Der Unschuldige

Hämmer

unter der glatten Haut einer gesichtslosen Swissness.

Simon Jaquemet ist nach seinem Film Chrieg noch bösartiger geworden in seinem Blick auf die ach so gut deodorierte und so ordentliche Schweiz, da könnte es einem schier, wie die Schweizer sagen, „den Nuggi raushauen“ (nicht adäquat übersetzbar).

Seine Schweiz findet in jenem modernen, austauschbaren Wohlstandsmilieu statt, das inzwischen überall sein könnte, nicht mal Autonummern sind identifizierbar. Ruth (Judith Hofmann) ist seine Protagonistin, Wissenschaftlerin, die in einem Labor mit Tierversuchen arbeitet, aktuell Affen.

Ruth ist verheiratet mit Hanspeter (Christian Kaiser). Das Haushaltseinkommen reicht für eine moderne gesichtlose Villa am Rande einer Neubausiedlung mit direktem Anstoß an Wiese und dahinter Wald – doch noch etwas ursprüngliche Schweiz. Die beiden haben zwei gerade so erwachseneTöchter.

Die große Liebe von Ruth war Andreas (Thomas Schüpbach). Wie der jedoch wegen Mordes aus Geldgier zu langer Gefängnishaft verurteilt wird, heiratet Ruth als Ersatzliebe den liebevollen und verständigen Hanspeter. Sie sind aktive Mitglieder in einer der boomenden Freikirchen. Hier fühlen sie sich aufgehoben.

Aber auch hier kommt es bald schon zu grotesken Szenen, wenn Ruth bei einem Gottesdienst übel wird und sie auf den Kirchenboden erbricht und der Prediger (Urs-Peter Wolters) ihr ermutigend auf den Rücken klopft und mehrfach sie ermuntert: lass es raus, lass alles raus.

Das wissenschaftliche Institut feiert einen Triumph: die erste vollständige Kopftransplantation bei einem Affen – auch dies eine recht absurder Hammer. Dem Affen geht es aber nicht so gut, das wird einer der Handlungsstränge.

Ein anderer Handlungsstrang ist die Tatsache, dass Ruths große Liebe aus dem Gefängnis entlassen worden ist. Er taucht bei ihr in der Wohnung auf. Sie machen Liebe auf einer weißen Ledergarnitur, während ihr Mann und die Töchter eine Etage höher schlafen und nichts mitbekommen. Wobei nie so ganz sicher ist, was jetzt Einbildung, Halluzination und was Wirkleichkeit ist bei Ruth, denn es gibt auch gegenteilige Aussagen im Film.

Eine weitere kleine Geschichte ist ein Wochenende, was Tochter Naomi (Naomi Scheiber) auswärts verbringen will. Mutter Ruth verfolgt die Kids, beobachtet durch einen Spalt im Zelt, wie nackte Körper beiderlei Geschlechts heftig zugange sind. Die Folgen sind weitere dieser Jaquement-Hämmer. Einer davon sind die Autofahrten mit der angeschlagenen Ruth: wie die aufs Gaspedal drückt, da ist „Bleifuß“ ein schönschreiberischer Ausdruck, das kommt akustisch und mit geschickt plazierter Kamera erschreckend eindeutig zum Ausdruck.

Das ist vielleicht das Faszinierende an diesem Film, dass er einerseits eine ordentlich gepflegte Schweizer an Organisation und Oberfläche zeigt, andererseits bei näherem Hinschauen auf Absurd-Groteskes stößt, als ob die Schweizer allesamt nicht ganz dicht wären in ihrem dröge ausgestatteten Alltag, den eine ruhig-besonnene Kamera breitleindwandfreundlich einfängt.

Und über all dem die Frage, ob es im Leben eines Menschen nur eine Liebe geben könne (da hilft weder ein Exorzismusversuch durch die Freikirche noch ein Besuch im Swinger-Club). Ein gelungener Cast berichtet das lupenrein im Modus typisch Schweizerischen Understatements.

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