La Flor

Stoffentwicklung.

Nach 6 Jahren Drehzeit unter dem Motto „Spinne“ kommt Mariano Llinas, der Regisseur und Spiritius Rector des Kollektivs „El Pampero Cine“, in die Krise. Er hat ein Stoffentwicklungsproblem. Die Frauen sind alle schon im Kostüm für eine kanadische Sequenz: Indigene, Wilderer, rotgewandig Uniformierte. Aber Llinas, der ein unerschöpflicher Quell von Kreativität ist – und natürlich der damit verbundenen Zwiespalte – möchte viel lieber Bäume drehen. Die Frauen sind ihm zu schwierig.

Er dreht mit dem männlichen Teil seines Teams Bäume, herrlich lange Sequenzen wie echt vom Dreh in schöner Allee. Aber eigentlich wollte er blühende Bäume, es ist der 21. März in Südamerika, Frühlingsanfang. Also auf zu blühenden Bäumen! Bis Llinas merkt, dass Bäume nicht minder kapriziös sein können als Frauen.

Das erfordert Nachdenken, sich über das Skizzenbuch hocken. Das ursprüngliche Symbol war die Spinne, aber je mehr er und sein Team auf die Skizze starren, desto mehr Kreise werden nötig, bis aus der Spinne eine Ameise wird. Probleme der Stoffentwicklung eben.

So weit zur ersten Episode des dritten Abends der Vorführung des 14-Stunden Filmes des Argentiniers Mario Llinas. Hier offenbart er ein Stück weit seine cineastische Denkweise. Er produziert vollkommen unabhängig mit seinem Team. Der 14-Stunden-Film „La Flor“ ist das Resultat von zehn Jahren Drehzeit.

Wäre Achternbusch Argentinier, wäre er vielleicht ein Llinas geworden – oder umgekehrt. Ein Phänomen wie der „Eucalyptus Oblique“ wäre ihm bestimmt auch zuzutrauen.

Aus widrigen Umständen (Desorganisiertheit und also Terminprobleme, eine dreiviertelstündige Unterbrechung wegen einem Brandschutzproblem beim Festivalkino des Münchner Filmfestes und auch die aggressiv kalte Klimaanlage dorten) haben dazu geführt, dass ich nur zwei Teile von neun gesehen habe.

Diese aber haben es in sich und machen verständlich, wie verzweigt und auch wie spontan Llinas mit seinem Ensemble arbeitet. Dieses übernimmt immer wieder neue Rollen. Eingangs beschrieben ist die erste Episode des dritten Teils. Am Abend vorher hatte ich die erste Episode des zweiten Teiles gesehen. Zwischendrin gibt der Regisseur Orientierung mit Einblicken in sein Dreh- oder Skizzenbuch oder auch im Hinblick auf eine baldige „interrupcion“.

Wer also 14 Stunden seines Leben nicht verschenken, sondern vielleicht sogar verdoppeln möchte, dem sei der Besuch dieses Marathon-Filmes dringend ans Herz gelegt.

Erste Episode des zweiten Abends. Der Autor wirkt momentweise wie ein gebildeter Fabulierer, er ist auch der Erzähler, aus dem es nur so heraussprudelt, die Zusammenhänge zwischen Sternenhimmel und Machtpolitik auf Erden und auch der menschlichen Kulturgeschichte, etwa bei den Namen, die die Agentinnengruppen oder ihre Aufträge erhalten. Diese Episode erweckt zuerst den Eindruck, dass sie vor allem Wert auf eine Fotografie legt, wie sie Rockbands für ihre Covers lieben. Es sind lauter Frauen die Protagonistinnen, die als Mitarbeiterinnen von Spionage- und Agentinnennetzen, gesteuert aus Brüssel, alle in stylishen und zum Teil Lederklamotten auftreten.

Sie stehen ernst in Feldern, halten Pistolen, lauern, sie sind auf einer gefährlichen Mission. Sie sind nicht die einzigen. Ein berühmter Aerospace-Forscher wird – irgendwo in Lateinamerika in den 80ern, so die Lokalisierung – als Geisel gehalten. Um ihn streiten sich mindestens zwei Agentinnengruppen. Der Autor betont, wie gefährlich die Mission ist. Und die Musik untermalt das heftig.

Die Agentinnen haben zum Teil an berühmten Brandherden in aller Welt gearbeitet, aber das hier würde alles toppen. Es geht um Vertrauen und Verrat und um undurchschaubare Spiele eines geheimisvollen Topagenten aus Brüssel, der nie lache.

Der Film wirkt stellenweise wie ein Fantasyprodukt, teils auch sehr stilisiert im Hinblick auf die Darstellung von Misstrauensatmosphäre, wie sie durch den kalten Krieg oder in Lateinamerika durch die Diktaturen geprägt wurde. Es gibt aber auch anrührend philosophische Momente, wenn der gefangene Forscher Dreyfuss aus Schweden versucht, anhand des Himmels zu eruieren, wo er genau ist, denn Moldavien oder Rumänien kommen bei diesen Sternbildern nicht in Frage. Wobei auch hier, wie oft in Lateinamerika, zumindest im Hintergrund die Spannungen zwischen Arm und Reich, die großen sozialen Probleme anklingen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert