Gegen den Strom

Benedikt Erlinsson, der mit Ólafur Egisson auch das Drehbuch geschrieben hat, ist mit dem Film Von Menschen und Pferden in bester Erinnerung geblieben, ein grandioser Skurrilfilm der Sonderklasse mit tieferer Bedeutung (oder ohne).

Jetzt versucht Erlingsson sich an einem Antiglobalisierungsthriller, will aber die strengen Regeln des Genres nicht bedingungslos befolgen, indem er auf das Skurrilelement, wofür Island eine traumhaft lakonische Kulisse bildet, nicht verzichtet.

Er fängt an mit einer Szene aus einem Zusammenschnitt umwerfender Bilder, die schildern, wie seine Protagonistin Halla (Halldóra Geirhardsdóttir) einen Anschlag auf eine Überland-Stromleitung verübt.

Erlinsson erzählt das so detailliert, dass man es direkt als Anleitung lesen könnte.

Hallas Flucht zurück in die bürgerliche Existenz ist abenteuerlich, sie muss sich vor einem Suchhelikopter und vor Straßensperren in Sicherheit bringen. Denn es war nicht ihr erster Anschlag.

Dabei unterstützt sie Sveinbjörn (Jóhann Sigurdarson), ein Schafzüchter, der ein „mutmaßlicher“ Cousin von ihr ist, wie sie herausfinden.

In ihrem Zivilleben leitet Halla einen Chor. Für ihre politischen Aktionen erhält sie Unterstützung von Baldvin (Jörundur Ragnarsson), der in einem Ministerium arbeitet und ihr bei den konspirativen Treffen wichtige Infos gibt. Bei diesen Treffen werden die Handys prinzipiell im Kühlschrank weggesperrt.

Als weiteres Skurrilelement führt Erlingsson Lifemusik zu den Szenen ein. Wenn Halla ihren Anschlag verübt hat und über die isländische Prärie enteilt, steht plötzlich am Straßenrand eine Band und spielt melancholische Musik. An anderer Stelle sind es drei Frauen in Trachten, die singen. Da er das als Gag und nicht als sinnstiftendes Prinzip einführt, ist es schnell als solcher erkennbar und verliert an Reiz.

Der Sinn der Anschläge ist der, den isländischen Strommarkt als riskant erscheinen zu lassen, denn Rio Tinto aus Lateinamerika und Investoren aus China interessieren sich dafür. Es handelt sich also um eine Art patriotischen Terrorismus‘, den Halla pflegt.

Die Nachrichten berichten jedes Mal ausführlicher über die Anschläge. Sie gibt sich als die „Bergfrau“ und Einzeltäterin zu erkennen.

Flankierend radelt – wie in einem eigenen Film – der Lateinamerikaner Juan Camillo (Juan Camillo Roman Estrada) durch Island und wird immer wieder als Täter verdächtigt.

Ein weiterer Handlungsstrang führt in die Ukraine. Halla hat sich vor drei Jahren für die Adoption eines Kindes aus der Ukraine beworben. Hier kommt auch ihre eineiige Zwillingsschwester ins Spiel (die spielt sie selbst). Denn es geht darum, die Adoption zu sichern, falls der Adoptionsmutter etwas zustößt, muss jemand als Vormund einspringen und das wäre ihre Schwester Asa, die sich für Yoga interessiert und plant, für zwei Jahre zu einem Meister nach Indien zu gehen.

Richtig nachvollziehbar ist dieser Ukraine-Strang nicht. Dient er (offenbar?) vor allem dazu, zu zeigen, wie gut sie es doch in Island haben mit ihrem Reichtum, der auch mit der Stromversorgung zusammenhängt, und wie beschissen die Verhältnisse in der Ukraine sind, wenn es regnet, steht das Wasser im Waisenhaus zentimeterhoch.

Allerdings geht die Schlagseite des Filmes doch mehr in Richtung Thriller, denn der Staat rüstet auf mit Drohnen, Helikoptern mit Wärmebildkameras, mit Kameras in der Stadt, mit Spürhunden und DNA-Proben am Flughafen. Und grätscht damit dem Skurrilmovie wenig erbaulich dazwischen.

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