Kommentar zu den Reviews vom 31. Januar 2019

Altersgröße aus Amerika. Winzig Kleines groß aus Frankreich. Kinoprunkstück aus den USA. Wenn Gewicht gewichtlos wird. Coming-of-Age- und Rassentrennungsthema aus Südafrika und aus den USA; hier auch Adoptivfamilienglück und eine weiterer Clean-Film. Ein Hawaihemdenfilm aus Frankreich. Meldungen aus Deutschland: Schauspieler-Produzenten mit einem Mementostück, ein TV-Moderator auf Weltreise- und Kinoabwegen und extrem misslungenes 3D aus Österreich. Auf DVD gibt es algerische Schwalbenerwartung und aus Frankreich einen Bericht über Lernoptimierung. Im TV hat der BR aus dem Karl Valentin Kleinholz an Promisülze gemacht.

Kino
THE MULE
Clint Eastwood on the road singt vergnügt am Steuer.

WINZLINGE – ABENTEUER DER KARIBIK
Käfer mit dem Jules-Verne-Kick.

THE OLD MAN AND THE GUN
Bijouterie-Kino vom Feinsten über einen, der das Rauben nicht lassen kann.

WEIGHTLESS
Gedanken, Visionen haben kein Gewicht.

MIA UND DER WEISSE LÖWE
In Südafrika reicht ein Pferd nicht für das weibliche Coming-of-Age, es muss ein Löwe sein.

GREEN BOOK – EINE BESONDERE FREUNDSCHAFT
Das Kino als moralische Anstalt für jedermann.

PLÖTZLICH FAMILIE
Glückliche Familie ist möglich, sogar mit Adoptivkindern – im Kino erst recht.

THE POSSESSION OF HANNAH GRACE
Lassen sich die Folgen von Exorzismus und Drogentherapie wegschminken?

BELLEVILLE COP
Ob der Eskapismus nach Miami und Daloa gegen die Winterkälte hilft?

DAS LETZTE MAHL
Ein Statement jüdischer Künstler gegen das Vergessen.

CHECKER TOBI UND DAS GEHEIMNIS UNSERES PLANETEN
Der Checker mit dem fetten ökologischen Fußabdruck auf Zwangsgebührenzahlerskosten – ein Grund, die Zahlung der Zwangsgebühr zu verweigern.

THE BIG JUMP
Schlusslicht unter den um die 500 Filmen, die ich letztes Jahr gesehen haben dürfte, in entblößendem 3D.

DVD
WARTEN AUF SCHWALBEN – EN ATTENDANT LES HIRONDELLES
Ein hochmoderner algerischer Beziehungsreigen.

DAS PRINZIP MONTESSORI – DIE LUST AM SELBERLERNEN
Maximierende Manipulation des kindlichen Lerntriebes.

TV
WRDLBRMPFD! – KARL VALENTIN: DER UNVERSTANDENE
Selbst wenn Karl Valentin sich über diese Schmarren im Sarge umdrehen wollte, er würde es vorziehen, sich mit den Sargbrettern rumzuschlagen als mit diesem nichtssagenden Pseudodokubatz.

The Mule

Clint Eastwood, der stramm auf die 90 zugeht, macht noch mit zuverlässiger Regelmäßigkeit fast jährlich einen Film, den er produziert, in dem er die Regie führt und die Hauptrolle spielt.

Im vorliegenden Film ließ er sich durch einen Artikel im NY-Times-Magazine von Nick Schenk inspirieren und das Drehbuch von Sam Dolnick schreiben.

Wieder brilliert er mit seiner unglaublich flüssigen und leicht leserlichen Kinohandschrift. Er selbst spielt die Titelrolle des Mules, des Maulesels, das ist der Begriff, den Drogenhändler für die Kuriere verwenden, sie nennen ihn auch Ata, für die eigene Familie ist er Opa Earl.

Eastwood nutzt den Film, um verschmitzt von den größeren und kleineren Wehwehchen eines alten Mannes zu erzählen.

Sein Geschäft war der Anbau und Verkauf von Lilien. Mit dem Internetzeitalter kommt er nicht klar, verpasst den Anschluss, macht Pleite und wird zwangsgeräumt.

Von der Familie kann er keine Unterstützung erwarten. Seine Geschäftstermine waren ihm wichtiger; Familienfeiern hat er konsequent verpasst und vergessen.

So kommt ihm das Angebot gelegen, Fahrten gegen Geld zu machen, auch wenn das ziemlich konspirativ abläuft. Er tut so, als denke er sich nichts dabei. Trotzdem hat er es faustdick hinter den Ohren, wie einige riskante Situationen zeigen. Denn er hat Gegenspieler bei der Polizei, das wird ihm bald klar. Und da er Clint Eastwood ist, werden die staatlichen Institutionen am Ende für Ordnung sorgen, ohne dass die charmante Geschichte den geringsten Hauch von Law and Order ausströmte.

In Deutschland sollten sich zumindest alle Filmhochschüler jeden neuen Eastwood-Film anschauen und studieren. Da lernen sie mit einem Film mehr über eine hochkultivierte Art des Filmemachens als in endlosen, geschwätzigen Drehbuch- und Regieseminaren.

Belleville Cop

Hawaihemdenfilm.

In den 70ern fing die massenhafte Fernreiselust an zu erwachen. Aber noch konnte nicht jeder so schnell mal in die Karibik, nach Acapulco oder Miami jetten und sich am Pool mit Hawaihemd ablichten lassen. Damals war das für viele noch ein Traum; auf diesen Traum haben die Hawaihemdenfilme geantwortet.

Heute trämt man nicht, man besorgt sich das Ticket mit wenigen Klicks im Internet. Dem Genre ist die Traum- und Sehnsuchtsqualität abhanden gekommen. Also bräuchte es ganz besonderen Anreizes, es noch attraktiv fürs Kino zu machen.

Der fehlt dem Film von Rachid Bouchareb allerdings. Er scheint vom Genre begeistert und auch von Miami Vice. Letzteres zitiert er jedenfalls öfter in diesem seinem Film und Hawaihemden hat er auch eine ganze Kollektion auf seine Darsteller verteilt.

Er schafft es bestensfalls, seine Begeisterung für das Genre erahnen zu lassen. Vorm Totalabsturz bewahren ihn seine beiden Protagonisten, auch wenn sie alleingelassen agieren, aber sie sind Profi genug. Omar Sy als der Detective aus dem Pariser Viertel Melville und Luis Guzmán als Ricardo Garcia, Detective in Miami. Er besteht darauf, Detective genannt zu werden; das soll ein Gag sein; wird wiederholt bis zur Ermüdung.

Auch diesem Gespann sieht man bestenfalls Regie- und Drehbuchabsicht an. Gegensätze, die sich anziehen und gleichzeitig streiten. Aber diese Absicht bleibt als solche stehen; kann sich nicht zu Dynamik aus sich heraus entfalten.

Viel zu wenig gearbeitet ist auch die Idee, Sy einen Mutterkomplex zuzuschreiben. Das geht nicht über die Theorie hinaus und wird durch die Knallchargenbesetzung der Mutter unterminiert. Wobei die Idee durchaus passable wäre, dass die Mutter die kriminalistische Spürnase ist. Das kommt aber in der Durchführung nicht prickelnd zur Geltung. Es wird nicht klar, ob das an mangelndem Regiegeschick von Bouchareb, an mangelnder Drehbucherfahrung oder an zu wenig gründlicher Drehbucharbeit liegt.

Unklar auch, was Constantin Film bewogen hat, den Film in sein Verleih-Programm aufzunehmen. Bei einer Kältewelle wie hier im Januar und in einer Provinzstadt mit nur einem Kino, da könnte der Film für zwei Stunden Ablenkung gut sein. Wenn er alternativlos wäre. Aber schon in einem Kino mit zwei Filmen im Programm, ist die Chance groß, dass der andere Film attraktiver, heutiger wäre.

Das Grundkonstrukt ist schlecht gearbeitet, stammt aus der Wühlküste für Routine-Krimis. Der Pariser Cop kommt mit einem großen Fall von Drogenschmuggel in Kontakt. Er muss in Miami ermitteln. Er gefährdet durch seine Alleingänge immer wieder den Ermittlungserfolg. In Miami ist er gezwungen, mit Ricardo zusammenzuarbeiten. Und seine Mutter nimmt er auch noch mit. Das ist ein ziemlich an den Haaren herbeigezogener Gag, vor allem, wie er umgesetzt wird.

Dann macht der Film noch einen Schlenker nach Daloa, erfindet einen Staatstreich und kann dem Zuschauer nicht mal plausibel den Weg der Drogen nachzeichnen. Die deutsche Routine-Synchro hebt den offensichtlich konstruierten Charakter der Geschichte noch hervor.

The Possession of Hannah Grace

Drogenentzug und Cleanness sind aktuell ein häufiges Thema im amerikanischen Kino. Julia Roberts ist schon im Tagesprogramm mit Ben is Back. Inzwischen folgte Beautiful Boy von Philpp von Groeningen.

Jetzt bringt Diederik Van Rooijen das Thema nach dem Drehbuch von Brian Sieve auf die Leinwand. Wobei das mehr eine Aufschlüsselung von hinten scheint. Jetzt war sie 52 Tage clean, meint Protagonistin Megan (Shay Mitchell) am Ende des Filmes und überrascht mit der Aussage.

Sie haben wir beim Boxtraining erlebt, beim Antritt ihres neuen Jobs in der Pathologie des Boston Metro Hospital. Sie schiebt dort Nachtdienst, eine einsame Tätigkeit, muss neu angelieferte Leichen katalogisieren, fotografieren und in die Kühlfächer schieben.

Da im Titel des Filmes der Begriff „Besessenheit“ vorkommt, geht es aber offenbar um anderes. Es geht um Hannah Grace (Kirby Johnson). Sie ist drei Monate bevor Megan ihren Job antritt, Objekt eines Exorzismus. Der wird mit allen klassischen Mitteln als einführendes Kapitel im Film vorgetragen, vorexerziert, wie ein Schulbeispiel, wie ein Lehrbeispiel für die filmische Umsetzung. Wobei der Schüler ratlos da sitzt und nicht kapiert, warum er das jetzt nachvollziehen soll.

Auch die Szenen in der Pathologie werden mit bewährten Horrormitteln abgebildet, mit Licht, das an- und ausgeht, rational aufgrund von Bewegungsmeldern oder auch mal so. Lange Flure. Schreckgeräusche, schreckhafte Einbildungen der Protagonistin.

An ihr fällt vor allem auf, dass sie in jeder Sekunde ihre Augen aus einem makellos geschminkten Gesicht wirken lässt. Große Augen gleich Schauspielerei. Da noch Schrecken zu spielen, bleibt wenig Raum. Solches Make-Up widersteht jedem Horror und wenn er aus einem Exorzismus hervorgeht, weil die exorzierte Leiche sich rührt. Das belebt den Nachtdienst in der Bostoner Pathologie genrehaft typisch und füllt den Film bis zum seinem Ende.

Plötzlich Familie

Optimistische Familienkomödie.

Familie kann gut gehen – muss nicht immer, kann sogar sehr ungut ausgehen, aber dafür gibt es andere Genres.

Bei Wagners, Pete (Mark Wahlberg, der auch mitproduziert) und Ellie (die unverwüstliche Rose Byrne), wird es gut gehen – nach heißen und temperamentvoll ausgetragenen Disputen mit ihren drei Adoptivkindern.

Dieses Thema hat sich Sean Anders vorgenommen (Daddys Home – Ein Vater zuviel, Daddys Home 2, Kill the Boss 2, Wir sind die Millers, Dumm und Duemmehr), der mit John Morris auch das Drehbuch geschrieben hat. Sie gehen das Thema systematisch, gleichwohl humorvoll an.

Pete und Ellie schaffen es nicht, sich selbst den Kinderwunsch zu erfüllen. So nehmen sie an einem 8-Wochen-Kurs für potentielle Adoptiveltern teil. Die Amis können das aus dem Effeff, solche Atmosphären wie in diesem Kurs filmisch herstellen, sie haben ein Auge für einen bunt gemixten Cast. Verschiedene Paare haben denselben Wunsch. Ein Schwulenpaar ist dabei. Und eine taffe Singlefrau ebenso, die sich ein Karrieresöhnchen heranziehen möchte.

Im Internet können die Paare einen Katalog studieren mit Kindern aller Altersstufen, die dringend ein geregeltes Zuhause bräuchten. Es gibt auch Anleitungen, wie mit Kindern umzugehen ist. Die Kursleiterinnen sind eine sehr strenge und eine sehr herzliche Frau, Sharon (Tig Notaro) und Karen (Octavia Spencer).

Es gibt eine Adoptivmesse. Da hängen die elternsuchenden Kinder und die kindersuchenden Paare rum, Kindervergnügungen. So ein routinierter Komödienmacher wie Sean Anders lässt es dabei nicht aus, eine Szene einzubauen, in der Pete und Ellie ein besonders erbarmungswürdiges Mädchen finden, das allein und traurig dasitzt. Sie fragen die eine Betreuerin interessiert. Peinlich für diese, es ist ihr Töchterchen, das selbstverständlich nicht zu haben ist.

Dann schimpft Ellie über die pubertierenden Kids. Die kriegen das mit, motzen frech zurück. Logo, dass Lizzy (Isabel Moner) später just in Frage kommt. Sie hat noch zwei entzückende, kleinere Geschwister. Sie sind bei dumpfen Pflegeltern untergebracht, die Mutter sitzt im Entzug.

Bis die Familie glücklich und amtlich zusammen ist, gibt es eine Menge Probleme zu bewältigen, heftige Diskussionen und Missverständnisse, besonders mit dem Freund von Lizzy; das kann zu harten Schlägen gegen Unschuldige und Schuldige führen, zu Polizeieinsatz.

Bis alles geklärt ist, darf die dicke Oma Sandy (Margo Martindale) ihre aufdringlichen Auftritte haben. Kindergeburtstage und Thanksgiving, Schule und Sport, Spital, Weihnachten, ein revonationsbedürftiges Haus und das Familiengericht sind weitere Punkte und auch die einsame Nachbarin Mrs Howard (Joan Cusack) bekommt ihre anrührende Szene.

Über allem schwebt eine wohlige Klangwolke. Dass die Realität nicht ganz so fantastisch leuchtet, zeigen eine Reihe von Fotos von realen Familien mit Adoptivkindern im Abspann. Die Differenz zwischen kosmischer und Blutsverbindung wird hier besonders deutlich.

Weightless

Der Titel „Gewichtslos“ könnte der direkte Schlüssel zu dem Bilderwerk von Jaron Albertin, der mit Charlotte Colbert und Enda Walsh auch das Drehbuch geschrieben hat, sein.

Schon sein Vorgängerkurzfilm hieß laut IMDb „Visions“. Visionen, Gedanken. Die Figur, um die sich alles dreht im Film, ist Will (Eli Haley) ein massiv übergewichtiger Junge von 10 Jahren.

Wenn er nur eine Vision wäre, dann wäre er gewichtlos. Es gibt Hinweise auf ein gespaltenes Bewusstsein von Wills Vater Joel (Alessandro Nivola). Er arbeitet, was auch seltsam genug ist, als Baggerfahrer auf einer ausladenden Mülldeponie.

Die Kamera liebt Details von seiner Arbeit, wie Joel mit starken Maschinen den Müllberg traktiert. Wenn es sich um Visionen handeln sollte, so lassen auch solche Details Interpretationen zu. Joel lebt getrennt von der Mutter seines Sohnes. Diese verschwindet eines Tages. Joel soll seinen Sohn, den er nie kennengelernt hat, bei sich aufnehmen.

Interessanterweise gibt es leere Zimmer in seinem Haus. Er besorgt eine Matratze. Das ist ein Vorgang, der überporportional viel Raum einnimmt, wie er diese auf seinem Rücken nach Hause trägt.

Joel ist mit Janeece (Julianne Nicholson) liebesmäßig zugange. Die beiden leben aber nicht zusammen. Es gibt Merkwürdigkeiten. Im Shop einer Tankstelle starrt Joel einmal lange direkt in die Kamera, die die Bilder aus dem Laden auf einen Bildschirm überträgt. Ganz klar wird nicht, was er da sieht, sein zweites Gesicht?

Einmal geht Joel in die Nacht hinaus, plötzlich sind es zwei Menschen, dunkle Schattengestalten, die dicht hintereinander marschieren. Eine trägt weiße Schuhe, das ist fast der einzige Unterschied. Kongruent sind sie nicht.

Ein ander Mal steigt Joel bei einer Überlandfahrt aus seinem nicht näher identifizierbaren Auto an einem Feld braun gewordener, abgestorbener Sonnenblumen aus. Lange pinkelt er. Dann marschiert er los durchs Feld. Als ob er sich von seiner Identität entfernt.

Wasser ist immer ein Element zu Bebilderung von Unterbewusstem, siehe Shape of Water. Hier taucht Joel anfangs des Filmes wie einsten Neptun oder wie Aquaman aus dem Wasser auf. Schleppt sich erschöpft an den Strand. Die Wege aus dem Unterbewussten können anstrengend sein.

Es gibt, das ist vielleicht das Merkwürdigste, keine Konflikte in dem Film, keine Auseinandersetzungen mit einem Gegenüber. Erst recht nicht mit Will, der anfangs höchst passiv ist, kaum redet oder sich vor das Haus setzt und sich eine Papiertüte über den Kopf stülpt. Symbol, Symbol. Aber von dem Nachbarsmädchen Carol (Shiobhan Fallon Hogan) lässt er sich die Tüte abnehmen und Augen draufzeichnen.

Spuren einer Story sind vorhanden. Die staatliche Sozialmaschinerie kümmert sich, möchte eruieren, ob der Junge bei Joel gut untergebracht ist. Ihr wird aber die Tür nicht geöffnet oder sie wird gar angeblufft vom Nachbarsmädchen. Wie die beiden Sozialfunktionäre sich wieder zu ihrem Auto begeben, flackert im nahen Wald plötzlich ein Licht. Sie sehen es nicht. Parallele, unterschiedliche Realitäten.

Einmal wird Joel gefragt, ob mit ihm was sei. Er deutet kommentarlos auf seinen Kopf.

Die Inszenierung wirkt deutlich hinweisgebend, wie bemüht, gar zwanghaft, gleichzeitig hochredlich-ethisch.

Die Vorlage zum Drehbuch liefert eine Kurzgeschichte. Bedeutungsvoll gibt es Drohnenflüge, vor der Kamera ragt ein Raubvogelflügel ins Bild. Diese kreist um die Müllhalde, über die Behausung von Joel.

Die deutsche Synchro trägt das ihre zum dem irrealen Touch bei, den der Film verbreitet. Will hat Diabetes, muss also regelmäßig medizinisch versorgt werden. Der Müll als die Halde des Unbewussten, das Halbbegrabenen, des entwertet Weggeworfenen? Und dann wieder gibt es die Sehnsucht nach dem Wasser, nach der Bootsfahrt. Auch Reh- und Goldfischsymbolik fehlen nicht und dazu die leeren Flaschen oder das Wespennest, das ein Problem darstellt. Auf leichte Befremdung arbeitet die Kamera, die untersichtige Aufnahmen vorzieht und die es ab und an wie von den Beinen haut oder die wie irritiert wirkt (welche Realität sie einfangen soll?)

The Old Man and the Gun

Gäbe es im Kino eine Kategorie Farbergé-Ei, so müsste dieser Film von David Lowery (A Ghost Story) nach einem Artikel von Davi Grann im New Yorker unbedingt dazugehören: eine große Kostbarkeit von erlesener Handarbeit, einmalig, einzig – und doch braucht es niemand. Insofern könnte man auch von Vitrinenkino sprechen. Man kauft sich die DVD und stellt sie demonstrativ in eine Vitrine. Luxus pur.

Luxus auch für Robert Redford, der es sich leisten kann, den Film zu produzieren und sich seine Hauptrolle sowie Team und Kollegen vom Feinsten auszusuchen und zu garantieren, dass alle Figuren in jedem Moment einen Untertext spielen.

Wie grinsend erzählt Robert Redford seinem Publikum aus dem Altenteil, das bei ihm keinesweges ein Ruheteil ist, die Geschichte vom Bankräuber aus Passion, als ob er sich als Schauspieler auch ein bisschen als ein unheilbarer Verbrecher vorkomme, ein Lebenskünstler (mit Stil!) auf Kosten derer, die sich ihren Lebensunterhalt hart erarbeiten.

Forrest Tucker heißt der Mann, der es nicht lassen kann, der berühmt wurde für seine vielfältigen Fluchten aus dem Gefängnis, sogar aus St. Quentin hat er es mit einem selbstgebauten Boot geschafft.

Er ist nicht nur ein Meister der Flucht, er ist auch einer der Verkleidung; immer hat er Benimm, mal mit Schnauzer, mal ohne. Die Maske schafft ihm Gesichter mit tausend Fältchen oder noch mit glatterer Haut der unterschiedlichsten Lebensalter.

Er lebt nach dem Motto ‚living“ und nicht „make a living“; im Sinne von: Lebe, um zu leben und nicht, um ein Leben zu fristen. Damals, 1981 war das einfach, als Gentleman mit einer Aktenmappe an der Hand in eine Bank zu spazieren, ganz freundlich mit dem Chef oder der Kassiererin zu sprechen, ein Zettelchen mit dem entsprechenden Text hinzulegen und mit gefüllter Tasche oder Mappe die Bank ungehindert und ohne Blutspur wieder zu verlassen.

Der Film ist aber nicht nur ein charmanter Alten-Gauner-Film, er ist dazu eine Romantic-Comedy des Alters. In Jewel (Sissy Spacek) findet Tucker seine Altersliebe, die ihm am Ende zum risikofreien Gefängnisausbruch rät.

Der Gentleman-Verbrecher hält die Polizei auf Trab. Damals brauchte die Kommunikation länger, bis zwischen Banküberfällen in ganz Amerika eine Gemeinsamkeit entdeckt werden konnte.

Herausragende Symbolfigur für diese Polizei ist Tuckers Gegenspieler John Hunt (Casey Affleck); der ist mit einer Schwarzen verheiratet, führt ein ruhiges Familienleben und sein Job scheint nicht sein Leben zu sein, also er vertritt die Position des „making a living“, er repräsentiert just die Lebensweisheit des Sich-den-Lebensunterhalt-Verdienens; obendrein leidet er massiv darunter; er bringt kaum Töne raus mit seiner Sprache, fast scheint es, als habe er das Gefühl, er entblöße sich in seiner ganzen Niedrigkeit, falls er ein Wort laut und deutlich ausspreche.

Unterlegt wird der Film von einer Tonspur mit der Diskretion eines Barpianos, Klavier, Zupfinstrumente, die auch für die diskret-lächelnde Humorlage stehen.

Mia und der weiße Löwe

Extra wildes Coming-of-Age.

Südafrika bietet für das Coming-of-Age von Mädchen deutlich Herausforderndes als die biedern deutschen Pferdekoppeln und den reichen und den verarmenden Reiterhof.

Südafrika bietet Savanne und einen weißen Löwen, großartige Steppenlandschaften und andere Tiere dazu.

Mia (Daniah De Villiers) lebt mit ihrem Vater John (Langley Kirkwood), ihrer Mutter Alice (Mélanie Laurent) und ihrem kleinen Bruder Mick (Ryan Mac Lennan, der mit seinen langen Haaren im Verpuppungsporzess zur Pubertät mädchenhaft aussieht) auf einem Gehöft mit eigenem Wildtiergehege.

In Deutschland müssen Mädchen ein schwieriges Pferd bezwingen, in Südafrika ist es für Mia ein weißer Löwe. Ihr Vater baut eine Lodge für Touristen auf mit einem Löwengehege.

Die Familie ist von einem Londonaufenthalt zurück in ihrer Lodge. Mia ist nicht zu beruhigen, sie kann sich mit der Situation nicht abfinden, sie chattet lieber mit ihrem kleinen Freund in London. Auch die Geburt des schnuckeligen kleinen Löwenbabys kann sie nicht ablenken, nicht besänftigen. Erst nach und nach entwickelt sie eine Freundschaft zu Charlie, wie sie den Löwen nennen, ja sie baut eine richtige Beziehung zu diesem Tier auf, das im Haus rumtoben darf wie ein Haustier und keine Rücksicht auf Stehlampen, Essteller oder Computer nehmen muss.

Gilles de Maistre, der mit William Davies (Johnny English – Man lebt nur dreimal) streut die schnell und impressionshaft aufgenommenen Szenen auf die Leinwand wie ein Meisterkoch die Streusel auf den Kuchen. So entsteht anfänglich der Eindruck eines Werbefilmes für Südafrika, für die Lodge, für die Löwen und die afrikanische Natur, für die Safari, dazu Bilder eines lebendigen Familienlebens.

Der Löwe wächst und wächst. Er bekommt Zähne. Aber, das wird immer wieder gesagt, er bleibt ein wildes Tier. Die Eltern sehen die Beziehung zwischen Mia und Charley immer besorgter; diese wird immer intensiver. Gleichzeitig kommt Mia dahinter, was der Vater mit den Löwen, die im Gehege gehalten werden, passiert. Sie ist alarmiert und sieht die einzige Chance, das Überleben von Charlie (denn weiße Löwen sind für Jäger eine Rarität und sie zahlen Sensationspreise dafür) zu sichern, indem sie mit dem Löwen ausbüchst, um ihn in das Timbavati-Reservat in Sicherheit zu bringen.

Aus dem anfänglichen Strudel von Eindrücken einer Löwenlodge entwickelt sich eine Ausbüchs- und Verfolgersafari durchs wilde Südafrika, actionhaft mit einem hochdramatischen Countdown.

Der Film ist gleichzeitig als ein Votum zu lesen gegen den Abschuss von eigens gezüchteten Löwen durch reiche Jagdtouristen aus aller Welt, wofür sich die nach Keving Richardson benannte Stiftung einsetzt. Als geistiger Überbau dient die Erzählung der Geschichte vom Weißen Löwen.

Green Book – Eine besondere Freundschaft

Das titelgebende Green Book steht für einen Reiseführer, der zu Zeiten der Rassentrennung Afroamerikanern in den USA das Reisen ohne Erniedrigung ermöglichen sollte.

Der Film spielt 1962. In den amerikanischen Südstaaten wird peinlich genau zwischen weißer und schwarzer Hautfarbe sortiert.

Der schwarze Ausnahmepianist Dr. Don Shirley (Mahershala Ali) residiert in einem prunkvoll ausgestatteten Appartement direkt über der Carnegie-Hall in New York. Es ist sein Wunsch, mit seinem Trio eine zweimonatige Konzertreise durch die Südstaaten zu machen. Dafür sucht er einen persönlichen Chauffeur und Butler. Ihm wird Tony Lip (Viggo Mortensen) empfohlen. Der hätte auch Zeit, da der Nachtclub, in dem er als Türsteher arbeitet, wegen Renovierungsarbeiten für einige Monate geschlossen bleibt. Aber er müsste dafür seine Familie so lange verlassen.

Diese Reise soll es tatsächlich gegeben haben und es ist zu erwarten, dass auch in der „true story“, die dem Drehbuch zugrunde liegt, die beiden Freunde geworden sind. Die Drehbuchautoren Nick Vallelonga, Brian Hayes Currie und Peter Farrelly, der auch die Regie besorgte, haben den Stoff zu einer gut nachvollziehbaren Morallektion wie für den Ehtikunterricht entwickelt.

Sie haben nicht versucht ein Biopic mit menschlichen Konflikten und Entwicklungen zu zeigen. Sie waren fokussiert auf den Gegensatz Schwarz-Weiß und haben diesen modellhaft mit umgekehrten Vorzeichen auf seine Absurdität oder Köstlichkeit (gerne auch zum Kichern, denn der Zuschauer muss nie seine moralische Komfortzone verlassen) reduziert.

Der Schwarze ist jetzt der Herr, der hinten im Fond der Limousine sitzt. Er ist derjenige, der gepflegtes Amerikanisch spricht, der Anstand und Höflichkeit hat. Der Weiße spielt den schwarzen Underdog. Er sitzt am Steuer, guckt nicht immer auf die Straße, raucht ständig, zeigt den Stinkefinger oder teilt einem Polizisten einen Schlag aus, ist unbeherrscht und auf Eskalation gepolt. Viggo Mortensen spielt diesen Weißen ausgestellt, plakativ, kommentierend.

Selbstverständlich hat der Weiße das Herz auf dem rechten Fleck. Der Schwarze bringt dem Weißen gute Aussprache bei. Der Weiße bringt dem Schwarzen bei, wie man gebratene Hähnchen mit bloßen Händen verzehrt.

Es wird der Vorurteilsgegensatz Schwarz/Weiß vereinfacht herausgearbeitet. Die Figuren haben keine Geschichte um sich herum, keine emotionalen Konflikte, die die Geschichte weiterbringen würden, sie funktionieren als Pappkameraden im umgedrehten Schwarz-Weiß-Spiel.

Der Zuschauer nimmt erstaunt zur Kenntnis, dass das rabenschwarze Zeiten gewesen sein müssen, in denen ein berühmter Pianist bei einem Empfang in der Villa weißer Herrschaften gebeten wird, als Toilette den Holzverschlag für die Schwarzen zu benutzen und nicht jene im Haus.

Und einfach gestrickte Polizisten, die den Schwarzen selbstverständlich auch festgenommen haben, wie der Weiße einen Polizisten mit einem Schlag erledigt hat, wollen kaum wahrhaben, dass der Schwarze das Recht zum Telefonieren habe. Daraufhin zeigt sich, dass der Schwarze Beziehungen hat bis in die Höchsten Kreise und der Gouverneur selbst am Telefon die Deppen-Polizisten zusammenscheißt und die Freilassung der Gefangenen befiehlt. Das begreift nun jedes Kind und darf sich moralisch auf der richtigen Seite fühlen, denn er hätte selbstverständlich nie so vorurteilshaft gehandelt.

Dieser Film ist nur einer in einer ganzen Reihe neuerer Filme zum Thema Rassentrennung, wie: BlacKkKlansman (hier legt ein schwarzer Cop einen weißen Kukluxklan-Führer raffiniert rein), Hidden Figures – Unerkannte Heldinnen (hier retten drei schwarze Wissenschaftlerinnen den Ruf Amerikas im Wettbewerb um die erste Mondlandung), Genau so anders wie ich, eine anrührende gemischt-rassige Liebe nach einer wahren Geschichte, Get Out, weißer Rassmus, der zum Horror wird, Loving, hier überwindet eine große Liebe die Rassenschranken und Anfang März folgt „Beale Street“.

Checker Tobi und das Geheimnis unseres Planeten

Vom Checken und vom Nicht-Checken.

Gecheckt haben die Produzenten dieses Film aus dem Hause Gernstl, das bestens mit dem Bayerische Rundfunk verbandelt ist, dass sich mit so einem Projekt, trotz total veralteten Formats, immer noch spielend Filmförder- und Fernsehgelder abgreifen lassen.

Das Projekt: Der Fernsehmoderator Tobias Krell, der sich ganz unbescheiden „Checker Tobi“ nennt, will einen Kinofilm machen (ob er dafür geeignet ist, das spielt bei diesen Rahmenbedingungen keine Rolle).

Unterm Vorwand eines Flaschenposträtsels, das ihm beim Dreh zu einem Piratenfilm (wobei Tobi als Kapitän zeigt, dass Schauspielerei nicht seine Stärke ist), zugespielt wird. Zur Lösung der Fragen muss Tobi sich auf Weltreise machen, fällt an exotischen Orten wie Vanuatu ein wie ein Neokolonialist, sagt oft an allen Ecken der Welt (bis auf das Armenviertel von Mumbai) „Wahnsinn“ und produziert im Übrigen Kurzfilme, wie jeder sie heute selbst ins Internet stellen kann, wenn er sich denn die Reise an so exklusive Orte wie Tuvalu, Tasmanien oder in die Arktis leisten kann.

Das Rätsel ist vielleicht etwas knorzig zusammengestellt, und warum es just darum geht, erschließt sich auch nicht gerade. Die Kinder finden die Lösung aber schnell. Gecheckt haben die Produzenten sicher auch, dass der aktive und bis zum Kraterrand begehbare Vulkan auf Vanuatu fürs Kino ergiebig sein kann und auch dass das mit dem achtbeinigen Bärtierchen in Tasmanien etwas Spezielles ist, wegen seiner Überlebensstrategie bei Trockenheit.

Nicht gecheckt hat Regisseur und Drehbuchautor Martin Tischner, dass er bei der Begehung des Vulkans und dem Blick in den Krater ruhig einen Querverweis auf den Empedokles, gar auf Hölderlin sich hätte trauen dürfen, so etwas hätte doch mit Bildung zu tun.

Nicht gechekt haben die Macher, dass Tobi kein Schauspieler ist und dass die ewig gleiche Grinse und die ewig gleichen Ausrufe auf der Leinwand schnell ermüdend wirken.

Nicht geckeckt haben die Macher, dass es fürs Kino nicht genügt, ein ausdauerndes Fernsehformt schnell schnell fürs Kino umzurüsten. Und merke: Weltreise allein bedeutet noch lange nicht: Kino.

Nicht gecheckt haben die Macher, dass sie mit solchem Kino den Kids nicht vermitteln können, was gutes Kino ist – weshalb ich meine Zweifel habe, ob da auch nur ein jugendlicher Zuschauer freiwillig rein geht, wenn nicht Lehrer die Chance nutzen, den Film als Vorwand zum Ausfallen von Schulstunden zu missbrauchen.

Überhaupt nicht gecheckt haben die Macher, dass das heutzutage mit dem Modell der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunkes mittels einkomensunabhängiger fixer Haushaltzwangsgebühr moralisch nicht mehr zu vertreten ist, solche Reisen rund um die Welt aus solchen Geldern zu bezahlen, umso mehr, als hier die Grenze zum Urlaub oft verwischt wird.

Denn immer mehr Haushalte können sich den Zwangsbeitrag bei stetig steigenden Lebenskosten und kaum steigendem Einkommen kaum mehr leisten. Ob Checker Tobi das checkt, wie sein Weltreise finanziert wird? Da sollte er mal nachfragen. Sonst steht er doch als naives Bürschchen da mit dem Kinotraum von Lieschen Müller.

Auch nicht gecheckt haben die Macher, dass so eine Reise einen gewaltigen, ökologischen Fußabdruck hinterlässt, der genau das Problem, auf das er hinweisen will, nämlich die Klimaerwärmung und die Folgen, weiter beschleunigt. Sollen die Macher nicht behaupten, dass es nicht möglich sei, die Mechanismen der Klimaveränderung mit einer Sendung ohne Reisebudget herzustellen.

Und dann wieder die unsägliche Produktwerbung auf den Taucheranzügen vor Tasmanien, richtig penetrant sind die. Ebensowenig haben die Macher gecheckt, dass eine fette Musikmayonnaise, den Film nicht gehaltvoller oder verdaulicher macht.

Zum Kaputtlachen: der Film wurd mit FBW Prädikat „Besonders wertvoll“ versehen.
was daran besonders wertvoll sein soll, dass ein junger Mann auf Kosten armer Zwangsgebührenzahler um die halbe Welt fliegt bis nach Tasmanien, um da dem Tauchurlaub zu frönen und dabei einen fette ökologischen Fußabdruck zu hinterlassen, das soll uns die FBW mal erklären. Hier die Liste der Jurymitglieder.