Scala Adieu – Von Windeln verweht (Donnerstag, 21. März 2019, 17.00 und 19.00 Uhr im Monopol in München)

Keine Hungersnot.
Wenders statt Pampers.
(Zu München: Das Gabriel Filmtheater ist eine Kulturstätte)
Empört Euch?

Bei Beckett wird aus dem zenonschen Körnchen, das zum Körnchen sich fügt, plötzlich ein Haufen, ein enormer Haufen (le tas, l’enorme tas).

So ein Körnchen, das plötzlich Teil eines enormen kulturellen Haufens bilden wird, nimmt Douglas Wolfsperger unter die Lupe.

Es geht um die rapide Veränderung und Anonymisierung unserer Innenstädte. Die Phänomene ähneln sich. Die Politik will keine Monokultur-Filiatelisten-Meilen als Fußgängerzonen, das behauptet sie, faktisch aber unternimmt sie nichts, wenn wieder ein dm-Markt ein altehrwürdiges Programmkino verdrängt.

Die Geschichte kennen wir aus München zur Genüge. Wo das Tivoli war, werden heute Schuhe verkauft, wo das Eldorado war, ist heute ein Drogeriemarkt, aktuell, wo das Gabriel noch Pressevorführungen zeigt, dürfte demnächst ein Hotel oder vielleicht noch ein Drogeriemarkt einziehen (hierzu gibt es immerhin eine Petition im Internet). Aber da es nur Körnchen sind, regt sich niemand auf. Das Feuilleton schreibt herzzerreißende Nachrufe und das wars.

Douglas Wolfsperger kommt aus Konstanz und wie er gehört hat, dass das Programmkino Scala mitten in der belebten Fußgängerzone, das nicht mal der Zweite Weltkrieg vernichten konnte, ersatzlos einem dm-Markt weichen soll, wollte er das wenigstens dokumentieren.

Dabei ist er auf Machenschaften hinter den Kulissen gestoßen, über die keiner reden will, hat fantastische Kinoenthusiasten aufgetrieben, ist einem Bürgermeister begegnet, der ein Buch über lebenswerte Innenstädte geschrieben hat (abschreckendes Beispiel: Fichtenmonokultur) und jetzt genau gegensätzlich handelt, hat vom Prediger eines bedingunslosen Grundeinkommens und Anthroposophen, dem dm-Gründer und -Chef Fritz Hepp eine hammerhafte Antwort auf die Nachfrage, warum er ein Kino vernichte (freundlicher formliert, selbstverständlich), erhalten.

Im Moment blüht Konstanz und fast scheint die Schweizer Einkaufsfreude schuld zu sein an der enormen Nachfrage nach deutschen Pampers; aber Wolfsperger kommt über den Intendanten des Theaters, Christoph Nix, auch zur Erkenntnis, dass die Söhne der Stadt, diese gerne zur Schöpfung von Mehrwert für die eigenen Taschen nutzen.

Der Film begleitet eine Bürgerinitiative, die versucht, in letzter Minute mit der Forderung nach einer Bebauungsvorschrift, den Kulturverlust in der Innenstadt zu verhindern, bis zur Abstimmung im Gemeinderat. Die Kinofans schauen sich den Pod-Cast von der Sitzung im Kino Scala an. Auch Eva Mattes stellt sich als spezieller Gast, sie war lange die Konstanzer Tatort-Kommissarin, auf die Seite des Kinos. Bei den Abbruch-Arbeiten des Scala ist Douglas Wolfsperger mit seiner Kamera allerdings nicht mehr gern gesehen.

Ein Körnchen einer weit verbreiteten Entwicklung, aber ach, ein Körnchen nur – wenn da nicht plötzlich der enorme Haufen wäre, der kulturelle Scherbenhaufen.