfläche an. Da reichen holzschnittartige Figuren völlig aus. Denn es geht allein um gesellschaftliche Phänomene und um Bürgerseelen, die sich, egal in welchem Gewand, an den vorgefunden Verhältnissen ganz allgemein sehr schäbig abarbeiten. Sie schnitzen ihre Charaktermasken als Konkurrenzgeier ziemlich gleichgeschaltet. Dies vergnüglich aus der Underdog-Perspektive darzustellen, reicht für eine Satire locker.
Anders bei dem Film Joker. Hier ist es richtig, die „Fratze des Opfers“ aus dem geschlagenen Individuum bei seinem Kampf mit der feindlichen Umwelt akribisch abzuleiten – auch und gerade psychologisch. Dann aber ist es ein Psychostudie in einem Drama.
Die Satire ist und bleibt eine fröhliche Abrechnung mit den apologetischen Holzköpfen der Verhältnisse. Sie entlarvt das Dumme, Närrische und Absurde im Erhabenen. Sie zeichnet Kasperlfiguren, die ihre Welt der Mühsal mit gegenseitigen, sich auf die Rübe hauen, bewältigen und ihre Herrschaft dafür beklatschen, dass sie das auch tun dürfen, statt ihr selbst mal zur Abwechslung auf die Finger zu hauen. Das aber gar nicht Einfache so locker vom Hocker, ohne moralischen Zeigefinger hinzukriegen, dann noch eine Spannung zu kreieren und sie bis Ende hochzuhalten, ist die wahre Leistung von Holy Spirit.
Quod vero mendacium est in results.
Expectationem est mater destitutione
Sie haben vollkommen recht, nichts „muss“ in der Kunst (weshalb ich den Konjunktiv verwendet habe), alles darf, aber alles hat auch Folgen. Es muss ja auch keiner Erfolg haben. Wobei ich diesen Film nicht unbedingt als Holzkopf-Kasperliade bezeichnen würde. Ganz werde ich den Eindruck nicht los, dass Sie beschreiben, was der Film vielleicht sein wollte (intentio), nicht aber, was er ist, dass Ihre Beschreibung eher Wunschdenken (expectatio) denn Wirklichkeitsbetrachtung (consideratio) ist. Gerade eine Holzkopf-Kasperliade braucht eine sture Konsequenz des Handelns, damit sie lustig wird, wenn die Figuren über die Folgen ihres Handelns stolpern. Ein schönes und sehr einfaches Beispiel für Konsequenz des Handelns ist die Geschichte vom Jockel.
Naja, der Gebrauch des Konjunktivs dient doch eh nur dazu, ein Hintertürchen offen zu lassen, damit das eigentlich Gemeinte bei kritischer Beleuchtung den Saal wieder als „nicht so gemeint“ verlassen kann. Aber egal.
Filme wie Holy Spirit kann man mögen oder nicht. Dem Betrachter aber stets mahnende Feuilletonisten-Ratschläge geben zu wollen, wie und warum das Werk nur so zu betrachten und evtl. zu kritisieren sei, zeugt schon sehr von einer Unentbehrlichkeit in der Selbsteinschätzung. Das Konsumieren von Kunst ist dagegen einfach gestrickt, doch viel authentischer in der Empfindung als jede Belehrung dazu. Und das Publikum besitzt immer noch die Deutungshoheit über seinen Geschmack, seine Wahrnehmung und seine gespürte Wirkung.
Ja, das Journalistenohr hört es nicht gerne, aber dem Publikum gefällt ein Werk oder eben nicht. Es fühlt sich im Geschmack und Ansicht bestätigt, vielleicht wird es auch überrascht, ist verwirrt, erleuchtet, befriedet oder fühlt sich einfach nur provoziert. Aber es weiß ziemlich genau, ob und warum ihm das Werk taugt oder eben nicht. Das kann einem kritischen Feuilletonisten nicht gefallen. Seine eingebildeten Dechiffrierungs-Künste, die natürlich bezahlt werden müssen, erklären dem Rest der Welt das Wahre und Aussprechbare eines Werks. Sie sollen ganz bescheiden als allgemeine Richtschnur in der Kunstdebatte dienen. Dabei sind seine interessengeleitete Erklärungen meist einem eitlen, aber auch einem geschäftlichen Zweck geschuldet und das Kunstwerk ist lediglich das Mittel für diese Zwecke.
Denn der Feuilletonist soll einerseits, durch seine profunden Erklärungen, sich und das Feuilleton unersetzlich machen und anderseits dem jeweiligen Medium, wenn schon keine höhere Auflagenzahl oder mehr Klicks, dann wenigstens eine größere Wichtigkeit bescheren. Und da so ein Erklärer schon mal etabliert ist, wollen die Erklärer der Konkurrenz auch nicht einfach abschreiben und erklären dann zum selben Werk oft das glatte Gegenteil. Doch alle ihre Rezensionen, seien sie zueinander noch so gegensätzlich, stehen gleichberechtigt und damit gleich(gültig) dem nichts ahnenden und unwissenden Publikum als erlesene Auswahl „objektiver“ Aufklärung zur Verfügung. Die Absicht triumphiert über die Logik und der Markt boomt … Sei’s drum.
Da sich nun das Publikum kein X für ein U vormachen lässt und das Feuilleton trotzdem weiter darauf besteht, sich belehrend zwischen Werk und Publikum zu schieben, halte ich es mit der alten Floskel, dass das Empfundene in der Seele des Betrachters liegt, so wie das Geistige eines Werks vom Verstand des Betrachters aufgenommen wird und dieser daraus was Gescheites, aber auch Blödes machen kann. Oder er lässt es als reine Erfahrung langsam in seinem Gemüt verglühen – ohne weitere Folgen.
Richtig, man soll die Kritiker nicht überschätzen, sie verändern die Welt eh nicht, man soll sie einfach kritiseren lassen und wenn sie mal einen Ratschlag geben, so kann man ihn annehmen oder ignorieren, egal, man muss auch Kritiken gar nicht lesen, wenn man Kritiken nicht mag. Entscheiden tut das Publikum, richtig.
Wir bei Filmjournalisten halten uns übrigens nicht für unersetzlich und bezahlen tut uns auch so gut wie keiner und von mehr oder weniger Klicks hängt unser Glück nicht ab. Wir versuchen ernsthaft, uns mit den Filmen auseinanderzusetzen und wer das für eitel hält, dem sei es unbenommen, sich aus der Diskussion rauszuhalten (wer diskutiert, generiert Klicks!).
Übrigens: auch dem Kritiker gefällt ein Werk oder nicht; er unterscheidet sich vom Publikum allenfalls dadurch, dass er das im besten Falle präzise und differenziert begründen kann.