In My Room

Den Boden unter den Füßen verloren

und dann doch irgendwie weich gelandet – vielleicht in einem archetypischen Traum von Selbständigkeit und Unabhängigkeit.

Dem dies widerfährt, das ist Armin. Ihn spielt Hans Löw – man schaut ihm gerne zu, er ist nicht der prototypische Subventionsschauspieler, hat Eigenheit und Individualität (aber für seine Weiterentwicklng bräuchte er dringend forderndere Rollen!).

Armin wird vorgestellt anhand seiner zerstreuten Kamera, die er in der Bundeshauptstadt bei Pressekonferenzen von Linken und SPD nicht mehr unter Kontrolle hat. Armin muss ganz schön neben der Kappe sein, denn später in der Fernsehredaktion ist auf dem Bildmaterial nur das zu sehen, was nicht verwendet werden kann: Decken, Beine, Anweisungen an die Interviewpartner und im Moment, da diese sich zusammenreißen und freundlichst ihre politische Botschaft in die Kamera lächeln wollen: Filmriss. Der ist genau dann vorbei, wenn der Interviewpartner aus dem Bild geht.

Das ist so katastrophal, dass man es nicht für möglich halten möchte. Mir wird das erst jetzt bewusst, was für ein dramatischer Aussetzer das für einen Kameramann sein muss. Es ist aber auch so katastrophal, dass es drauf und dran ist, dem Zuschauer nur noch Kopfschütteln zu entlocken und sich zu überlegen, ob er weiter dem Film folgen soll.

Wer die Geduld aufbringt, wird später ausgiebig belohnt, auf jeden Fall, wenn er mit der üblichen Erwartung an einen deutschen, gremienkonsensfähigen Film denkt.

Bald schon fällt auf, dass Ulrich Köhler (Schlafkrankheit war schon außergewöhnlich für einen deutschen Film, mit Afrikabezug dazu und kritisch der Entwicklungshilfe gegenüber) offenbar in der Nachfolge und als deutsche Variante das Prinzip der Gebrüder Dardenne sich zunutze macht: sich für einen Protagonisten zu entscheiden und dem in seinen Handlungen zu folgen; eine angenehme Abwechslung zu der Überzahl an Themenfilmen, die das deutsche, fernsehgeschwängerte Subventionskino am liebsten bietet.

Allerdings wird dabei auch klar, dass in Deutschland deutlicher Nachholbedarf besteht in der Glaubwürdigkeit der Inszenierung von Realität, die in Dokumanier gefilmt wird.

Diese inszenierte Realität springt von Berlin in eine Ortschaft mit dem Autokennzeichen HF, Kreis Herford. Hier berichtet der Film über den familiären Background von Armin. Seine Oma ist ein Pflegefall, liegt im Sterben. Sein Papa ist da, sein Bruder. Sie kümmern sich liebevoll um die alte Frau. Beklemmend wie sie mit dem Tod konfrontiert sind.

Ab da nimmt der Film eine Wendung in die Abgründe der Psychologie. Er verliert jeglichen Realismus. Der Übergang passiert schleichend. Armin fährt mit dem Auto los. An einer Tankstelle steht zwar ein Auto, das betankt wird, stehen zwei Motorräder, ist der Kiosk offen, aber kein Mensch weit und breit.

Armin ist ein korrekter Mensch, besorgt sich Einkäufe und legt das Geld auf die Theke. Kurz nach der Tankstelle gibt es einen in eine Leitplanke gekrachten Wagen und auch kein Mensch weit und breit.

Diese Leere weitet sich aus, als funktioniere die Welt nicht mehr empirisch, an der Grenze zum absurden Theater oder zum Surrealismus.

Armin hat den Boden unter den Füßen verloren. Es mag ein Traum sein. Es mag ein Bohren in den Tiefen seiner Träume sein. Eine Frau taucht auf, Kirsi (Elena Radonicich). Ab hier wird es eine spannende Mann-Frau-Beziehung mit einer zwischen den beiden Darstellern hervorragend funktionierenden Chemie. Es scheint, als wolle Köhler auf den Traum gar keinen Deckel mehr setzen, als wolle er den Film ganz ohne Moral auslaufen lassen. Eine seltene und leise strahlende Kinoblume aus Deutschland.

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