Tatort Franken: Ein Tag wie jeder andere (ARD, Sonntag, 24. Februar 2019, 20.15 Uhr)

Pissoir-Tatort oder die rasenden Kommissare aus Franken.

Dieser Tatort fängt mit einer Männerklo-Pissoir-Szene an. Diese Szene hat keinerlei Bedeutung für die Geschichte.

Ein Mann kommt aus eine Klozelle, er hinkt leicht, ist ein Uniformierter, er will sich entfernen, bleibt kurz stehen, horcht und fragt in Richtung verschlossener Klotür, ob alles in Ordnung sein. Jetzt begibt sich die Kamera in die bewusste Zelle, kniet sich frontal einem älteren, sitzenden Herren gegenüber, der an Krämpfen zu leiden scheint. Das sieht der Herr draußen nicht. Vielleicht geht es in diesem Tatort um Nierensteine, Klo- und Pissoirhygiene oder es wird ein Prostatafilm.

Oder Drehbuchautor Erol Yesilkaya und Regisseur Sebastian Marka wollen den Zuschauer erst mal verarschen, indem sie nicht mal die Richtung oder das Thema ihres Falles verraten wollen. Ihre Geschichte soll ein großes Geheimnis bleiben – vorerst. Sie müssen vielleicht Sendezeit schinden, weil ihre Geschichte zu dünn ist.

Es folgt eine merkwürdig theatralische Gerichtsszene mit der regelrechten Exekution eines Prozessteilnehmers. Der Zuschauer versteht nur Bahnhof. Immer noch wollen die Autoren dem Zuschauer nicht den geringsten Hinweis auf das Thema ihres Krimis geben.

Dann schauen die Tatortmacher in der Polizeikantine vorbei. Hier sitzen die Franken-Tatort-Kommissare mit anderen, üben sich in Smalltalk, auch über das Thema Small-Talk reden sie.

Dazwischen gibt es Impressionen aus einer Molkerei, wie Milch homogenisiert wird. Anhand einer Milchtüte reden die Kommissare über homogenisierte Milch. Aber auf keinen Fall so, dass der Zuschauer auf die Idee käme, das könnte das Thema des Krimis werden.

Vielleicht ist dem Autor aufgefallen, dass das alles nicht zielführend ist und kaum Zuschauer fesseln dürfte, da sie im Unklaren gelassen werden, worum es geht.

Nächster Versuch, das Thema noch im Dunkeln zu lassen. Der erste Mord passiert genau um 14 Uhr. Und so wie ihn der Zuschauer gesehen hat, werden ihn und die Kommissare noch weitere, Schlag-x-Uhr-Morde erwarten.

Die Kommissare müssen über Psy-Fähigkeiten verfügen. Denn der nächste Mord passiert um 15 Uhr. Immerhin ist dem Zuschauer jetzt klar, dass alle Stunde ein Mord passiert. Aber ein Thema und der Grund für diese Systematik sind immer noch nicht erkennbar.

Wie aber die zwei Kommissare in Blitzgeschwindigkeit zum ersten Tatort gelangen (vom Polizeipräsidium zum Gericht), dort ihre Befragungen vornehmen, die Spuren lesen und wie sie, da um 15 Uhr der nächste Mord passiert, offenbar blitzschnell vom Gericht zur Uniklinik rasen und was sie sich in der Zeit schon alles an Informationen holen, das ist schon irre. Irre Kommissare. Comicreif.

Derweil der Täter in der Taxe auf dem Weg zum Grünen Hügel ist und eine ulkige Szene mit einem Taxler hinlegt. Die Kommissare haben jetzt schon eine Menge recherchiert in der kurzen Zeit, haben den zweiten Tatort untersucht und können schon hochrechnen, wo der nächste Mord um Punkt 16 stattfinden wird.

Was die in einer Stunde alles machen (und in Thurnau schauen sie auch noch vorbei zwischendrin), so schnell kann keine Polizei der Welt sein. Die Frankenkommissare als die schnellsten der Welt, schneller als Erkenntnise realistischerweise zu sammeln sind. So etwas könnte vielleicht einem Hans-Guck-in-die-Luft wiederfahren.

Wie sie losfahren, am Grünen Hügel ankommen, ein simples Absperrgitter nicht einfach beiseite schieben und zu Fuß bis zum vollkommen unbewachten Festspielhaus gelangen – also ganz entgegen der allgemeinen Lebenserfahrung mit der heutigen Sicherheitshysterie – , sich hier noch die nötigen Informationen holen, das alles wiederum innert einer Stunde, das übersteigt jede Lebenserfahrung, Kommissare, die innert zwei Stunden drei Tatorte aufsuchen, untersuchen und die Resultate auch noch auswerten, so dass sie den nächsten Tatort vorhersagen können. Richtige Blitzteufelchen sind das.

Und wir wissen immer noch nicht, worum es geht in diesem Tatort.

Erst nach etwa einer Stunde – gefühlte vier – konstruiert sich allmählich ein Fall zusammen.

Es kommt dann auch die einzig spannende Figur des Krimis ins Spiel, die sich allmählich als das Hirn hinter der Sache entpuppt, Stephan Großmann als Martin Kessler und wie er auf einer persönlichen Begegnung mit seinem Gegner Koch (Jürgen Tarrach) besteht. Eine Erpressergeschichte, die kurzfristig etwas Zug in die hirnrissig verschwurbelte Geschichte bringt, in der häppchenweise mit nicht als solchen gekennzeichneten Rückblenden Hinweise zum Fall gegeben werden, für die Superschlauen aus den Tatortratern.

Die Begegnung selbst verläuft allerdings enttäuschend, was die Dialoge betrifft, da hätte der Autor sein Hirn schon etwas mehr anstrengen dürfen. Und auch Tarrach scheint sich mit Rollenvorbereitung nicht überanstrengt zu haben.

Vermutlich war die verantwortliche Zwangsgbührentreuhänderin Stephanie Heckner, also die zuständige BR-Redakteurin, gerade im Winterschlaf und hatte keine Stellvertretung, so dass das Drehbuch unbesehen in die nicht überbegabten Regiehände gelegt wurde, mit einem Cast, der selbst nicht allzuviel verstanden haben dürfte und über Routineacting nicht hinausgekommt.

Immerhin darf die Kommissarin jetzt mal richtig auf Menschen schießen.

Dieser Tatort ist ein überzeugendes Plädoyer für die Absetzung der Tatort-Reihe, wenn sie nicht mal in der Lage sind, eine Geschichte mit einem an sich spannenden Haupttäter auch spannend zu erzählen. Sondern mit einer Pisssoirzene anfangen und damit das Niveau vorgeben.

Statt dass der Fall klar geschildert wird und sich der Zuschauer so für den Täter und seinen Konflikt interessieren darf, soll er lediglich herausfinden, was für ein Fall überhaupt geschildert werden soll. Der Zuschauer wird zum Ratedeppen reduziert, fröhliches Thema- und Fallraten, und an der Nase herumgeführt.

Das Urmenschliche hinter der Sache – und insofern die Relation zur Demokratie und damit auch zum Grundauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – wird ihm vorenthalten. So besehen hat ein solcher Tatort rein gar nichts in einem öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu suchen, Privatsender, die Rätselsendungen favorisieren, reichen vollkommen aus, falls es denn solche überhaupt gibt, die sich von so miserablem Erzählhandwerk etwas versprechen.

Mit solchen Tatorten erweist sich die Forderung des BR-Intendanten (jawohl, der mit dem Kanzlerinnengehalt!) nach Erhöhung der Haushaltszwangsgebühr als haltlos und er auf seinem Chefsessel als überfordert. Aber die ARD hat dank solcher Intendanten anderes zu tun: sie verpflichtet für 120 000 Euro eine Formulierungsnanny (Frau Wehling mit ihrem Framing Manual), damit sie ein solches Schwachprodukt wie diesen Tatort womöglich als eines „unseres freien, gemeinsamen Rundfunks“ ausgeben kann.

Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers!

Kommentar zu den Reviews vom 21. Februar 2019

Porträt eines amerikanischen Drecksackes. China beweist, wie es filmindustriell auf Aufholkurs ist. Aus Skandinavien SvedenMetal bis an die Grenzen des Todes. Phänomen Jugoslawien/Serbien. Russische Kinderanimation. Aus Hamburg Milljöh-Studien. Amerikanisch: Remake eines europäischen Autoren-Erfolgsfilmes, Illustration eines tödlichen Gesellschaftsspieles und die Reparatur von Schwulen. Auf DVD die Fortsetzung einer sympathischen Kater-Kindergeschichte. Im TV gab es einen aufschlussreichen Film über einen kreativen Modemacher; ferner durfte der deutsche Zwangsgebührenzahler einen Rohrkrepierer von Werbefilm für ein Hotel in Österreich finanzieren.

Kino
VICE – DER ZWEITE MANN
Fliegenfischen ist direkt Hochzivilisation gegen das, was dieser Ami mit angerichtet hat.

ASCHE IST REINES WEISS
China holt filmindustriell auf; hier beweist es leichterhand den Stand von vorm „New-Hollywood“.

LORDS OF CHAOS
Der Wettbewerb unter zwei Black-Metal-Mitgliedern treibt mörderische Blüten.

HOTEL JUGOSLAVIJA
Ein Stück bitter funkelnder Balkangeschichte.

DIE SCHNEEKÖNIGIN 4: IM SPIEGELLAND
Magie ist dem wissenschaftsgläubigen König Harald suspekt.

DER GOLDENE HANDSCHUH
Hamburger Zille-Idylle mit Makel.

MEIN BESTER & ICH – THE UPSIDE
Ordentliches, amerikanisch-filmindustrielles Remake von „Ziemlich beste Freunde“

ESCAPE ROOM
Dass solche Abenteuerspiele tödlich enden können, belegt ein Unfall in Polen anfangs dieses Jahres.

DER VERLORENE SOHN
Schwulität heilen, in Amerika.

DVD
PETTERSSON & FINDUS – FINDUS ZIEHT UM
Ein Umzug mit Folgen auf die Idylle.

TV
DRIES VAN NOTEN
Der Modemacher ist Künstler durch und durch, in jeder Faser, in jeder Sekunde.

ZAUBERBERG
Imagefilm für ein Hotel in Südtirol; Dokukompetenz mangelhaft.

Der Goldene Handschuh

Akin, ein Hamburger Zille?

Fatih Akin bleibt sich treu, schon vor über zwanzig Jahren zeichnete er im Kurzfilm „Getürkt“ eine liebevolle, zu Herzen gehende Idylle der Wohnung seiner Oma in der Türkei, auf deren Balkon er Hasch anpflanzte.

Seither macht er Langfilme und bringt es in der Kunst der Zille-Idylle zu wahrer Meisterschaft.

Jetzt ist das Hamburger „Milljöh“, falls man das so bezeichnen kann, der frühen 70er Jahre dran.

Mit spitzwegscher Akribie sind die beiden Hauptlocations nachgebaut und eingerichtet: die runtergekommene Kneipe „Der goldene Handschuh“ mit Jukebox und die Dachwohnung des Fritz Honka (Jonas Dassler). Dieser arbeitet erst als Hafenarbeiter, später als Nachtwächter.

Honka ist eine auffällige Figur mit Schielauge und einer verformten Nase. Der für die Rolle vielleicht noch etwas junge Jonas Dassler entwickelt für die Figur, was im deutschen Kino selten ist, einen ganz eigenen Gang, wobei manchmal nicht klar ist, ob dieser arthritisch bedingt ist; auch die Hände hält er manchmal, als ob die Arme etwas verkrüppelt wären und wenn seine Action heftig wird, überschreitet er ab und an die Grenze zur Knallcharge oder zur Klamotte. Bei Nahaufnahmen auf das Gesicht und die sorgfältige Maske kommt er aber als ein ganz spezieller Typus überzeugend rüber.

Und wenn jemand so offensichtlich „spielt“, dann ist das Publikum schnell zu begeistern von der gut ablesbaren Schauspielerei als solcher.

Für die Bestallung der Hafenkneipe mit überwiegend älteren, knorrigen Männern und aus der Form geratenen, älteren Frauen hat die Gattin des Regisseurs, Monique, einen ausgezeichneten Cast gefunden mit einem Schlag ins Derb-Proletarische, es sind keine vom Subventionsfernsehen oder Kino verbrauchten Gesichter dabei.

Das Hamburgisch als Lokalkolorit ergänzt die Stimmung an menschlicher Abschaumigkeit trefflich.

In dieser sich selbst genügenden, harmonischen Idylle passieren Dinge, die sind nicht korrekt. Honka hat ein gestörtes Verhältnis zu Frauen, er fängt an, sie zu ermorden.

Wie am Bankschalter verhält sich Akin bei den Untaten: Diskretion, Abstand halten. So sieht man den Honka von hinten, wie er auf dem Bett auf einer vor ihm liegenden Frau rumfuhrwerkt.

Honka war ein Serientäter. Und da Serientäter nicht pausenlos morden, bleibt Akin realistisch in dem Sinn, dass er vor allem die Zeit zwischen den Morden zeigt. Da hängt Honka in der Kneipe rum oder lädt Frauen zu sich ein, ohne dass er sie gleich tötet und man sieht ihn auch mal auf Arbeit.

Irgendwann aber muss jeder Film zum Ende kommen, Akin könnte unendliche viele solche Zille-Idyllen aneinanderreihen. Die Griechen in der Wohnung unter Honka werden wichtig, weil ein Ende kommen muss. Denn wie er oben mit einer Schere auf ein Opfer losgeht, reißen die Griechen drunter einem toten Tierkopf den Kiefer auf, schneiden Fleischiges raus – das ist einer der wenigen, aber relativ plumpen Verweise auf die Horribilität des Streifens, oder während Honka seinem Opfer Wiener in den Hintern steckt, schneidet Akin eine junge Metzgerin dagegen, die Rohfleisch isst. Das wirkt so ein bisschen billig. Aber auf seine Art ist das Milljöh ja auch billig.

Jedenfalls werden die Griechen in dem Moment wichtig, weil es von der Schlachterei über ihnen von der Decke tropft. Das führt zu einem Feuer und zur Enttarnung des Serienkillers, der so gar nicht killerhaft rüberkommt, eher wie ein Glöckner-von-Notre-Dame zwischen Schul- und erwachsenem Theater.

Was mich wundert: Filmemacher wollen mit ihren Filmen Erfolg haben. Für die Berlinale reicht es so allemal. Aber für das breite Publikum, und gerade einem solchen will der Film als moralische Anstalt zeigen, dass ein Massenmörder auch nur ein Mensch ist, müsste das Drehbuch dann doch mehr Wert aufs Narrativ, auf die Geschichte legen. Akin hält es wohl nicht für nötig, schreibt das Drehbuch gleich selber nach dem Roman von Heinz Strunk.

So ist der Film eine beliebige Zahl aneinandergereihter, intensiver Idyllen aus dem Hamburger Milljöh von anno frühe Siebziger, aber eine Kinogeschichte ergibt sich daraus nicht. Das deutsche Kino ist mit sich selber immer viel zu schnell zufrieden. Und wundert sich dann über die Diskrepanz zwischen 400 Millionen Förderung und der relativen Bedeutungslosigkeit des Outputes. Immerhin fließt der Schnaps in Strömen: Milljöh eben.

Escape Room

Ein Escape Room kann zu einer lebensgefährlichen Falle werden. Das haben kürzlich die Zeitungen berichtet, ein willkürlicher Griff bei Google. In Polen sind fünf Teenager in so einem Escape Roome anfangs Janaur verbrannt.

Interessanterweise kommt hier im Film von Adam Robitel nach dem Drehbuch von Bragi F. Schutz und Maria Meinik ein Blick auf eine Zeitungsschlagezeile vor, eine Zeitung aus Chicago, die von fünf Verbrannten in einer solchen Spielräumlichkeit berichtet – die Szene dürfte lange vor Januar 2019 gedreht worden sein.

Lebensgefahr scheint diesem Überlebensspiel also immanent.

Adam Robitel illustriert ein solches Spiel. Allerdings machen die Teilnehmer nicht freiwillig mit. Es steht das verlängerte Thanksgiving-Wochend bevor und Zoey (Taylor Russell), Ben (Logan Miller), Jason (Jay Ellis), Mike (Tyler Labine), Amanda (Deobrah Ann Woll) und Danny (Nik Dodani) erhalten per Eilbote ein Paket mit einer schwarzen Box drin, die nur mit List, Tücke und Glück zu öffnen ist. Es ist die Einladung.

Die Probanden machen widerstandslos mit, es scheint, dass keiner etwas anderes für die freien Tage geplant hat. Sie kennen sich nicht. Warum just sie ausgewählt wurden, bleibt vorerst im Dunklen. Während des Spieles gibt es einen Erklärungsansatz, der aber selbst auch im Dunkeln bleibt.

Ein bunt zusammengewürfter Typcast als Schicksalsgemeinschaft, die nicht rebelliert gegen die Grundsituation. Prinzipiell machen sie das Spiel mit, das zusehends Verzweiflungssituationen erfindet.

Die Schauspieler machen ihre Sache ordentlich, die Ausstattung ist erfinderisch in einer Vielzahl von unterschiedlichen und manipulierbaren Innenräumen.

Die erste Szene mit deutlicher Mordsmechanik gibt den Charakter der Jahrmarktunterhaltung vor. Das bleibt der Unterschied zum weiteren Begriff von Kino, dass es keine spannende Kinogeschichte ist, sondern lediglich die prima Bebilderung eines Spiels, wobei die Erklärungsversuche am Schluss dürftig bleiben.

Hotel Jugoslavija

Behutsam tastet sich Nicolas Wagnières mit seiner Dokumentation sowohl an die prägende Region seiner Kindheit heran, die er lange verlassen hat, als auch an deren identitätsstiftende Qualität.

Es geht um Jugoslawien, im Besonderen um Serbien. Um den idealistischen Aufbau des Landes nach dem zweiten Weltkrieg. Den hat Wagnières Mutter erlebt. Die Jugend hat Straßen, Eisenbahnlinien und Häuser mit einfachen Mitteln und viel Idealismus wieder aufgebaut, hat die Einheit Jugoslawiens in Brüderlichkeit hergestellt. Die Mutter machte begeistert mit. Die Aufbauaktion hieß ‚Radna Akcija‘. Es hatte etwas Pfadfinderhaftes und Alternativen gab es keine.

Später ist die Muter in die Schweiz gezogen. Der Vater ihres Sohnes, also des Filmemachers, liebte sie aus ideologischen Gründen. Viel mehr ist über ihn nicht zu erfahren. Aber diese Pflanze des Glaubens an eine gute Menschheit, die damals in Jugoslawien gedieh und die nach dem Tod Titos in der Art einer langsamen Implosion mit den Jugoslawien-Kriegen grauenhaft endete, die ist im Filmemacher lebendig, rätselhaft. Jugoslawien zieht ihn an.

Die Jugoslawen, das seien die Slawen des Südens, sage der Begriff.

Seit 2005 besucht Wagnières jährlich Zagreb. Das Haptische, was ihn anzieht und an dem er die Erinnerung resp. die Suche nach ihr festmacht, ist das Hotel Jugoslavia.

Beim Wiederaufbau unter Tito wurde 20 Jahre lang an dem Haus gebaut. Anfänglich sollte es ein Wohnhaus werden. In den 60ern entschied der – längst diktatorisch gewordene – Staatschef, daraus das größte und prestigeträchtigste Hotel des Balkans zu machen. In das Hotel ist nicht jeder Bürger reingekommen. Glücklich, wer dort eine Arbeit ergattern konnte. Ein Ehemaliger berichtet.

Wagnière hat das Hotel in verschiedenen Zuständen erlebt und dokumentiert. 1990 wurde es von der Nato bombardiert, weil ein großer Verbrecher, Arkan, dort ein Casino eingerichtet hat. Das Hotel spiegelt den politischen Zustand des Landes in häufigem Umbruch.

Wagnières hat exzellentes Archivmaterial zusammengetragen, vom Straßenbau der idealistischen Jugend bis zu prunkvollen Staatsempfängen für Besucher aus aller Welt durch Tito. Aus der Prunkzeit gibt’s Ausschnitte aus einem deutschen Werbefilm. Damals wurde auch ein jugoslawischer Spielfilm gedreht, der im Hotel spielt und diese Entwicklung kritisch beleuchtet und nicht gezeigt werden durfte. Heute gibt es auch daraus Ausschnitte zu sehen. Da geht es thrillerhaft zu in dem Hotel.

Und es gibt zu sehen, wie der Sprecher des Staatsfernsehens sich anschickt, die Nachricht vom Tode Titos zu verlesen – und die Reaktionen im Lande draußen. Die Verehrung für den Diktator kannte keine Grenzen, das zeigt die Betroffenheit.

Ein Ansatz von Morbidität schleicht sich in Wagnières Film, wenn er sagt, er fühle sich vom Jugoslavija angezogen wie von einem Friedhof, dessen Kadaver nichts mehr zu erzählen haben. – Uns aber hat er sehr viel erzählt.

Die Schneekönigin 4: Im Spiegelland

Animation à la Russe.

Dieser russische Kinderfilm mit Blockbusteranspruch unterscheidet sich deutlich und auch erfrischend von den amerikanischen Pendants.

Hier im Film von Robert Lence, der mit Andrey Korenkov + 3 das Buch geschrieben und mit Aleksey Tsitsilin die Regie geführt hat, ist das Grundthema ein politisches.

König Harald, der den Wissenschaften zugetan ist, immerhin, ist allergisch gegen das Magische. Das kann jeder lesen, wie er will. Was ist das Magische? Es ist wohl das Phantasievolle, das nicht unbedingt Berechenbare, aber auch das Freiheitliche, das sich nicht von jeder Macht beherrschen lässt. Es ist das, was für Alleinherrscher gefährlich werden kann.

König Harald hat die Schneekönigin eingefangen und hinter einem vereisten Tor eingesperrt. Er will alle Menschen, die über Magie verfügen, zu ihr sperren. Diese gehen da hinein und kommen nicht wieder heraus. Aus diesem eisigen Gefängnis gibt es kein Entrinnen.

Um alle Magier einzufangen, lässt Herald im ganzen Königreich verkündigen, es gebe einen Wettbewerb für Magier. Das ist eine Falle. Die Spiegelmacher-Familie von Gerda ist magisch befähigt. Nur Gerda selbst kann bei sich keinerlei magischen Kräfte entdecken. Sie bleibt zurück. Die Familie marschiert in den eisigen Block, denn nur wer über magische Fähigkeiten verfügt, kann dort hineingehen.

Gerda erfährt wegen einer guten Tat von der Falle, die der König den Magiern gestellt hat. Jetzt gilt es, mit anderen Gefährten abenteuerlich und mit Hilfe von Piraten und Trollen, Wege und Mittel zu finden, die Schneekönigin und ihre Mitgefangenen zu befreien. Dazu wird die Weisheit nützlich, dass man in besonders extremen Lagen, besser seinem größten Feind trauen soll. Eine bemerkenswerte Weisheit.

Die Machart unterscheidet sich von amerikanischen Filmen wie Drachenzähmen oder Lego durch mehr Erdung, mechanistisch nachvollziehbarere Kettenreaktionen, dadurch wirken sie waghalsiger, wobei ein schalkhaft-schelmischer Blick auf die Figuren und deren Selbstwahrnehmung geworfen wird. Der Film zeichnet sich durch plausible Konkretheit und weniger durch Gags um der Gags willen wohltuend aus.

Der Film hat seine Freude an Fortbewegungsmitteln jeglicher Art, von piratenhaften Segelschiffen, von Autos, die aussehen wie fahrende Heizkessel, von Luftschiffen origineller Art, ballonhaft oder mit Kufen und von solchen, die mit vier Schläuchen Wasser tanken können. Während in die Kostüme Folklore, höfische Uniformen und Piratenpittoreskes einfließen. Für den Count-Down bedienen sich die Russen des Transformer-Elementes.

Entscheidend für das gute Leben aber ist nicht die Magie, sondern ein guter Menschen zu sein, so wie Gerda. Interpretierbar.

Vice – Der zweite Mann

Herzspende ist shitty.

„A little piece of shit“ wird der Protagonist dieses Spielfilmes nach einem Stück aus der amerikanischen Geschichte – keinem ruhmreichen – genannt.

Es ist Dick Cheney und er kommt als ganz großer Sch…haufen rüber. Er wirkt in der keine Abgründe suchenden Darstellung von Christian Bale nur noch schlimmer. Was der alles mitzuverantworten hat, man könnte sich aufregen, die Tausenden von Toten in Afghanistan, dann im Irak, auch eigene Soldaten, Tausende; Tote, Gefolterte, Krüppel, Waisen, kaputte Familien.

Was sich im Film von Adam McKay in quasi harmlos anmutender Illustration eines Fotoalbumes aus dem Leben dieses Mannes, der bis heute für keines seiner Verbrechen zur Rechenschaft gezogen worden ist, ausbreitet – dagegen würde man sich fast glücklich nennen mit eine Präsidenten Trump, der bis jetzt noch keinen Krieg angefangen hat und nicht Weltpolizist spielen will.

Ungeheurlich auch, dass viele Kompetenzen, die sich Dick Cheney als Vizepräsident unter dem Begriff der „Unitary Executive“ unter den Nagel gerissen hat, bis heute ihre Gültigkeit behalten haben.

Weil das alles so ekelerregend und verabscheuungswürdig und kaum zu glauben ist – manchmal zeigt McKay den direkten Zusammenhang zwischen einen Beschluss im Weißen Haus und der blutigen Wirkung Tausende von Kilometern entfernt, sei es in Vietnam, in Afghanistan oder im Irak -, erlaubt er sich erzählerische Kunstgriffe, die mehr wie hilflose Versuche wirken, das Unfassliche fassbar zu machen.

Er lässt die Geschichte von dem Mann erzählen, der sein Herz dem schwer kranken Cheney spendet oder er lässt sich von der Fliegenfischerei verzaubern, zeigt Cheney öfters beim Fliegenfischen, zeigt immer wieder die Angel und gönnt den „Fliegen“ im Abspann eine eigene kleine Ausstellung von der Vielfalt bunter Federn und den blutigen Haken dran.

Das reicht als Gegengewicht nicht aus, um die menschliche Verkommenheit einer solchen Politikerfigur auch nur annähernd auszubalancieren.

Wobei auch Amy Adams als seine Frau Lynne zwar Anerkennung für ihre schauspielerische Leistung zu ernten vermag, aber die Figur bleibt doch rätselhaft, wie kann man ein Leben lang zu so einem Kotzbrocken halten.

Zu denken geben sollte auch im Hinblick auf die amerikanische Geschichte, dass sowohl George W. Bush als auch Cheney in der Jugend lange Saufphasen hatten. Vielleicht als Warnung zu lesen.

Ein wenig soll die Beziehung des Ehepaares romantisiert werden, wie er einen Entschluss mit ganz besonders brutalen Folgen für die Weltgeschichte fällen sollte, als Vicepräsident von Bush Junior in den Wahlkampf einzusteigen: den Disput versucht sich das Ehepaar im Ehebett mit dem gegenseitigen Zitieren von Shakespeare-Versen zu versüßen und im Anschluss gibt es eine Cheney-Zähneputzszene die als kabarettistische Übersprungshandlung eingefügt ist.

Der Spielfilm erhält historische Erdung mit Archivauftritten von Präsidenten wie Nixon, Reagen, Bush Senior, Bush Junior, Obama, sowie News-Material von den völkerrechtswidrigen Einsätzen in Vietnam, im Irak und in Afghanistan.

Mein Bester & Ich – The Upside

Beim ersten Schauen des Originals Ziemlich beste Freunde war das eine erfrischende Überraschung. Das ist über sechs Jahre her.

Jetzt versucht sich Neil Burger nach der Drehbuchbearbeitung von Jon Hartmere nach dem Originaldrehbuch von Éric Toledano an einem amerikanischen Remake. Es ist eine durchaus ordentliche Arbeit geworden. Vieles ist größer, das Naiv-Gemälde des zweiten Protagonisten Dell (Kevin Hart) wird jetzt für 50′ 000 Dollar an einen ungeliebten Nachbarn verhöckert. Im Paris des Vorgängerfilmes hat es noch 11′ 000 Euro eingebracht.

Insgesamt, um die Vergleicherei kommt man nicht herum, scheint mir diese amerikanische Variante zahmer, absehbarer, die Gut-Menschen-Botschaft deutlicher und damit breiter ausgedrückt, der erste Protagonist, der superreiche Phillip (Bryan Cranston) scheint sich erfolgreich an Francois Cluzet angelehnt zu haben; während Kevin Hart vielleicht zu erfolgreich als Komiker ist und nicht ganz die umwerfende Naivität eines Omar Sy auf die Leinwand bringt.

Die Situationen funktionieren. Sie wurden moderat an die moderne Zeit (App „I-Deal“) aber auch an den Komiker angepasst (eine extra Nummer, wenn Dell den Schlauch für den Katheder tauschen soll; er kann das Wort Penis nicht aussprechen – wobei offenbar seine Komplexbeladenheit mit dem eigenen Geschlecht reinspielt).

Andererseits scheint mir der deutlich größere Produktionsapparat im amerikanischen Kino zwar zur Deutlichkeit, nicht aber unbedingt zur Leichtigkeit beitzutragen. Wobei seit dem Riesenerfolg des Originals sieben Jahre ins Land gegangen sind und das Publikum gewiss nach neuen Geschichten hungert, die es überraschen. Solider macht nicht lustiger.

Der verlorene Sohn – Boy Erased

Mit heiligem Ernst erzählt Joel Edgerton nach den Memoiren „Boy Erased“ von Garrard Conley die Coming-Out Geschichte des Pfarrersohnes Jared Eamons (Lucas Hedges) und wie die Kirche versucht, mit einer reperativen Therapie diese Sünde ihm auszutreiben.

Der Film ist gedacht als Message-Film, der auf diese Therapie hinweisen will, die immer noch praktiziert wird („Love in Action“). Die lieben Eltern schicken Jared auch zur Vertrauensärztin, die einen Testosteron-Test machen soll, wobei der Ärztin zum Vornherein klar ist, dass bei ihm alles normal sein wird. Insofern ein Themenfilm anhand eines konkreten Ereignisses.

Die toll blondierte Mutter wird gespielt von Nicole Kidman, fast Vamp, der Vater, Marshall Eamons, von Russel Crowe.

Im College macht der Junge seine ersten schwulen Erfahrungen. Das kommt unterbettdeckenschwülstig rüber. Wie das ruchbar wird, will sein Vater ihn in eine Therapie stecken.

Der Film zeigt diese Therapie in detailliebender Ausführlichkeit wie in einem Informationsfilm. Mit wenigen, eindeutigen Blicken unter den männlichen Patienten macht er auch klar, dass es ein vergebliches Bemühen bleiben dürfte.

Uns hier in Mitteleuropa kommt das befremdlich vor. Mag sein, dass es auch hierzulande solche Bemühungen gibt. Die genießen indes kaum Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Die Lesben- und Schwulenbewegung hat doch einiges erreicht. Auch wenn das Coming-Out nach wie vor für viele eine schwierige Angelegenheit sein dürfte.

Hiob wird im Film als Spaßbremse bezeichnet. Der Film übernimmt in seiner Aufklärungs-Haltung den Grad an Ernsthaftigkeit, mit der die Kirchenleute Jared die Homosexualität austreiben wollen.

Asche ist reines Weiß

Pulsierendes, chinesisches Kino,

das dürfte die Absicht von Zhangke Jia gewesen sein. Und so fängt er auch an.

Mitten hinein in eine aufregende Busfahrt durch chinesisches Land anno 2001. Es rüttelt und schüttelt. Die Figuren sind erstklassig inszeniert. Sie erwecken den Eindruck von innerem Monolog und dass sie schon lange unterwegs sind. Den Chor zu inszenieren, das gilt als eine der Qualitäten eines guten Regisseurs.

Aber nicht nur das. Auch die hin- und hergerissene Liebe/Nichtliebe seiner beiden Protagonisten, die von Quiao (Tao Zhao) und Bin (Fan Llia). Sie symbolisieren in ihrer schauspielerischen Perfektion den Typus reiner Leinwandstars aus China. Unglaublich wie beherrscht sie spielen. Wobei für Quiao auch die Rolle als Unternehmerin, wenn auch klein und im ländlichen Raume, das anbietet. Während ihr Gegenpart Bin mit der Unterwelt zu tun hat.

In der nächsten Szene ist der Film in Datong gelandet in einer Spelunke, in der Quiao herrscht und Bin ein- und ausgeht; ständig wechseln Bündel von Banknoten die Hand. Wobei der Begriff der Rechtschaffenheit gilt. Wer Schulden macht, muss sie zurückzahlen.

Von Datong aus macht der Film eine doppelte, ja eine dreifache Reise. Das ist überambitioniert und wirkt sich dann doch erschwerend auf die Perzeption aus.

Es wird eine Reise durch China, durch die Jahre bis 2018 und somit auch durch den chinesischen Aufschwung dieser Zeit und ebenso so durch die immer schwebende Liebesbeziehung zwischen Quiao und Bin.

Es gibt Szenen in großartiger, freier Natur. Vor einem nicht brennenden Vulkan gibt es theoretischen Input, der dem Film ein Prise Geist einträufeln soll, über die Asche vom Vulkan wird gesprochen, und dass sie wegen der hohen Temperaturen besonders rein und weiß sei.

Das dürfte der Nachteil dieses Filmes sein, dass er diffus oder überambitioniert ist, dass er zeigen möchte, nicht nur, was China im Kino kann (mich erinnert es an erstklassiges, altes Hollywood-Starkino), sondern auch, wozu China es gebracht hat mit dem Dreischluchten-Staudamm, den Superschnellzügen, modernen Flughäfen, ohne gleichzeitig das Thema neuer Reichtum, Ungleichverteilung und Korruption auszulassen mit Einbezug der ständigen privaten Videodokumentation genau so wie einer Diskussion zwischen moderner westlicher und klassisch chinesischer Medizin und eine moderne Handelskammer kommt auch noch vor und der Filmemacher möchte noch dazu eine schwierige Liebesgeschichte erzählen. Sogar Ufos und ein Ufoforscher schaffen es in diese Gemengelage. Wobei diese ihre Deutung vielleicht als Hinweis zu einer Interpretation der letztlich undurchschaubaren Quiao genommen werden könnte.

So scheint mir der Film mehr eine Absichtserklärung eines neuen chinesischen Kinos zu sein, dem seine „Nouvelle Vague“, seine „Beat-Generation“-Erfahrung oder sein „New Hollywood“ noch bevorstehen. Interessant als Blick über den Tellerrand hinaus allemal. In China tut sich was, auch wenn es im Augenblick noch eine Rundreise von Datong nach Datong ist.