Asghar Farhadi ist ein iranischer Vorzeigefilmer (The Salesman, Le Passé – Das Vergangene), der im Iran westliche Filme machte, Beziehungsgeschichten wie bei uns. Dadurch gilt er für die westlichen Filmintellektuellen als ein Missionar ihrer Weltsicht.
Jetzt hat Farhadi seinen heimischen Boden verlassen und will im Westen westliche Filme machen, in Spanien. Hier fehlt ihm allerdings der kulturelle Mitleidsbonus, hier muss er sich auf Augenhöhe mit westlichen Filmemachern und deren Filmsprache messen lassen.
Der deutsche Titel, der (genaue Übersetzung: „Alle wissen es“) praktisch den spanischen Originaltitel widergibt, ist allerdings eine gewisse Falle. Denn wenn alle etwas wissen, so gibt es kein Geheinnis mehr. Als Allgemeinplatz ist es ebenfalls kein Geheimnis, dass Familien sehr kaputt sein können (sonst lohnt es sich nicht darüber zu berichten).
Im konkreten Fall geht es darum, dass in einem spanischen Dorf allgemein bekannt ist, dass in der Familie von Laura (Penélope Cruz) mit dem Argentinier Alejandro (Ricardo Darin) und deren Tochter Irene (Carla Campra) etwas nicht stimmt. Vielleicht deshalb sind sie nach Argentinien ausgewandert.
Die Hochzeit der jüngeren Schwester von Laura ist ein Anlass, nach Jahrzehnten in das Dorf zurückzukehren. Dort trifft sie auf Paco (Javier Bardem), mit dem sie ein offenes Geheimnis verbindet. Wobei das für den Zuschauer allerdings ziemlich lange vergeheimnisst wird.
Farhadi fängt den Film mit diesem Geheimnis an. Er beginnt aufwändig in der Glockenstube der Ortskirche. Er hebt bedeutungsvoll die Zahnradmechanik der Uhrwerks hervor; Mechanik und Verzahnung spielen aber im weiteren Film keine Rolle mehr. Er blickt auf die Wandinschrift der Liebe von Paco und Laura – wer vorher das Presseheft gelesen hat, kann es deuten. Und als eher verbrauchtes Symbol kommt eine durch das Glockengeläut aufgescheuchte Taube vor – schwer, schwer symbolisch.
Im Gegensatz zum präzisen Räderwerk der Kirchturmuhr spielt Mechanik bei Farhadi keine Rolle, im Gegenteil, er setzt auf einen rucklig-hackligen, zerfaselten Erzählstil mit Verzicht auf Establishing Shots. Dafür mit Wackelkamera immer mitten rein und der Schnitt ist wenig einleuchtend, unorganisch, was ich nicht als Zeichen gepflegter iranischer Filmkultur lesen kann.
Farhadi lässt seiner Freude an hübschen Filmfrauen freien Lauf. Das sind alles Schönheiten – Spanierinnen allesamt, aber hergerichtet wie Iranerinnen und vor allem meist mit einem Aufheller auf das tadellos geschminkte Gesicht mit dem professionellen Lächeln und den offenen, dunklen Haaren. Soll wohl die Fassade der nicht intakten Familien darstellen.
Der Mann von Laura kommt später nach. Während der Hochzeit vertreibt sich ein junges Liebespaar in der Glockenstube die Zeit, hat Flausen und lässt die Turmglocke anspringen. Soll wohl Erinnerung an frühere Lieben dort oben sein. Ist aber von unserem Kulturbegriff her eher ungewöhnlich, dass bei der Trauungszeremonie nicht die ganze Familie anwesend ist. Ein filmischer Kunstgriff, der wenig Ertrag bringt.
Alejandro reist später an. Bald wird auch klar, dass er in finanziellen Schwierigkeiten steckt. Auch geht es um einen Weinberg, der vor Zeiten zu billig verkauft worden sei. Plötzlich ist die mündige Tochter Irene entführt. Es gibt Lösegeldforderungen. Der Film entwickelt sich zum Krimi, der in der Kaputtheit der Familie gründet.
Ein gelungenes Beispiel zur Demonstration von Kaputtheit in der Familie lieferte neulich Italien mit Zuhause ist es am schönsten.
Für einen begnadeten Schauspielerregisseur halte ich Farhadi nicht, die Schauspieler wirken oft allein gelassen, was zu viel bedröppelter Schauspeielerei führt. Und was ist jetzt der Plot der Filmes?