Nachdem Lars von Trier (Nymphomaniac Teil 1, Melancholia)
seinen Helden Jack (Matt Dillon traut sich das!) in roter Mönchskutte hat in die Hölle fallen lassen – verdient hat er es mehr als nach katholischem Glauben – schickt er ihm auf den Tonspur zynisch, spöttisch, grinsend Hit the Road Jack hinterher.
Verdient hat Jack den Fall in die Hölle, denn er ist ein durchgeknallter Psychopath und Serienmörder. Interessanterweise kein einspuriger, der immer dasselbe Vorgehen pflegt. Das zeigt, dass es Lars von Trier nicht um eine realistische Schilderung geht oder um eine Fallstudie, gar um den Versuch, verstehen zu wollen, was in so einem manischen Täter vor sich geht, was die Gründe sind.
Jack steht in ständigem Kontakt mit Verge (Bruno Ganz). Auch diese Figur ist kein realistischer Psychiater – die Berufsbezeichnung drängt sich voreilig auf wegen Ganz‘ Glanz-Rolle in Der Trafikant als Sigmund Freud. Auch hier hat sich Ganz wohltuend von seinem Manierismus in Stimme und Gestik verabschiedet und macht so einen kompetenten Eindruck.
Psychiater oder Tiefenpsychologe mag ein Aspekt der Figur Verge sein; er ist aber mehr: er ist ein Kulturventilator, der reflektiert über die Wahrheit des Foto-Negativs, über das Keulen von Krähen, über Serienmörders Putzfimmel, über die Relation von Zerfall und Reifung des Weines – jedoch geht es nicht über die Mündigkeit des Menschen, über Selbstverantwortlichkeit in diesem katholischen Weltbild, was sich an den Sünden der Menschen und an der Hölle erbaut. Nicht des Mörders Motivation interessiert, auch nicht eine allfällige Heilung. Verge erinnert Jack nur ab und an daran, dass er doch ein Haus bauen wollte.
Auf diesen Hausbau referiert der Titel des Filmes. Er ist vielleicht doppelt zu interpretieren. Einmal ganz konkret: Jack hat sich ein Grundstück an einem unverbauten See in einer leicht bergigen Landschaft ohne Nachbarn gekauft. Hier gibt es verschiedene Hausbauansätze. Aber er reißt die unfertigen Rohbauten immer wieder ein, fertig wird das Gebäude nie.
Andererseits bietet das Bauvorhaben Anlass zu architekturtheoretischen Erörterungen, die Gotik und die Statik (oder die Stabilität eines Weltbildes – Lars von Triers? – das seine Statik in der Gotik sucht).
Weiter mit der Hausbau-Idee kommt Jack mit seiner Tötkunst, da baut er sich am Schluss aus den Leichen ein kunstvolles Haus wie ein Iglu, wie ein Kathedralenportal – darüber müsste wohl stehen „Lasst alle Hoffnung fahren“ wie beim Eingang zu Dantes Inferno.
Lars von Trier wird das wortwörtlich bebildern. Wie es denn wie immer bei von Triers Bildwerk wimmelt von Anspielungen, von Zitaten und Querverweisen zur Kunst, zu seinem eigenen Werk. Er kommt mir vor wie ein Gefangener, ein abendländisch katholisch Geprägter dazu, der in einem Verlies sitzt und sein Kopf ist vollgepfropft mit der abendländisch-religiösen Ikonographie und er bemalt die Wände, die für ihn Leinwände sind, meisterlich. Er ist ein Meister in der Bildbeschaffung und deren Montage, er scheint zu platzen vor Ideen, Bildern, Einfällen, die in seinem Kopf rumtoben wie wild.
Allein, wozu benutzt Lars von Trier sein Bildwerk? Um uns zu erzählen, dass im Menschen ein Tier steckt, dass er eingesponnen sei in den Kokon jener abendländischen Bilder, die das Tier in uns zivilisieren wollen. Kunst als Kompensation? Er zitiert das Raubtier und das Lamm mehrfach.
Seinen Film hat Lars von Trier strukturiert mittels 5 Vorfällen, die innert 12 Jahren passiert seien, 5 Mordfälle, die als Ansatz eines ABCs für Mordmethoden dienen könnten, als Vorwand, ein paar Brutalitäten gezielt dem Zuschauer vor Augen zu führen.
Wie der Papa auf die eigenen Kinder schießt, die auf ungeschützter Lichtung rennen. Wie dieser Papa, der der Serientäter ist, es nicht nur auf Frauen – ohne festes Beutemuster – abgesehen hat, nein, wie auch Männer daran glauben müssen mit der speziellen Idee des full-metal-cartridge, wie er einmal fast den Fehler macht und sich verliebt und wie das Komplikationen nach sich zieht, die Blondine Simple (Riley Keough) ist aber auch zu naiv hinter ihren molligen Brüsten (und just eine davon wird er bald der Polizei unter den Scheibenwischer klemmen, das Bild bringt von Trier zweimal); wie Jack (und wohl auch von Trier) der Nervenkitzel allmählich abhanden kommt und er immer offener und direkter seine Morde begeht, bis zu dem Fall, dass er eine verpackte Leiche an einem Strick hinter seinem Auto herzieht, ein blutige Spur hinterlassend, doch ein enormer Platzregen verwischt alle Spuren. Das interpretiert Jack als ein Einsehen des Gottes, das ihn direkt gläubig machen könnte.
Wie großartig Lars von Trier inszeniert, zeigt schon der erste Vorfall. Hier hat Lady 1 (Uma Thurman) eine Panne in einem verlassenen Waldstück. Jack kommt angefahren. Er analysiert haarscharf, dass ihr Wagenheber kaputt sein. Und lässt sich von ihr um Hilfe bitten.
Um diesen Wagenheber rankt sich nun die Annäherung zwischen Opfer und Täter. Wobei lustigerweise das Opfer intutitiv selbst davon anfängt, dass es wohl riskant sei, zu einem fremden Mann in den Wagen zu steigen (er wolle sie zum Mechaniker Sonny bringen, bietet er ihr an, der den Wagenheber reparieren könne), er könnte ja ein Serienmörder sein.
Am Serienmörder ist wohl weniger der Vorgang des Tötens interessant als die Annäherung zwischen Opfer und Täter. Die Männer, die er im Gefrierraum gefangen hält, wärmt er mit Decken, damit sie das Ausrichten des Gewehres auf ihre Köpfe, durch die alle die eine Kugel gehen soll, ganz wach mitbekommen – und er ihre Angst.
Die Wagenhebergeschichte, das Teil ist natürlich rot, dehnt Lars von Trier ziemlich aus, wie er es auch bei andern Geschichten hält, bis das Gerät endlich da landet, wo es tödlich ist. Auch bei Lady 2 (Siobhan Fallon Hogan) schwätzt Jack erst als Polizist (der x Ausreden findet, warum er kein Badge dabei habe), der dann aber, da er nicht weiterkommt als Versicherungsvertreter endlos lang mit der frischen Witwe quasselt, bis sie ihn reinlässt. Da entsteht zwischenzeitlich der Eindruck von Schauspielerimprovisationsübungen, die offenbar nur der Dehnung der Spannung bis zum (in diesem Falle) Erwürgen dient.
Es ist wieder einmal eine zwiespältige Sache mit diesem Lars von Trier. Einerseits dieser Bildermeister. Allein das Bild der Überfahrt in den Hades mit Verge und Jack in der Kutte und die halbnackten Titanen aus der abendländischen Malerei, würdig einer jeden großen Gemäldesammlung.
Lars von Trier doziert einmal mehr, dass der Mensch eine Bestie ist – und dass sich das anbietet für die Herstellung übelster Bildwelten. Eine Bestie, die sich in einem Kanon hochkultureller Bilder als zivilisiert darstellen möchte. Der Künstler als der Dompteur der dem Menschen innewohnenden Bestie mittels bestialischer Bildwelten.
Der Epilog ist überschrieben mit Katabasis. Wäre von Trier weniger hochkulturell, wenn er statt „Hit the Road Jack“ den Song „Von nun an geht’s bergab“ Jack in den Ungtergrund hinterherschicken würde?
Lars von Trier steht auch wunderbar für den Widerspruch zwischen Hochkultur und der Erkenntnis, dass im Menschen ein wildes Tier, ein Tiger steckt. Und dass die Religion das mit den Begriffen Sünde und Erlösung zu meistern versucht. Ihm bleiben die elysischen Felder versperrt, so unser wütend brachialer Bildprediger. Vor fünfhundert Jahren wäre von Trier wohl Kirchenmaler geworden. Beste Gotik? Und wie wäre er zur Renaissance gestanden?
Als Zuschauer sehe ich mich nicht auf Augenhöhe ernst genommen (bei aller Bewunderung für sein Talent von Bildherstellung und Montage); eher sehe ich mich in die Position eines Psychoanalytikers gedrängt, der zu verstehen sucht, was mit so einem Menschen wie Lars von Trier los ist. Warum er offenbar zum Glücklichsein nicht geboren ist – falls er das überhaupt will. Das mit der fehlenden Augenhöhe zum Zuschauer ist auch durch den Stil seines künstlerischen Dozierens, der Kanzelpredigt über das Böse im Menschen gegeben, die immer von oben herab kommt.