Comrade Couture – Ein Traum in Erdbeerfolie (in Berlin im Lichtblick und im Toni)

Modenschau am FKK-Strand.

Bald 30 Jahre Mauerfall. Da lohnt sich ein Blick zurück. Denn der gefräßige Westen hat die faulige DDR mit Haut und Haar geschluckt, leidet heute noch unter Verdauungsbeschwerden. Grund genug, zurückzuschauen.

Ein flippiges Kapitel aus dem Bauern- und Arbeiterstaat holt Marco Wilms mit seinem Film von 2009, den er jetzt bei zwei Vorführungen in Berlin zeigt, zurück (Samstag, 29. 6., 2019, 22.00 Uhr, Kino Lichtblick und Mitwoch, 3. 7. 2019, 20.00 Uhr, Kino Toni, Berlin).

Wer assoziiert die DDR schon mit dem Begriffen „Mode“ und „Modenschau“. Wilms ist dort Model zur Vorführung von Mode. Er bewegt sich in einer Gruppe von Kreativen, die sich vom DDR-System nicht den Schneid abkaufen lassen. Sie organisieren Underground-Modeschauen mit einem Pep und einer Leidenschaft, die sich vor den großen westlichen nicht zu verstecken brauchen.

Die Gruppe nennt sich „Chic, Charmant und Dauerhaft“, CCD. Gearbeitet wird mit dem Material, was verfügbar ist: Erdbeerfolie beispielsweise oder Duschvorhänge. Grell geschminkt führen die Models die Klamotten auf improvisierten Laufstegen in Privaträumen vor.

Der Bogen von CCD spannt sich im Film bis zu den Performances von „Allerleihrau“ zur Zeit der Agonie der DDR in der Gethsemane-Kirche in Berlin, Aufführungen von apokalyptischer Intensität.

Marco Wilms hat Akteure von damals 2009 wieder aufgesucht, findet eindrückliche, aussagekräftige Schwarz-Weiß-Fotos, Schmalfilme, TV-Aufzeichnungen von offiziellen Modeschauen (auf der Kuhwiese beispielsweise oder am FKK-Strand oder die absurde Story vom ersten Striptease im DDR-Fernsehen), DDR-Werbung.

Er stößt auf Anekdoten, denn wer sich auffällig anzog und aufführte geriet zunehmend ins Visier der Stasi. Oder die Friseure, die mit Schamhaarfrisuren werben und für Wirbel sorgen. Wie die Gruppe auf den Einwand zu einer Modenschau, das könne ja kein DDR-Brüger kaufen und sei deshalb abzulehnen, antwortet, das seien Anleitungen zum Selbermachen. Zur Schau werden Schnittmuster verteilt.

Es wird aber auch diskutiert der Zusammenhang zwischen Kreativität und staatlicher Zwangssituation und ob diese künstlerischen Explosionen von damals heute, wo es nur ums Geld geht, noch möglich seien.

Als Drüberstreuer zur Erinnerung organisiert Wilms eine Retro-Revival-Show mit nachgeschneiderten Kostümen. Fazit: ein tolles Fest lässt sich jederzeit organisieren, aber das gewisse Gefühl von damals ist so nicht wiederherstellbar. Durch diesen Film ist es wunderbar erinnerbar, ein Aufheller im DDR-Geschichtsbild.

Die wichtigsten Protagonisten sind Frank Schefer, damals DDR-Fernseh-Cheffrisör, Sabine von Oettingen, Designerin und Master Mind der Science-Fiction-Modeschauen in der DDR, und Robert Paris, Fotograf. Ein damals ganz junger Stasi-Offizier beleuchtet die wurstige Seite der Stasi (visuell Auffällige am Alexanderplatz wurden „eingesammelt“).

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