Ex Libris – Die Public Library von New York

!Wahrlich ein Dokument

über den in den Welten von Bildung, geistiger Auseinandersetzung und Demokratie breit aufgestellten, hochaktiven Organismus „Stadtbibliothek New York“, um den Begriff der „Public Library“ in unser gewöhntes Deutsch zu übersetzen.

Der Großmeister der dokumenthaften Dokumentation, Frederick Wiseman, rastert das komplexe Gebilde mit seiner bewährten Gründlicheit, Systematik und ohne jeden belehrenden oder erklärenden Kommentar, ohne Quasselstatements Beteiligter, Betroffener, Verwandter, Promis oder von Nachbarn.

Wiseman lässt die Institution durch ihre Repräsentanten in ihren Funktionen, Aufgaben und Auseinandersetzungen sprechen. Da diese geistig-literarischen, fotografischen und anderweitig kulturellen Kontent sammeln, sichten, sortieren, ausleihen, digitalisieren oder anderweitig zur Verfügung stellen, wird aus der Dokumentation ein saftiger, kalorienreicher VHS-Intensiv-Kurs in kompakten 3 1/4 Stunden.

Wiseman vermittelt einen tiefen Einblick in Themen und Auseinandersetzungen amerikanischer Bürger, deren bürgerschaftliches Engagement zu Verbreitung von Bildung, gerade auch in bildungsfernen Stadtteilen.

Die Institution ist im Gegensatz zu unseren Stadtbibliotheken keine staatliche; sie bekommt zwar von der Stadt und vom Staat Zuschüsse, um die sie sich jährlich neu bewerben muss, wofür sie sich vernehmbar und attraktiv machen muss. Den Rest müssen Sponsoren aufbringen.

Sowohl darüber, wie das Geld zu beschaffen sei, gibt es innerhalb des Führungspanels der Bibliothek harte Diskussion, als auch darüber, wie das Geld zu verteilen sei, für welche Anschaffungen, ob mehr Bücher für die Kleinen in einer der zahlreichen Außenstellen in der Bronx beispielsweise oder mehr Geld für Bestseller, für Bücher oder doch lieber für E-Books?

Auch um die Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen geht es im Hinblick auf viele Projekte. Für Reparaturen und Renovierungen in den vielen Gebäulichkeiten müssen sie ein eigenes Budget und einen eigenen Etat organisieren.

Wiseman versteht es, sich nahezu unsichtbar zu machen bei den zahlreichen Veranstaltungen und Diskussionsrunden. Wie, um das zu beweisen lässt er die Szene, in der George einmal und sogar länger in die Kamera blickt, bewusst drin, was den Dokumentaristen nur noch unsichtbarer werden lässt.

Aus den Vorträgen, Reden, Moderationen, Lesungen, Bühnenperformances, Konzerten, Sponsoren-Events, Teambesprechungen, Diskussionen berichtet er ausführlich in langen Passagen.

Um die Zuschauer damit nicht allzu sehr zu strapazieren, schneidet er dazwischen Street-Views um die Bibliothek und ihre Filialen herum, Besucher, Touristen, Buchsortierer, Seniorentanz, Literaturkreis oder er wirft einen Blick auf eine Halloweenparade.

Aber er guckt auch Besuchern über die Schulter und interessiert sich dafür, was diese interessiert, ob Krankheiten, Historisches, Kriege, Rassimus oder ob sie vielleicht nur Vidogames spielen; er beobachtet Vorgänge bei der Ausleihe, das Einscannen von Material.

Das sich immer wieder in den Vordergrund drängende Thema ist der immer noch latente Rassimus in der Ausformung des Gegensatzes von Schwarz und Weiß, was auch ein wesentliches Thema der Aktivitäten der Stadtbibliothek ist im Hinblick auf Gleichberechtigung, Chancengleichheit, Demokratie, digital Divide; auch zum Thema Klassenkampf gibt es einen pikanten Vortrag; ebenso spielt die Inklusion eine Rolle, Kulturzugang für Blinde und Taubstumme.

Bilder werden in der Sammlung thematisch abgelegt. Künstler holen sich Inspiration. Frappantes Beispiel einer Schubladenbezeichnung: „Hunde in Aktion“ – das hätten sich die Macher des deutschen Filmes Wuff, der auch heute startet, mal vor Projektbeginn anschauen sollen!

Wiseman spürt mit seinem Film, in dem es konzentriert um Content geht, dem Wesen der „Stadtblibliothek“ und ihrer gesellschaftlichen Ferment-Funktion nach. Überraschungsfundstück: Dürers Rhinoceros, eine der ältesten Druckgrafiken in der Sammlung – und auch der Welt!

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