Kommentar zu den Reviews vom 18. Oktober 2018

Starke Voten für das europäische Kino! Aus Bulgarien kommt ein Kino, das an die Grundfesten der Arktis rührt. Aus Portugal eine hellwache Beschäftigung mit der Arbeiterselbstverwaltung. Aus Spanien der Skandal der Nichtaufarbeitung der Franco-Zeit. Aus der Schweiz eine bedächtige Gründelei über Fußball und Schwulität. Beste Old-School-Unterhaltung aus England. Aus Italien das Ausbeutungsthema existentialistisch-künstlerisch betrachtet. Aus den Benelux-Staaten eine Transgender-Geschichte. Aus Deutschland eine tiefmenschliche Seniorendokumentation. In Frankreich gibt’s Einblicke ins Schauspielermilieu. Aus Dänemark gibt’s ein stilisierendes Porträt aus einer Polizeinotrufzentrale. Und das deutsche Kino versucht mit dem Remake eines französischen Filmes, auf das europäische Kino aufzuschließen. Beim Fußball hat Deutschland längst europäisches Niveau, das zeigt ein Fußballerporträt. Auf DVD gab es eine Doku über den Dalai Lama und einen eindrücklichen Western

Kino
NANOUK
Vordergründig Rentierhirten-Ethnokino – kinematographisch weit mehr!

A FABRICA DE NADA
Inspirierendes Arbeiterselbstverwaltungsepos aus Portugal.

FRANCO VOR GERICHT: DAS SPANISCHE NÜRNBERG?
Wo bleibt die Aufarbeitung der Untaten des Franco-Regimes?

MARIO
Wie viele Filme wird es noch brauchen, bis ein Fußballer offiziell schwul sein darf?

JOHNNY ENGLISH – MAN LEBT NUR DREIMAL
Gekonnt ist gekonnt, auch wenn es nicht auf dem Radar der 4.0 Welt ist.

DOGMAN
Andauernde Erniedrigungen führen zu brutalen Akten der Gewalt.

GIRL
Wenn ich doch ein Girl wär und Spitzentanz lernte; doch der Körperbau ist nicht darnach.

ERICH & SCHMITTE – ENTSCHEIDEND IST AM BECKENRAND
Berührende Freundschaftsgeschichte mit tragischem Ausgang jenseits der Dokumentation.

CHAMPAGNER & MACARONS – EIN UNVERGESSLICHES GARTENFEST
So feiert die französische Filmwelt und lüftet ihren Schleier.

THE GUILTY
Auch der Polizist am Notruf ist nicht ohne Sünde. Deshalb ist er die Titelfigur.

DER VORNAME
Jeder Vorname ist geschichtlich positiv wie negativ belastet; da versuche mal einer, einen spannenden Film daraus zu machen.

BEING MARIO GÖTZE – EINE DEUTSCHE FUSSBALLGESCHICHTE
Mehr Fußball denn Kino – für die Fans – und für Karrierepsychologen.

DVD
DER LETZTE DALAI LAMA?
Für Gewaltlosigkeit und Friedfertigkeit und von China verfolgt.

FEINDE – HOSTILES
Den Intimfeind auf seinem letzten Weg beschützend begleiten.

Being Mario Götze – Eine deutsche Fußballgeschichte

Der Ball bleibt rund.

Dieser Film von Aljoscha Pause von DAZN richtet sich primär an den Fußballfan. Er bekommt darin 2 ¼ Stunden Mario-Götze satt.

Es gibt eine Menge bekanntes Fernsehfootage aus Spielen mit wichtigen Toren, um die Spiele herum und von Interviews. Es gibt Statements von Sportfunktionären, dem Bundestrainer, von anderen Fußballern und von Fußballjournalisten.

Es gibt einen familiären Strang, Bruder und Vater stehen Pause Rede und Antwort. Es wird im Familienarchiv gekramt und es kommt Super-8-Material vom kleinen Mario zum Vorschein, der sich zwischen den Größeren durchkämpfen muss, kaum dass er gehen kann.

Es gibt einen inszenierten Besuch von Götze und seiner Ehefrau im WM-Museum. Man sieht ihn mit ihr im offenen Mercedes-Cabrio durch Dubai brausen. Wie so ein Film über einen Fußballer unvermeidlich zu einer enormen Häufung von ins Bild drängenden Product-Placements führt, was die Freude der Fußballfans sicher nicht mindern dürfte.

Auch für den Nichtfußball-Fan dürfte Götzes Entwicklung (mit besonderer Berücksichtigung der psychologischen Komponente) von Interesse sein, die einen wichtigen Strang in der Dokumentation ausmacht, die gerne hin und her springt in Götzes Karriere.

Es wird sehr klar geschildert sein absolut ungewöhnliches Talent, wie er wie mit einem Radar Räume wahrnehme und wie er auch Spielentwicklungen voraussehen kann (Antizipationsfähigkeit) und so Lücken für Pässe und Torschüsse findet, die wohl keiner sonst finden würde; eine Ausnahmebegabung.

Es kommt sein Entdecker und Förderer Jürgen Klopp ausführlich zu Wort. Der hat dem genialen aber ebenso sensiblen Talent in Dortmund ein erstklassiges Entwicklungsbiotop geboten, sehr früh. So dass er sehr früh in die Nationalmannschaft kam bis zu dem berühmten Siegestor in der WM 2014.

Damit legte sich die Last des Erfolges auf ihn, schob Sorglosigkeit und Verspieltheit der Jugend hinweg. Dagegen stand das Bedürfnis, sich weiterzuentwickeln. Der Wechsel nach Bayern. Und die damit verbundenen Härten, die Verachtung seiner angestammten Fans.

Der Film ist ein Stück weit auch Aufarbeitung von Vorkommnissen. Beispielsweise dieser Wechsel, vor allem der Zeitpunkt seiner Bekanntgabe oder die Nichtaufnahme in den Kader für die WM in Russland dieses Jahr. Wie beschissen es der Nationalmannschaft dort ergangen ist, da hört der Film klugerweise vorher auf. Und der Betrachter kann sich sein Teil denken und hoffen, dass Götze diesen Reifungsprozess vom Naturtalent zum beherrschten Professional über Krisen, Shitstorms, Krankheit, den harten Weg der Selbstbewusstwerdung erfolgreich zu Ende bringt.

Ein Verbindung zum ebenfalls heute startenden Schweizer Spielfilm Mario, der von einem schwulen Fußballer handelt, ist mir nicht bekannt.

The Guilty

Der Titel ist der Spoiler.

In dicht-konzentrierter Atmosphäre gibt uns Gustav Möller, der mit Emil Nygaard Albertsen auch das Drehbuch geschrieben hat, bekannt, dass es in Dänmark zumindest einen Streifenpolizisten gibt, der selbst fahrlässig oder gar willentlich einen 19-Jährigen erschossen hat und am Tag der auf den Film folgen wird, vor Gericht aussagen will, dass es Notwehr war.

In Absprache mit seinem Patrouillenkollegen soll das eine wasserdichte Begründung werden. Allerdings scheint der Kollege die Nacht zuvor einiges getrunken zu haben.

Das ist so nicht der Film, das ist lediglich das, was uns der Filmemacher mitteilen will. Ob wir es wissen wollen oder nicht. Er kontrastiert diese Schuld, dieses Vergehen mit einem sich zur Doppelschicht auswachsenden Dienst in der Notrufzentrale der Polizei.

Es wirkt so, als hätte jemand dem Gustav Möller gesagt oder ihn gebeten, einen Film zu drehen, der nur in der Notrufzentrale spielt, einen Tag und eine Nacht lang. Auftrag: Berufsbild eine Polizisten in der Notrufzentrale.

Der Protagonist – und faktisch Solostarsteller – heißt Asger Holm. Jakob Cedergren spielt seine Rolle so konzentriert, wie Darsteller bei der Reality-Verbrechersuchsendung „Aktenzeichen XY“ die Realität darstellen. Insofern eine zwar überzeugende, aber eben auch etwas eindimensionale Angelegenheit.

Der Rest ist Nahaufnahme von Asger, den Kopfhörer auf und Hörspiel.

Die Anrufe werden sich speziell um ein Verbrechen handeln. Das ist eine zerrüttete Familie. Ein Kindstötung kommt vor, eine Entführung der Mutter durch den Vater, ein Mädchen, das allein in der Wohnung zurückbleibt.

Der Polizist in der Telefonzentrale versucht über die Kommunikation mit den Kollegen helfend und rettend in die Handlung einzugreifen. Vorteil der modernen Telekommunikaiton ist, dass er bei jedem Anrufer auf seinem Display gleich Nummer, Name und Adresse sehen kann. Bei Handyanrufen leuchtet als roter Kreis der dem Handy am nächsten gelegene Funkmasten auf.

So bleibt die Zugriffsmöglichkeit der Polizei ungefähr so steuerbar, wie das Herausfischen von Stofftieren bei Automaten an Autobahnraststätten.

Die Aufgabenstellung an den Regisseur könnte auch gewesen sein, machen sie einen Informationsfilm, einen Fachfilm über die Arbeit auf einer Notrufzentrale und erfinden sie, damit es nicht langweilig wird, eine Geschichte dazu. Der Abgang des Protagonisten ist von einem leichten Pathos im Gang durchweht; aber seine Frisur ist durchgehend makellos.

Nanouk

Weit mehr als Ethnokino

ist dieser Film von Miko Lazarov, der mit Simeon Ventsislavov auch das Drehbuch geschrieben hat.

Es ist Kino, wie es nur Kino kann, ein Kino, das Fragen nach dem Menschsein, dem Sein, der Vergänglichkeit, der Ewigkeit, der Familie stellt als zeitlose, ewig gültige Fragen.

Die Mittel dazu sind Urkinomittel. Es ist eine meisterliche Fotografie, die an Das Salz der Erde von Wim Wenders denken lässt. Es ist dies eine brillante Standfotografie, die immer auch den Übersprungsblick hat, wenn Sedna (Feodosia Ivanova) ihrem Mann Nanouk (Mikihail Aprosimov) die Beine mit einer Salbe einreibt, dann guckt die Kamera auf ein Detail der Jurte. Wenn Nanouk am Fallenbau werkelt, sieht die Kamera ein Detail im Eis.

Hinzukommt die geschicke Montage dieser Bilder, die auch den Himmel miteinbeziehen, seltene Raben oder ein Rentier, wobei nicht ganz klar ist, ob Nanouk diese als Fatamorgana sieht oder real. Denn die Zeit, dass die Familie eine Rentierherde hatte, ist lang vorbei. Der Klimawandel. Der macht sich auch beim Fischfang bemerkbar.

Spätestens mit dem Einsatz von Mahlermusik, wobei der Musikeinsatz außerordentlich sparsam dosiert ist, gelingt der Sprung ins große, existentielle Kino. Auch der wird über eine Handlung eingeführt, über ein Transistorradio. Das Ethnoelement wird damit als vordergründiger Eyecatcher lesbar. Wobei dieses selbst ebenfalls großartig eingesetzt wird.

Nanouk und Sedna leben in der sibirischen Eiswüste von Jakutien. Es ist eisiger Winter. Der Film beschreibt ihr Leben, ihren alltäglichen Lebenskampf. Fisch- und Schneehasenfang, Wasserkochen, eine Wunde am Bauch versorgen, Wasserlöcher bohren, mit dem Schlittenhund und dem Schlitten rausfahren, einen Sturm aushalten, Salben herstellen, Fisch gefroren essen oder in heißem Wasser kochen, Fischernetz reparieren, oder sie liegen nebeneinander in den Fellen, erzählen sich Geschichten, nehmen einen Hasen aus oder stellen aus dem Fell eine Mütze für die Tochter Aga (Galina Tikhonova) her.

Aga arbeitet in einer Diamantmine. Sohn Chena (Sergei Egorov) lebt in der Stadt. Er kommt zu Besuch mit einem motorisierten Eismobil. Er bringt ein Geschenk von Aga. Die moderne Zivilisation spielt hinein in diese Welt ohne Handy, ohne Internet, ohne Telefon, ohne Post und Zeitungen. Flugzeuge hinterlassen hoch am Himmel ihre Kondensstreifen – der Lärm ist mörderisch oder ein Lastenhelikopter fliegt in der Nähe vorbei.

Wie Sedna stirbt, ist für Nanouk kein Sein mehr in der Eiswüste. Er macht sich auf den Weg zur Diamantmine, Roadmovie auf Eis, bei dem alle 30 Kilometer vorsichtshalber die Dicke gemessen werden soll – die Klimaerwärmung.

Der Film eröffnet mit einem Solo von Sedna auf der Mundgeige.

Dogman

Hunde sind bekannt dafür, sich an etwas festzubeißen.

Mit Hunden hat die Hauptfigur dieses Filmes von Matteo Garrone (Das Märchen der Märchen) zu tun.

Marcello (Marcello Fonte) betreibt einen Hundesalon. Und mehr. Kleine Dealereien mit Koks und Diebesgut. Er träumt mit seinem Töchterchen vom Tauchen und von den Malediven. Er ist vernarrt in das Mädchen. Die Mutter lebt woanders.

Mit der Teilnahme von Marcello an einem Hundefrisier-Wettbewerb wirft Garrone einen skurrilen Blick in die Welt der Pudel mit zu wahren Kunstbergen geformten Frisuren.

Sonst zeigt er Matteo, wie er die verschiedensten Arten von Hunden versucht zu waschen, zu föhnen oder gar massierend zu kneten. Alles ist ohne Lieblichkeit. Marcello betreibt sein Handwerk mit einer Hingabe, die aber keine persönlichen Beziehungen zu den Hunden entwickelt. Sie sind lebendige Materie für ihn, aber keine Bezugspersonen.

Matteos Bezugsperson ist Simon (Edoardo Pesce), im Abspann liebevoll Simoncino (Simönchen) genannt. Der ist eine Person von großer Körperfülle, mehr Körper als Geist, einen Kopf größer als Marcello. Simon grinst nie, während Marcello immer eine Art Clownslachen auf den Lippen hat. Er fügt sich seinem Schicksal. Es ist eine merkwürdige Anziehung zwischen den beiden. Was das Gegengewicht gegen die brutale Ausnutzerei von Marcello durch Simon ist, bleibt vage.

Vielleicht hat Marcello einfach keine andere Chance. Wirtschaftlich steht er nicht so gut da. Er ist darauf angewiesen, bei einer Diebestour als Fahrer dabei zu sein. Wie er von den Ganoven hört, dass sie den Hund in der Villa, in die sie eingebrochen sind, in den Kühlschrank gesteckt haben, klettert er später nochmal rein, um den Hund zu retten und wiederzubeleben, ein Chihuahua.

Und wie ein Hund scheint Garrone sich auf das unerklärliche Verhältnis zwischen Simon und Marcello festzubeißen. Immer wieder verlangt Simon von ihm Koks und bezahlt nicht. Er erpresst ihn sogar, ihm den Ladenschlüssel zu überlassen, um in den benachbarten Laden, der An- und Verkauf von Gold betreibt, einzubrechen und diesen auszuräumen. Dafür wandert Marcello, da er Simon nicht verpfeift, ein Jahr in den Knast.

Garrone scheint sich daran festzubeißen, wieviel Ungerechtigkeit ein Mensch erträgt, an der Frage, was es braucht, bis ein unpolitischer Mensch, der Marcello ist, aktiv wird, sich das Unrecht nicht mehr bieten lässt.

Marcello wird bis zu seinem Schmerzpunkt geführt. Und da er sich immer alles hat gefallen lassen, sich nie gewehrt hat, wird seine Reaktion entsprechend unbeholfen und selbstverständlich nicht im Sinne rationaler Auseinandersetzung stattfinden und blutig enden.

Das Bühnenbild ist nostalgisch, ist exizentialistisch; in einer Küstenanlage mit gewachsener Architektur, aber außerhalb der Saison, bildlich interessant, am Schluss erinnert das Setting an eine kleine Arena, in der Garrone die Elemente Zärtlichkeit und Gewalt aufeinanderloslässt. Es ist eine Welt abseits der Globalisierung der allseitigen Verknüpfung und Beobachtung, der allseitigen Vernetzung, ein Ort wie des Vergessens, ein Ort, der übersehen wird in den Läuften der Geschichte: Castello di Volturno.

Champagner & Macarons – Ein unvergessliches Gartenfest

Inzwischen bedeutet es, einen Film von Agnès Jaoui (auch hier hat ihr Lebensgefährte Jean-Pierre Bacri am Drehbuch mitgeschrieben), zu schauen, so etwas wie das Privileg, von ihr eingeladen zu werden, um an Schilderungen aus ihrem bewegten Leben im Milieu bekannter Künstler teilnehmen zu dürfen, so persönlich jedenfalls wirken die Filme.

Wobei Geschichten Geschichten sind und das Leben das Leben. Sie ist nicht nur die Weltverbesserin, wie sie sich im Film darstellt, hinter der Kamera ist sie nebst Drehbuch und Regie auch noch an der Produktion beteiligt und dürfte inzwischen eine recht erfolgreiche Geschäftsfrau im Filmbusiness sein.

Das ändert nichts am Charme und der Glaubwürdigkeit der Geschichten. Hier ist sie als Hélène bei ihrer Schwester Nathalie (Léa Drucker) zur Einweihung von deren Landpalais mit Park „einen Steinwurf“ von Paris entfernt eingeladen.

Allein an der Beschreibung dieser Strecke zeigen sich gesellschaftliche Gräben und Differenzen. Hélène hat mit ihrem Freund Vincent (Eric Viellard), der ihr vor lauter Gutmütigkeit garantiert nicht die Show stiehlt, eineinhalb Stunden gebraucht für die Strecke. Während ihr Ex Castro (Jean-Pierre Bacri) mit seinem Fahrer Manu (Kévin Azais) in der Nobelkarrosse es in einer halben Stunde geschafft haben.

Beim Einparken ist Hélène so ungeschickt, dass sie die Nobelkarrosse anschrammt. Das wiederum führt zu einer weiteren kleinen Detailgeschichte, die Jaoui gleich als Rähmchen nimmt für diesen Ausschnittsblick in ihre besondere Gesellschaftsschicht, in der man sich gerne über das Personal aufregt, da man solches hat.

Personal, das sind Samantha (Sarah Suco), die mehr an Selfies mit den prominenten Gästen denn am Servieren interessiert ist oder die Buchhalterin, die aus der tollen Karaoke-Idee ein Fiasco zaubert.

Die Gastgeberin ist ihre Schwester und eine erfolgreiche TV-Produzentin. Sie produziert auch die Sendung, in der Castro moderiert und wird ihn mit dem Rauswurf konfrontieren; aber der Geschichtenerzählerin Jaoui wird bestimmt eine Gegenaktion einfallen, die just mit seinen Altersproblemen zu tun hat und damit, das ist ein weiteres Highlight, die Begegnung mit beider Tochter Nina (Nina Meurisse), die ein ganz offensichtich autobiographisches Buch über das prominente Familienleben geschrieben hat. Vater ärgert sich über das Kapitel mit der Perücke.

Es liegt auch eine Drohung über dem Fest, das ist der Nachbar mit der Flinte. Andererseits gehören zum Fest Tanz, Gesang und Kulinarisches sowie der herzergreifend komische Versuch des Osteuropäers Pavel (Miglen Mirtchev), eine Rede auf seine Geliebte, die Gastgeberin Nathalie zu halten. Ein Regenguss sorgt für weitere Dynamik in dem generell eher ländlich-gemütlichen denn städtisch-hektischen Jaoui-Streifen.

A Fabrica de Nada

Ausgehend von Judith Herzbergs „De Nietsfabrik“ und nach einer Originalidee von Jorge Silva Melo entwickelten Joao Mtos, Tiago Hespanha, Luisa Homen, Leonor Noivo und der Regisseur Pedro Pinho das Drehbuch.

Der Film ist „gewidmet allen Arbeitern von FATELEV, die zwischen 1975 und 2016 …levaram a cabo una experencia impar de auto-gestao da antiga fabrica de elevadores da OTIS portugesa – eine einzigartige Produktion der alten Aufzüge in Eigenregie/Selbstverwaltung durchführten“.

Der Film kreist um diese Vorgänge von Arbeiterselbstverwaltung als Antwort auf den vorgesehenen Kahlschlag ihrer Liftfirma als Folge des Turbokaptialismus.

Er fängt mit Szenen an, wie die Firma in der Nähe von Lissabon geschlossen werden soll. Arbeiter bemerken, dass nachts LKWs das Gelände verlassen. Ein dubioser Vorgang. Sie stellen die Fahrer zur Rede. Einer entkommt. Der andere will seine Ladung nicht zeigen. Die Arbeiter erzwingen das und entdecken, dass Arbeitsroboter aus der Firma entfernt werden sollen.

Am nächsten Morgen kommt die Chefin der Firma mit einer neuen Personalchefin und einem neuen Produktionsleiter an ihrer Seite. Sie erzählt von der Globalisierung, von steigenden Kosten und sinkender Nachfrage, sie lächelt pausenlos freundlich, sie erwähnt die Konkurrenz aus China. Kurz, durch die Blume heißt das, die Fabrik soll geschlossen, die Arbeiter gegen Abfindung entlassen werden.

Damit die sich nicht solidarisieren, bestellt die neue Personalchefin die Arbeiter zu Einzelgesprächen. Die Abfindungsangebote variieren. Es ist ein komplizierter Prozess, bis einige der Arbeiter sich entschließen, weiter zur Arbeit zu gehen, die Fabrik zu übernehmen.

Der Film widmet sich davon ausgehend höchst engagiert dem Thema, wie eine gute Arbeitswelt aussehen könnte, wie ein guter Kapitalismus, was für eine Linke es dazu bräuchte und ob sie nicht, auch wenn sie die Fabrik in Selbstverwaltung betreibe, nicht doch auch den Gesetzen des Kapitalismus ausgeliefert sei, dem Marktfetischismus unterworfen.

Es spielt ein Kapitalismusforscher mit, dem das Experiment gelegen käme. Es werden Vergleiche zu anderen Ländern gezogen, Argentinien, Griechenland.

Der Film ist selbst wie ein Wahrheitssucher, der seinen Gegenstand von allen Seiten zu beleuchten versucht, wobei es ihm weniger auf cineastisch-stilistische Brillanz ankommt. Seine Handschrift ist die eines Forschers.

Er vergisst nicht, dass Sinnlichkeit und Liebe und Natur ebenso zum Leben gehören wie Diskussion über Arbeit und Kapital, über Gewalt, Selbstverwaltung.

Die Freude der Arbeiter in ihren blauen Arbeitsmänteln kennt keine Grenzen, weil ein Anruf aus Argentinien kommt mit einer garantierten Bestellung von 3000 Schwenkmodulen. Da laufen die Arbeiter tanzlich und gesanglich zu Höchstform auf.

Es wird aber auch die Überlegung bewaffneten Widerstandes evaluiert. Waffen gäbe es noch in einem Versteck.

Der Film findet spielend seinen Bogen über die drei Stunden, ist besetzt mit überzeugenden Typen, gewährt Erholung in der Natur, erfordert Konzentration bei den ökonomisch-humanistischen Diskussionen und ist auf alle Fälle ein Anregung für Menschen, die sich mit der Welt und deren vorherrschenden ökonomisch-politischen Verhältnissen nicht zufrieden geben wollen.

Und was hat das Thema mit der Begehrtheit dänischer Samenbanken bei Engländerinnen zu tun?

Mario

Unter der Dusche sind sie alle gleich, sind sie alle nackt, die Fußballer. Aber für manche ist es ein Problem, wenn das Gerücht geht, dass einer von ihnen etwas mit einem Mann habe. Oh, das ist kaum auszuhalten – im selben Duschraum mit so einem. Wieso, das ist nicht ersichtlich. Das kann auch dieser sorgfältige, bodenständige Film aus der Schweiz von Marcel Gisler, der mit Thomas Hess nach dessen Idee auch das Drehbuch geschrieben hat (sie hatten auch noch einen Drehbuchcoach: Grischa Duncker) plausibel machen oder erklären.

Gisler will es nicht psychologisch aufdröseln, woran es liegt, dass Fußballer partout nicht schwul sein dürfen, vielleicht eines der letzten Tabus? In den meisten anderen Lebensbereichen spielt das ja offiziell keine diskriminierende Rolle mehr, das können sogar Minister oder Ministerpräsidenten sein. Aber Fußballer und schwul? Das geht gar nicht.

Der Film entwickelt sorgfältig Szenen mit dem talentierten Nachwuchsfußballer Mario (Max Hubacher) aus Thun, der sexuell und beziehungsmäßig ein unbeschriebenes Blatt ist. Er hat eine beste Freundin, Jenny (Jessy Moravec); mit der singt er Karaoke. Die könnte er bestens als Alibi-Freundin öffentlich vorführen.

Dann kommt Leon (Aaron Altaras) aus Deutschland in den Club. Nichts Auffälliges, außer dass er höchst attraktiv und knackig ist.

Die Schweizer Denkweise lässt nun die beiden die ersten halbe Filmstunde aneinandervorbeileben. Diese Denkweise repräsentiert eine Art Filmrealismus, der das Thema realitätsproportional diskret in die Filmrealität einbettet, in lauter Alltagsszenen, in denen wir die Jungs (die „Gielen“) trainieren sehen, in denen wir erfahren, dass Mario noch geborgen bei seinen Eltern Daniel (Jürg Plüss) und Evelyn (Doro Müggler) lebt.

Aus Karrieregründen kommt die Idee auf, Mario in einer Spielerwohnung einzuquartierern, um Fahrten zu sparen. Ausgerechnet Leon wird sein Mitbewohner. Nach einer halben Filmstunde gibts den ersten Kuss.

Dann dauerts nochmal zehn Minuten bis mehr daraus wird. Die beiden sind glücklich.

Aber die sorgfältigen „Gedankengänge“ ihrer Umgebung, denn das glückliche Paar wird knutschend beobachtet, bahnen sich schweizerisch bedächtig ihren Weg, unaufhaltsam.

Mit dem Glück kommen die Probleme. Die Liebe eines Spielers ist eine öffentliche Angelegenheit, hat mit den Werbepartnern zu tun.

Gespräch um Gespräch und Beratung um Beratung wird dieses Glück zerfleddert, bis es sich negativ auf die Leistung auswirkt. Karriere und Liebe schließen sich immer mehr aus.

Ab und an entscheidet sich der Film für dramaturgische Wendungen, die nicht unbedingt zwingend sind, aber dann nimmt er auf dem neuen Gleis wieder Fahrt auf.

Gisler führt den exzellenten Cast behutsam und glaubwürdig. Das hängt mit den sorgfältigen Dialogen zusammen, die nie erklärend sind, sondern die Entwicklung forttreiben, versuchen, Lösungen zu finden aus den gesellschaftlichen Zwickmühlen, die sich aus dem Thema Schwulität und Fußball immer noch ergeben.

Gut schweizerisch demokratisch wird keiner verteufelt, darf jeder seine Position zum Thema vortragen im Gerüst einer spannenden Geschichte in diesem schön geerdeten Kino aus der Schweiz.

Der Vorname (D 2018)

Der Versuch eines deutschen Remakes des französischen Filmes Der Vorname, der wiederum auf dem gleichnamigen Theaterstück von Matthieu Delaporte basiert, der wiederum hatte mit Alexandre de La Patellière auch die Filmregie übernommen und das Drehbuch für den französischen Originalfilm geschrieben, der bei uns bereits unter dem Titel „Der Vorname“ gelaufen ist (die Ablage meines Rechners macht das nicht mit, weshalb ich „D 2018 dem Titel hinzugefügt habe).

Sicher, die französische Verfilmung ist auf dem Boden der hochgepflegten französischen Filmkultur gediehen, hatte Tempo und Witz, stefe war angetan, siehe seine Review.

Was hat Sönke Wortmann aus dem Stoff gemacht, der auch etwas an den Gott des Gemetzels erinnert, ebenfalls ein Theaterstück, das vor nicht allzu langer Zeit Roman Polanski mit Verve und Weltstars verfilmt hat?

Bei Sönke Wortmann hat für das deutsche Drehbuch Claudius Pläging mit- oder umgeschrieben.

Wortmann fängt die Inszenierung hochtourig an. Schnelle Dialoge, maschinengewehrsahlvenhaft, immerhin eine Art von Power. Ein Wort ergibt das andere.

Die Protagonisten sind Caroline Peters, Christoph Maria Herbst, Florian David Fitz, Justus von Dohnány und Janina Uhse. In ihren Rollen sind sie alle verwandt miteinander, verschwägert, verschwistert, wie auch immer.

Die Frau von Fitz ist schwanger. Weit über eine halbe Stunde beißt sich der Film am Thema fest, wie das Kind heißen soll. Der Vater macht scherzeshalber einen ziemlich unziemlichen Vorschlag. Es erweist sich dabei, dass das reine Vornamensthema so richtig abendfüllend nicht ist, von jedem Vornamen positive und abschreckende historische Beispiele zu finden. Da könnte man gar keinen Vornamen mehr benutzen.

Es geht auch noch um das Liebesleben eines der Geladenen, der mit den Geschwistern aufgewachsen ist, ein Klarinettist. Auch da ergibt sich eine Überraschung. Es wird ferner einen, meiner Meinung nach inszenatorisch allerdings nicht maximal ausgereizten Tortengag geben.

Dieses Prinzip Pointe-Lacher, Pointe-Lacher, das haben sie ganz gut und recht professionell hingekriegt, wobei Florian David Fitz sich etwas zu oft mit der Hand ins Gesicht langt.

Irgendwie würde man noch eine Vertiefung erwarten, dass tiefere Schichten dieser Familie ans Licht kommen, dass sich eine Steigerung wie im Gott des Gemetzels ergibt. Die bleibt allerdings aus. So dass immerhin für Lachwurzen einiges rausschaut bei diesem Feuerwerk an Missverständnissen.

Für Feinheiten und Tiefgründigeres bleibt kein Raum. Als Höhepunkt darf der Aufopferungsmonolg von Caroline Peters gelten.

Johnny English – Man lebt nur dreimal

Vielleicht ist es eine Frage der persönlichen Befindlichkeit und womöglich auch gar nicht mehrheitsfähig, dass ich mich bestens amüsiert habe in diesem Film von David Kerr nach dem Drehbuch von William Davies, wie Mr. Bean (Rowan Atkinson) nach der guten „alten Schule“ die machtversessenen und nach Weltherrschaft strebenden IT-Giganten in die Wüste schickt.

Denn der Film hat Rhythmus, Timing, Tempo, Rasanz, viele Gags sind meilenweit vorhersehbar – aber das erhöht doch nur das Vergnügen. Die Briten sind Könner, sie haben den James Bond intus und sie haben den Bean intus.

Bean arbeitet nicht mehr beim MI6. Er unterrichtet Geographie an einem College. London leidet gerade unter Cyber-Attacken. Der Geheimdienst seiner Majestät sucht dringend einen Agenten, der nicht auf dem Schirm des Internets ist, also einen altmodischen Trottel wie Mr. Bean. Der hat kein Handy, keinen Internetanschluss, taucht in den sozialen Netzwerken nicht auf. Beherrscht aber die „old school“. So wird er reaktiviert.

Er soll mit seinem Partner Bough (BenMiller) Jason (Jake Lacy), den Internetmilliardär auskundschaften. Der logiert gerade im Mittelmeer in seiner Luxusyacht „Dot Calm“. Die liegt vor Antibes in Frankreich.

Wie beim James Bond bekommt Bean seine Geheimdienstinstrumente vorgeführt und zur Auswahl. Als Auto entscheidet er sich für einen knallig roten Aston Martin (der wird sich später eine neckische Verfolgungsjagd mit einem Elektro-BMW auf einer Bergstrecke liefern).

Die beiden Agenten treiben sich in Antibes im Luxus herum. In einem Nobelrestaurant nähern sie sich ihrem Zielobjekt mit Old-School-Kellner-Nummern, fackeln das halbe Lokal ab. Wissen aber jetzt, wo ihr Zielobjekt logiert. Schleichen sich auf die Yacht. Dort treffen sie auf die russische Spionin Ophelia (Olga Kurylenko), auch wenn sie das im Moment noch nicht wissen.

Hauptziel ist es, eine Zielmarkierung im gigantischen Computerzentrum des Schiffes anzubringen. Das gelingt und wird später als hilfreich erweisen.

Zwischendrin gibt es eine famose Emma Thompson, der es nicht genug Vergnügen bereiten kann, die britische – verzweifelte, als ob es sich um den Brexit handelt – Premierministerin zu spielen.

Und Mister Bean liefert eine Comic-Nummer als einer, der sich mit virtueller Brille in der realen Welt verläuft. Seine Bean-Gesichtsverrenk-Glanznummer wird verursacht von chillischarfen kleinen Nüssen.

Die Verwicklungen münden in einen G8-Gipfel in einer Burg an Loch Ness, in dem sich zum Glück ein U-Boot der Navy tummelt. Auch das wird sich noch als sinnig erweisen. In diesem Schloss kommt es zum turbulenten Count-Down – und zur Rettung der Welt vor der Cyberpiraterie durch den virtuell gar nicht existierenden Mister Bean und seinen Mitarbeiter. Yes und why not: „we are doing this mission old school“.