Deutschland und der Holocaust und kein Ende. Die letzten Holocaust-Überlebenden sind am Sterben. Oder wabern noch durch die Republik. Frau Stern (Ahuva Sommerfeld) lebt ein sinnfreies Leben in Berlin. Sie hat als einzige ihrer Familie den Holocaust überlebt. Sie wird auch noch das Rauchen überleben, antwortet sie ihrem Arzt (Johann Campean), der sie als gesund diagnostiziert. Sie will sich umbringen.
Mit ihrer Generation der Deutschen will sie nichts zu tun haben. Das sind die Mörder der Juden, das ist die Tätergeneration.
Dafür ist sie mit ihrem Agnostizismus, ihrem wachen Geist und ihrer Präsenz bestens angesehen bei der jüngeren Generation, Freunden und Freundinnen ihrer Enkel. Trotzdem möchte sie sich umbringen.
So weit lässt Anatol Schuster (Luft) es dann doch nicht kommen. Er führt sie mit einer farcehaften Szene in Versuchung. Es ist eine neue Variante des Trickbetrugs alten Leuten gegenüber. Ein junges Paar passt Frau Stern mit Kuchen an ihrer Wohnungstür ab, sie seien die neuen Nachbarn. Sie möchten gute Nachbarn sein, hätten aber noch keine Kücheneinrichtung, ob sie bei ihr Kuchen essen können. Es ist billiger Kuchen, wie sie später feststellt. Das Gaunerpärchen klaut den Wohnungsschlüssel, um später bei ihr einzubrechen.
Da liegt Frau Stern gerade angezogen in der Badewanne, ein weiterer Versuch selbstbestimmten Abganges. Sie hat ein besseres Verhältnis zu ihrer Enkelin Elli (Kara Schröder) als zu ihrer Tochter (Nirit Sommerfeld). Hier werden biographische Überschneidungen zwischen Film und Leben virulent. Nirit ist die leibliche Tochter von Ahuva Sommerfeld, die hier im hohen Alter ein sensationelles Filmdebüt hinlegt, ihre erste und einzige Filmrolle, denn inzwischen ist sie gestorben.
So wird der Film wiederum zu einem Dokument über ein nicht so schnell zu erledigendes Kapitel in der deutschen Geschichte. Und Anatol Schuster bringt dem deutschen Kino etwas von der jüdischen Sinnlichkeit zurück, die diesem vor Jahrzehnten abhanden gekommen ist.
Nach „Luft“ hat sich Schuster auch hier einen wunderbaren Cast ausgesucht, sei es der Frisör (Murat Seven), der sich bestens versteht mit Frau Stern oder der Obdachlose, der jammert (David Tobias Schneider) und wofür Frau Stern nur Zynismus übrig hat, das sei halt sein Schicksal, das Trickdiebpärchen (Gina Haller und Max Roenneberg) oder der Fernsehmoderator (Robert Schupp) mit seiner Anti-Einsamkeitssendung, die Frau Stern sprengen wird. Auch der Sportler-Freund (David Hugo Schmitz) ihrer Enkelin. In der Besetzung all dieser Figuren zeigt sich eine ungewöhnliche Sinnlichkeit. Frau Stern kann nicht verstehen, warum Männer alten Frauen keinen Hunger nach Liebe zutrauen; für Männer gibt es doch auch den Puff. Und: es gibt auch kluge Deutsche!