Inglaterra in Milano.
Ein Hauch von großem Kino weht durch diesen Film von Edward Berger (Jack), der mit Nele Mueller-Stöfen auch das Drehbuch geschrieben hat.
Ein einfache Grundstruktur, Porträt von drei Geschwistern, erst werden sie zusammen vorgestellt, dann in je einem eigenen Film und am Ende findet sich tutta la famiglia zusammen.
Den Hauch von großem Kino suggerieren die ruhige, klare Erzählstruktur mit ebensolcher Kamera, Szenenauflösung, Schnitt und exzellente Schauspieler.
Wobei just beim bekanntesten der Stars ein Einwand geltend gemacht werden muss. Es ist Lars Eidinger, der inzwischen wie überbesetzt wirkt, der vor lauter Drehen offenbar keine Verschnaufpausen kennt und sich ganz auf seine erstklassigen Routinen verlässt. Er ist der Bruder, der Stefan heißt. Er ist Pilot. Hütet den Hund Rocco. Putzt mit Papiertuch riesige Hundehaufen vom Parkett und vom Teppich auf und reinigt darauf den Teppich. Es ist eine dieser typischen Szenen, wie sie aus einem Hochschulfilm stammen könnten, wo Regisseure zeigen wollen, was sie können, wie sie das ‚machen‘, aber oft nichts zu erzählen haben. Und die Schauspieler machen mit in der Hoffnung, Demomaterial zu bekommen.
Eidinger spielt einen Piloten mit einem Gehörproblem. Deshalb hängt er rum. Macht in Bars Frauen an, fickt sie in Hotelzimmern oder erlebt auch mal eine Abfuhr.
Mathilde Berger ist die Schwester. Sie heißt Vicky und fährt mit ihrem Freund Christian (Godehard Giese, ein Allzweckschauspieler) nach Mailand. Dort treffen sie einen Freund von Christian, der in London wohnt. Daher ist das Kapitel INGLATERRA EIN TRAUM überschrieben (ich hoffe, ich habe das richtig notiert).
Hauptfigur ist ein angefahrener Hund, den die beiden Nero taufen. Für weitere Profilierung als ein deutscher Peter Sellers nutzt Hans Löw die Rolle des Tobias. Er ist noch etwas Geisteswissenschaftliches am Studieren (den Hinweis bietet ein Buch auf seinem Schreibtisch). Er perfektioniert den Typen, der immer allem hinterherrennt, der leicht überfordert ist von Frau und Kind und Job und einem Vater (Manfred Zapatka), der in Richtung Demenz sich zurückentwickelt. Löw ist in jedem Moment eine Show.
Das kapitale Defizit dieses irgendwie Hoffnung erweckenden deutschen Filmes ist allerdings (einmal mehr und hier besonder krass auffallend, weil der Rest so gut ist) das Drehbuch! Der Film hält es nicht für nötig, eine Ansage zu machen, was er erzählen will. Es lässt die Zuschauer von Anfang an in der schlimmsten Dunkelheit. Statt gleich – und dringlich – zu behaupten, ich habe Euch etwas Irres zu erzählen von drei Geschwistern, wird eine lange Prologszene kaum geschnitten in einem feinen Lokal etabliert und der Zuschauer wird so lange wie möglich im Unklaren gelassen (vor lauter Lify-Style-Schilderung), worauf Eidinger hier wartet, in welchem Verhältnis er zu Löw steht und was die Frau, die als Dritte dazustößt, mit ihnen zu tun hat.
Warum dem Zuschauer von Anfang an das vorenthalten, was man ja so brennend erzählen möchte? So fehlt der Rahmen für die Bildaufnahme des Zuschauers. Es werden Alltagsszenen an Alltagsszenen gereiht, immerhin die drei Geschichten nicht ineinander verhackstückt, das ist schon ein gewaltiger Fortschritt im deutschen Kino, aber es fehlt die Idee, warum diese Geschichten etwas Besonderes sein sollen.
Es fehlt der Leitfaden der Erzählung. Es ist gar keine Erzählung. Es sind lediglich talentiert aneinandergereihte Übungsszenen. Man könnte fast sagen, es fehlt das Drehbuch. Das ist, als ob ein Mensch kein Skelett hätte. Was ihn erst zum Funktionieren bringt, was erst die Übertragung der Nerven- und Gedankensignale in die Extremitäten oder die Physiognomie ermöglicht, was ihn erst zum Leben bringt. Dieses Defizit ist ein kapitales. Bis auf diesen existentiellen Mangel ist alles gut.
Eine elementare Unklarheit: sind die jetzt in Mailand oder in Madrid? In Madrid gibt es ein Hotel namens Inglaterra. Aber „vongole“, von denen sie reden, das ist Italienisch. Und England auf Italienisch würde heißen „l‘ Inghilterra“.
Hinweis auf deutschen Ort: Autokennzeichen SG: Solingen.
Inglaterra in Milano. Ein Hauch von großem Kino weht durch diesen Film von Edward Berger (Jack), der mit Nele Mueller-Stöfen auch das Drehbuch geschrieben hat. Ein einfache Grundstruktur, Porträt von...