Blue My Mind

Coming-of-Age ist eine krasse Sache. Beim weiblichen Geschlecht vielleicht noch krasser. Hier spielt Blut eine Rolle, Blut, das austritt, Lebenssaft. Existentiell, tiefgreifend. Vom Mädchen zur Frau, die sich in der Welt, im Leben und in ihrer Haut so wohl fühlt, wie die Meerjungfrau im Wasser.

Diesen Prozess symbolisiert Lisa Brühlmann in ihrem Film im Sinne einer kafkaesken Verwandlung.

Mia (Luna Wedler), die Protagonistin fühlt sich in ihrer Haut nicht mehr wohl. Das gibt ihr die Haut zu spüren, die Haut an den Beinen, zwischen den Füßen. Gregor Samsa lässt grüßen. Wobei Brühlmann die Absurdität nicht so weit treibt, sondern diese ganz klar als Symbol einsetzt für das, was mit Mia vor sich geht. Dass sie das Gefühl hat, sie sei nicht mehr normal, dass die Eltern sie darin sogar bestärken und vorschlagen, einen Arzt aufzusuchen (obwohl die Eltern von den physischen Veränderungen gar keine Kenntnis haben).

Aber die Eltern kennen ihr kleines Mädchen kaum wieder von ihrem Verhalten her. Sie selbst vermutet sogar, sie sei gar nicht das leibliche Kind von ihrer Mutter Gabriela (Regula Grauwiller) und wird bestärkt in dem Verdacht, da es nirgendwo Bilder von ihrer Mutter als Schwangeren gibt.

Brühlmann treibt den Symbolismus, ähnlich wie ihr Landsmann Arnold Böcklin weit über 100 Jahre vor ihr mit Öl auf Leinwand, weiter. Sie rahmt den Film mit einer Szene am aufgewühlten Meer, das von Felsen umrandet ist und einen kleinen Steinstrand freigibt (könnte ein böcklinsches Motiv sein).

Hier steht Mia als ganz kleines Mädchen. Und hier wird der Verwandlungsprozess, den der Film nachzeichnet, seinen Abschluss finden. Er beinhaltet eine Entfremdung von diesem Strand, von diesem Zustand des ungespaltenen Kindes. Die Entfremdung beginnt mit einem Umzug. Wobei der erste Blick in das seelenlose Neubauquartier in Zürich von der Optik her direkt eine Überblenung zum Strand, zum Naturzustand, sein könnte.

Der pubertäre Stadtzustand besteht in der dicken Freundschaft mit drei Klassenkameradinnen, die die Lebensphase ausflippen lässt. Lieber gehen sie shoppen als zur Schule. Es gibt eine Jungs-Gruppe als Kontrapunkt. Für diese sind die Mädels Objekte zum Ausprobieren. Die Themen beider Gruppen sind stark vom Geschlechtlichen geprägt.

Vor allem geht es, neuschweizerisch, ums „Bouncen“, was schön traditionell mit „Poppen“ zu übersetzen sein dürfte. Es geht aber auch um Sauberkeit, Abhängen, Rauchen, Gamen, Cheekbones, Blutungen, Sextube. Alk und Drogen spielen eine Rolle, Rasur an den Beinen.

Die Casterin Corinna Glaus hat ein glänzendes Ensemble zusammengestellt und Lisa Brühlmann arbeitet hervorragend mit ihren Darstellern, mit dieser Sprachregie, die dem Schweizerischen gerade im Understatement Wucht verleiht – den Film also unbedingt in der untertitelten Fassung anschauen!

Und Lehrer Eric (Dominik Locher) hat im Bewusstsein der schwierigen Situation seiner Schüler den richtig lockeren Ton gefunden. Der Film könnte eine Variation zum Titel eines Theaterklassikers sein: Krankheit der Jugend.

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