Unter dem Aspekt der Frage „was ist normal“ pickt Adele Tulli in ihrem smarten Dokumentarilm signifikante Momente aus dem modernen Leben der italienischen Industriegesellschaft heraus, montiert sie zu einem eleganten, abwechslungsreichen Bilderbogen mit nicht gerade erbaulicher Aussage.
Erst zeigt dieser Menschen in Situationen, in denen sie sehr fokussiert sind. Das sind Schwangere, die unter Wasser bei Gymnastik beobachtet werden. Dann werden einem Mädchen Ohrlöcher gestochen. Ein kleiner Bub wird vom Vater für das nächste Cart-Rennen gebrieft. In einem Park gibt es Kinderwagengymnastik für junge Mütter. In einer Fabrik wird halbautomatisch Kinderspielzeug hergestellt, Bügeleisen, Bügelbrett, Eimer und auf dem Katalog erscheint ein Mädchen, das wie Amanda aus der Ohrlochstechszene aussieht.
Was erst als Skurrilidee für Fundstücke aus dem Leben erscheint, wendet sich zusehends zur Frage der Attraktivität der Geschlechter, Alpha-Männer, die Frauen für sich gewinnen wollen. Andererseits Frauen, die sich für Alphamänner anziehend herrichten wollen. Balzgebaren. Alpha-Männer zeigen ihre Fokussierung auch in Videogames, Kriegsspielen.
Erst scheint der Begriff „normal“ im Sinne von Fokussierung. Dann wendet er sich in das herkömmliche Geschlechter-Rollenspiel, das zu Ehe und Fortpflanzung führt. Auch da fällt es der Filmemacherin nicht schwer, ’normale‘, geläufige Beispiele für das konservative, wenig emanzipiert Geschlechterrollenverständnis zu finden, vom Jungesellinnenabschied bis zur Ehe-Verhaltens-Beratung für die Frau im Brautkleidschäft.
Dieses Rollenverständnis zementieren Szenen von Pole-Dance über die Motorrockerbraut, das Teeniegekreische bei der Autogrammstunde des Stars Antony, das Fotoshooting für das Vorgaukeln eines Traumpaares bis zum Schönheitswettbewerb.
Aber „normal“ ist auch, immerhin das ein kleiner Fortschritt, die Szene einer Hochzeit zweier Männer auf der Bühne eines prächtigen Opernhauses. Die Kirche (nebst ihr auch die Brautkleidberatung) findet mahnende Worte zur Vergänglichkeit dieses Rollenbildes, zu Treue und zum Umgang damit, dass Männer sich plötzlich jüngeren Frauen zuwenden.