Zoros Solo

Zum Steinerweichen.

Frau Lehmann ist eine frustrierte, versteinerte Klischee-Provinzmusiklehrerin, ohne Mann, ohne Liebe, vom Ehrgeiz zerfressen, mit ihrem Knabenchor von Liebigheim Trophäen zu gewinnen, Siege bei Wettbewerben einzufahren, als ihrem einzigen Hoffnungs- und Zielpunkt; diesem ordnet sie alles unter, wäre wohl bereit, über Leichen zu gehen, auf jeden Fall, selbst eingefressene Vorurteile über den Haufen zu werfen.

Andrea Sawatzki spielt diese Figur umwerfend und messerscharf (trotz oder vielleicht gerade wegen (?) der papierenen Bandwurmsätze. Während ich diese reflektiere, fällt mir auf, dass sie die Figur ist, unter deren Aspekt die Geschichte hätte erzählt werden müssen, um nicht in tv-softe Rührseligkeit zu versinken, was sie in dem Konstrukt, das Martin Busker mit Fabian Hebestreit geschrieben und selbst inszeniert hat, ungehindert tut und somit den mutig gedachten Ansatz im Hinblick auf das Flüchtlings- und Integrationsthema zunichte macht.

Dieser Ansatz geht vom Asyljungen Zoro aus (Mert Dincer, eine wunderbare Besetzung). Dieser Storytelling-Ansatz wirkt schnell dramaturgietechnisch und konstruktivistisch überladen und verliert zudem an Überzeugungskraft durch zu ungenaue Beobachtung.

Die Familie von Zoro konnte auf ihrem Fluchtweg von Afghanistan nach Europa aus Ungarn fliehen. Der Vater blieb zurück. Der 13-jährige Zoro will ihn nachholen. Er spart Geld dafür. Über den Kontakt zu Julian (Laurids Schürmann) erfährt er vom Knabenchor und dass dieser eine Wettbewerbsreise nach Ungarn vorhabe.

Zufällig hat Zoro auch eine außerordentliche Gesangsbegabung und eine schöne Stimme, er kann interessanterweise auch schon perfekt Deutsch lesen, obwohl die noch gar nicht lange in Deutschland zu sein scheinen und nicht zu erwarten ist, dass er eine deutsche Schule häufig von innen gesehen hat.

Nach diversen dramaturgischen Hürden, dabei spielt die Schwulität von Julian eine Rolle, fährt Wunderkind Zoro mit nach Ungarn. Sein Plan ist es, den Vater im Bus zurückzuschmuggeln. Er verpatzt deswegen seinen Glanzauftritt. Aber Frau Lehmann ist plötzlich gnädig gestimmt und erklärt sich das mit Lampenfieber.

Nach weiteren dramaturgischen Windungen (Motto: und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt) – der Vater von Julian ist Polizst, wohnt in einer viel zu großen Villa und ist oft mit den Asylkids und deren Kriminalität befasst – kann der Knabenchor endlich aus vollen Kehlen süß singen und versuchen, die schmalzige Tonspur des Filmes zu übertrumpfen.

Theoretisch gut angegangen ist die direkte und unkorrekte Sprache der Flüchtlinge und die Mechanik, wie unbewältigte Fluchttraumata immer wieder unangekündigte Gewaltausbrüche verursachen, die werden aber auch in Rückblenden andauernd erklärt.

Insgesamt aber kommt Zoro nicht als eine glaubwürdige Figur mit so einem drastischen Schicksal rüber, er wird viel zu schnell integriert, als ob das ein Zuckerschlecken wäre, und kann nicht plausibel machen, dass er das versteinerte Herz der Frau Lehmann erweicht, dadurch kommt das als Rührseligkeit um der Rührseligkeit willen, also als Kitsch rüber, was angesichts der ungenauen Beobachtung der Flüchtlingsrealität umso mehr schmerzt.

Der Film wirkt so, als wolle er augenzwinkernd ein bisschen tv-mögliche, politische Unkorrektheit in der Schilderung der Flüchtlinge wagen, sie aber gleichzeitig mit Softness wieder abschwächen; war ja alles nicht so gemeint. Nur keine schlafenden Hunde wecken, nur nicht in einer erhitzten öffentlichen Diskussion Position beziehen.

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