Luft

Sinnliches, deutsches Kino,

gibt es das?

Dieser Film von Anatol Schuster, der mit Bitta Schwerm auch das Drehbuch geschrieben hat, beweist es.

Ein Film, wie eine Trance über die Transition des Menschen, wenn in seinem Leben der geschlechtliche Faktor anfängt, virulent zu werden, wenn das häusliche Nest zu klein wird, wenn ein Unruhe den Menschen antreibt, hinauszugehen, zu schauen, zu suchen. Die Übergangszeit zu neuer Paarung.

Schusters Film fasziniert durchs das Schwebende dieser Situation, das er mit traumhafter Sicherheit einfängt und wie mit einem Schmelz aus leicht vergänglichkeitsnostaligischer Patina überzieht. Es ist die flirrende Atmosphäre, in welcher der Mensch Luft hat, braucht oder sie sich nimmt zwischen dem Eingeschnürtsein in seine hergebrachte Familie und dem, was vor ihm steht.

Manja (Paula Hüttisch – eine junge, hübsche Edition von Karoline Eichhorn) ist Schusters Hauptfigur. Es geht um die Wahrnehmung der Weltveränderung, die auf sie zukommt. Deshalb spielen die Augen eine extraordinäre Rolle, die Brillen dazu, ein abgebrochener Bügel oder Kontaktlinsen, ein riskantes Manöver ist es, sie einzusetzen.

Aber das Leben sei eben immer auch Schmerz, heißt es an einer Stelle. Auch die Biographien der Protagonistinnen weisen Schmerz auf, nebst Manja ist es ihre Schulfreundin Louk (Lara Feith); diese hat Schmerz schon in der Kindheit kennengelernt, vielleicht härter als Manja, die mit Babuschka, ihrer Mutter (Anna Brodskaja-Bombke) und Schwester Ewa in kasachischer Gemütlichkeit in Deutschland nahe der französischen Grenze lebt. Hier gibt es heimatliche Musik, heimatliches Essen, heimatliche Kleidungsstücke. Ein Leben also auch zwischen östlicher Tradition und deutscher Moderne.

Manja bewegt sich wie leicht über dem Boden der Realität schwebend im Wohnhaus, im Park, in der Halle, in der später eine wunderbare Jugendparty stattfindet, in der die Jugend rumhängt, rappt, Anmache betreibt. Wobei selbst diese Party-Szene aus dem üblichen deutschen Nachwuchsfilmspektrum herausragt, vielleicht auch wegen der Konzentration auf die Wahrnehmung von Manja, aber auch wegen der erstklassigen Arbeit des Regisseurs mit seinen Schauspielern. Er fordert sie, sie müssen ihm nicht mit Routinen oder Besserwisserei kommen, so scheint es; dadurch gewinnen sie eine besondere Glaubwürdigkeit (selbst die Komparsen im Restaurant haben eine klare Aufgabe und bleiben so Menschen) und werden interessant.

Schuster sieht die Menschen nicht als Thesenträger, wie der deutsch-subventionierte Themenfilm es – mit wenig Erfolg – praktiziert, nein, Schusters Menschen sind vielschichtig im magnetischen Feld auch widerstreitender Gefühle und immer auch haben sie Geist, reflektieren zwar nicht chronisch sich selber, aber immer gibt es Platz für Gedanken zum Leben, zum Wesen der Männer oder der Frauen, gar zum Film, das sei so eine typische Männersache, die wollen etwas hinterlassen, und dagegen zu großzeiträumigem Denken, zum Hinterlassen von Spuren, damit auch über Spuren im Beton und Mauern als Zeitspeicher. Sogar die Photophobie kommt vor, auch sie hat einen Grund.

Aus all den Nebeln und Impressionen tritt allmählich eine zarte Paarung hervor, aus all den Alltäglichkeiten von kranken Fingern der Oma, die Pilze aneinandernäht, von einem Plastikblumensammler, der keinen Lebenssinn sieht, von Schule, Direktion, Disziplin, humanistischem Bildungsideal, aber auch von Chormusik genauso wie dem Rap, von Jugend, die sich ihre Freiräume in von ihren Vätern und Vorvätern hinterlassenen Industrieräumen oder Ruinen sucht, bevor sie sich ihre eigenen Lebensbehausungen einrichten wird, die Lieblingsplätze in der Natur hat, auch an Naturschutz und Massentierhaltung denkt.

Ein bemerkenswerter deutscher Film, dem alles Subventionstypische (was den Wirkungskreis gewöhnlich sehr begrenzt) abgeht. Zu befürchten bleibt, dass Anatol Schuster sich mit dem Film in den entsprechenden Fachkreisen einen Namen macht und dass er damit in die gleichmacherische Subventions-Bürokratie und -Maschinerie des zwangsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Fernsehens gerät, seine hier schön spürbare Individualität preisgibt. Aber: Von etwas muss der Mensch schließlich leben und wer zahlt, befiehlt, respektive redet drein und wird ihm Schauspieler aufs Auge drücken, die nicht unbedingt das Gefühl verbreiten, dass der Regisseur es besser wisse und die halt einen Namen haben. So hat schon manch Talent als Subventionsgebrauchsname geendet. Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie munter fort.

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