Durch die Wand

Von den Vorteilen der Langsamkeit und des Spätentwicklertums.
Eine irre Geschichte. (Wer sich überraschen lassen will, der darf nicht weiterlesen, sollte sich gleich eine Kinokarte besorgen). Denn Überraschungen hält dieser Kletterfilm zur Genüge bereit.

Für so ein Drehbuch würde kein Autor, und schon gar nicht in Deutschland, eine Finanzierung bekommen. Da es sich aber um eine Dokumentation handelt, nämlich von Josh Lowell und Peter Mortimer, ist es eine Geschichte, die das Leben schrieb. Und das sind nicht unbedingt die schlechtesten.

Tommy Caldwell ist ein merkwürdig langsamer, retardierter Junge. Erst mit zwei Jahren lernt er gehen. Niemand traut ihm etwas zu. (Gut, das könnte noch Klischee für eine Romantic Comedy oder eine Heldengeschichte abgeben).

Tommys Vater ist ein Kraftprotz, Bodybuilder, ein verrückter Kerl. Die Familie wohnt am Yosemite Nationalpark. Tommy saugt das Klettern und Kraxeln mit der Muttermilch auf. Der Film kann dabei auf Archivmaterial aus der Familie zurückgreifen.

Mit 16 macht er eher zufällig bei einem Kletterwettbwerb mit und gewinnt, bezwingt eine Wand, die vorher noch keiner bezwungen hat. Von dem Tag an ist er ein Star.

Erste hochdramatische Wendung: mit einer Kletterexpedition nach Kirgistan gerät er mit seiner Freundin und zwei weiteren Expeditionsmitgliedern in Geiselhaft von Aufständischen. Sie werden praktisch aus einer Steilwand herausgeschossen. Nach Tagen des Hungerns schafft Tommy die Befreiung der Gruppe, weil er den einzig verbliebenen Bewacher bei einem Aufstieg eine Wand hinunterstößt.

Ab hier muss er mit den Komflikt leben, einen Menschen umgebracht zu haben. Das schweißt zwar seine Liebe zu Beth zusammen, legt aber auch schon den Riss an.

Nächster Schicksalsschlag. Beth, seine Lebens- und Kletterkameradin, verlässt ihn nach 8 Jahren der Ehe.

Weiterer dramatischer Twist: an der Sägemaschine schneidet er sich einen halben Finger ab. Klettern ist nicht mehr möglich, lautet die einhellige Meinung der Experten.

All diese Aussichtliosgikeit weckt in ihm offenbar ungeahnte Kräfte, er muss sich beweisen. Er will die von der Morgensonne bestrichene Dawn Wall vom El Capitan auf einer neuen Route bezwingen.

Hierzu tritt eine neue Figur ins Spiel, denn er braucht einen Begleiter. Kevin meldet sich, der in sonnigen Weinbergen aufgewachsen ist. Er kennt nur das Bouldern in Kletterhallen. Das ist eine weitere Hypothek, die nicht einlösbar scheint.

Tommy und Kevin bereiten sich jahrelang und minutiös für ihre neue, noch nie begangene Route vor. Und als ob das nicht schon Wahnsinn genug wäre, ergibt sich mitten im Aufstieg beim traversalen Pitch 15 das Problem, dass Kevin das nicht meistern zu können scheint.

Womit Tommy in den Gewissenkonflikt gerät, die Sache allein durchzuziehen dem Rekord zuliebe, oder Mitmenschlichkeit mit Kevin zu zeigen.

Aus Archiv- und Newsmaterialien, aus dem aufwändig mit Drohnen, GoPros und in der Wand postierten Kameramännern gefilmten Rekordaufstieg und aus nachgedrehten Interviews montieren Lowell und Mortimer einen spannenden Streifen, der es mit jedem Actionthriller aufnimmt.

Es ist innert einem Jahr der dritte Film, der Ibuprofen erwähnt. Wie schon in Zwischen zwei Leben – The Mountain between us und No Way out – Gegen die Flammen, beides Katastrophenfilme. Dabei waren kürzlich kritische Stimmen zu dem Schmerzmittel zu vernehmen.

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