Systemsprenger

Willst Du einen Kakao?

Bringt ein Mann ein Kind mit blutüberströmter Stirn zu sich nach Hause. Fragt seine Frau zuerst, was denn passiert sei und ohne eine Antwort abzuwarten, „Willst Du einen Kakao?“. In der nächsten Szene sitzt das Kind am Tisch, hat einen Kako vor sich und jetzt fängt die Mutter an mit der Wundversorgung. Deutscher Alltag im Kino. Dieselbe Mutter ist, wenn sie mitten in der Nacht aufsteht und nach diesem fremden Kind schaut, perfekt geschminkt wie für eine Galavorstellung. Sicher keine Galavorstellung im Kino.

Harter deutscher Subventonskinoalltag, der regelmäßig jegliche natürliche Handlungslogik von Menschen in Abrede stellt und diese Menschen mit Sätzen zu charakterisieren versucht, die offenbar auf Drehbuchwerkstätten den armen Studenten beigebracht werden, Zweck- und Erklärsätze: „Wir gehen jetzt alle runter frühstücken und nichts ist passiert“, „Du wirst schon eine Lösung finden, dass sie nicht ständig hier auftaucht“, „Ich mach Schluss, tschüss“, „Die eigene Mutter ist immer das Beste“, „Justin ist raus aus dem Krankenhaus und 6 Tage zuhause“, „Du weißt Benni, es gibt die Möglichkeit, dass Du wieder bei Frau Schwarz wohnst“, „Im Moment haben wir alle Argumente auf unserer Seite“, „Ich werde Ihre Entscheidung respektieren, wie immer sie ausfällt“, „Ich muss jetzt leider weitermachen“, „Du, heute geht das leider wirklich nicht“, „Mein Blick auf die Uhr sagt mir, wir können auch ohne Frau Glas anfangen“.

Jetzt könnte man ein Ratespiel veranstalten, um was für einen Film es sich wohl handelt, in dem solche Sätze vorkommen und die von bedauernswerten Schauspielern gegen Gage gesprochen werden (die Schauspieler sind weisungsgebunden und müssen sich nichts denken dabei).

Der Systemsprenger in diesem Film von Nora Fingscheidt ist eine Systemsprengerin, es ist die 9 Jahre alte Benni (Helena Zengel), die vor allem viel schreien muss, die ein offenbar unerziehbarer Wildfang ist, der nicht in das staatlich vorgesehene, humanistische Fürsorge- und Erziehungssystem passt. Zu einem ähnlichen Thema gibt es den französischen Film, „Alles außer Gewöhnlich“ (der am 5. Dezember in die Kinos kommt – was machen mit einem Menschen in der Öffentlichkeit, der immer, wenn er mit der Bahn über eine Brücke fährt, die Notbremse zieht? Da könnten die Deutschen etwas über die filmische Darstellung zum Umgang mit Systemsprengern lernen).

Diese behandeln das Thema teutonisch penetrant, im Stechschritt, versuchen mit heftiger Musik, unruhigen Bildern als subjektive Verstärker der Heftigkeit der Emotion des Mädchens enervierende Power zu geben, was mehr dem Eindruck denn dem Verständnis dient. Um die „Patientin“ bemüht sich eine Korona von Helfern, Lehrern, Betreuern, Fürsorgern, Ärzten.

Der Film fängt mit einer schulfilmreifen Szene mit einer Ärztin (Melanie Straub) an, es geht um Medikamentierung. Es gibt eine übeforderte Mutter (Lisa Hagmeister), zu der Benni unbedingt zurückmöchte. Es gibt den Erzieher, der ein guter Mensch sein will, immer sehr besorgt schaut und mit dem Kind drei Tage – allein! – in den Wald geht („honny soit qui mal y pense“) und der das Kind zu sich und seiner supergeschminkten Gattin mit nach Hause nimmt. Dass dieser Film der deutsche Vorschlag zum Kandidaten für die Nominierung zum Auslandsoscar ist, sagt alles über die darniederliegende deutsche Film-, vor allem Drehbuchkultur.

Bei all dem Inszenierungs- und Drehbuchtohuwabohu scheint Benni blendend zu gedeihen. Sie lebt nach dem Motto: Alles muss raus und die Show must go on!

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