Polizeiruf 110: Das Gespenst der Freiheit (ARD, Sonntag, 19. August 2018, 20.15 Uhr)

Der Kommissar mit den Ed. Meier-Schuhen.

Die Absicht dieses Polizeirufes scheint zu sein, aufzuzeigen, wie Verfassungsschutz und Polizei in Bayern von rechtslastigem Gedankengut infiziert sind.

Der Plot dreht sich um einen Spitzel des Verfassungsschutzes mit offensichtlichem Migrationshintergrund, der in eine Neonazi-Gruppierung eingeschleust wurde und daraus berichten soll. Die Gruppe hat einen Mord zu verantworten, so vermutet der Kommissar von Meuffels (Matthias Brandt). Deshalb gerät der Spitzel in die Mühlen zwischen dem unkoscheren Verfassungsschutzmann, Joachim Król, und dem fürsorglichen Menschenversteher von Meuffels.

Warum das hinten und vorne nicht funktioniert.
Der gröbste Lapsus, der weder zu verzeihen noch zu rechtfertigen ist, den der BR sich hier leistet, ist der Verzicht auf einen Drehbuchautor. Es heißt lediglich „nach einer Idee von Günter Schütter“ und „Regie: Jan Bonny“. Die Redaktionsverantwortung trägt Cornelia Ackers.

Das Fehlen eines Drehbuches
führt zu einem Totalausfall an Glaubwürdigkeit.
Es führt dazu, dass die ganzen Schlägereiszenen mangels sorgfältiger Begründung in schlechte Schauspielschulschauspielerei ausarten.
Es führt dazu, dass der Kommissar kostbare Sendezeit dafür verschleißt, zu erklären, wo die Herrentoilette ist oder dass er ankündigt, er werde jetzt eine Verbandsschachtel an der Pforte holen, nachdem er gestanden hat, dass er die Wunde des Delinquenten (Brandt als biblischer Samariter, der keine Gummihandschuhe zur Wundversorgung braucht) nicht professionell behandelt habe und dass er dann tatsächlich in der nächsten Szene mit diesem Verbandskasten auftritt.
Es führt dazu, dass die Neonazi-Gruppe ganz offen und wild tanzt, singt, Heil-Hitler ruft in einer Kneipe auf Straßenhöhe mit Fenstern ohne Vorhänge direkt zur Straße.
Es führt dazu, dass eine Waffe mitten in der Bahnhofshalle und unverpackt in einer Plastiktüte übergeben wird, wo diese Halle doch gut kameraüberwacht und mit Zivis durchsetzt ist (aber da es kein Drehbuch gibt, gibt’s auch keine Recherche).
Es führt zu sonderbaren Befragungsimpros, an denen die beteiligten Darsteller wohl ihren Spaß gehabt haben, was für das Narrativ nicht von Nutzen ist.

Es führt dazu, dass die Firmen Oliva und Breiter schön lesbare Werbeschilder in den Film platziert bekommen – oder der Kameramann war betrunken.
Es führt dazu, dass die erste Szene lediglich eine nichtssagende Autofahrt ist mit Kamera hintenraus zum Himmel, damit die Vorspann-Namen umso wichtiger daherkomen, wobei sich der Normalzuschauer eh nur für die prominentesten ein oder zwei Namen interessieren dürfte – der Rest ist Eitelkeit oder Gunstbeweis.
Es führt dazu, dass in diesem Fernsehfilm hinten und vorne nichts stimmt und zusammengeht, dass der einzige Impuls an den Zuschauer der ist, wegzuzappen.

Es führt dazu, dass das einzig Glaubwürdige noch die Berufsmüdigkeit des Kommissars ist, die es für ratsam erscheinen lässt, dass er den Job an den Nagel hängt.
Es führt dazu, dass die Werbung für ein Schuhgeschäft in München überaus viel Platz einnimmt und dass diese trotz leichter Verschlüsselung eindeutig Werbung bleibt.

Die Ed. Meier-Werbung.
Da mangels Drehbuch auch keine klare Exposition des Falles stattfindet, nutzt der Kommissar gleich zu Beginn die Zeit, um auf seine Schuhe zu sprechen zu kommen. Ein sehr teures Fabrikat aus der Residenzstraße (hier hat Ed. Meier früher residiert und dürfte der einzige Schuhmacher und Schuhverkäufer dort gewesen sein, also eindeutig identifizierbar). Der Kommissar gibt sogar mit eigens inszenierten Tanzschritten eine direkte Präsentation der Schuhe. Dann hält auch der Kollege vom Kommissar noch die Schuhschachtel werbewirksam in die Kamera – und die ist blöd genug, das aufzunehmen – wobei auch hier ein leichte Differenz zur eindeutigen Identifizierbarkeit besteht, man will ja bei der Schleichwerbung nicht ertappt werden. Später nestelt der Kommissar ohne Grund in einer Szene an seinem Schuh – auch das wurde bewusst gefilmt und im Film gelassen – obwohl es für den Fortgang der Story keinerlei Bedeutung hat. Später wird er bei einem Verhör (!) die Schuhe nochmal thematisieren und wie teuer die seien. Und am Schluss, das soll dann wohl Antiwerbung sein, gibt der Kommissar die Schuhe als Sargbeigabe dem ermordeten Spitzel mit und läuft dann in Socken hinter dem Sarg zum Grab, aber das eindeutig zu zeigen, traut sich der Film dann doch nicht. Fetter geht Produktwerbung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen kaum. Hat jemand den Darsteller Matthias Brandt im Ed. Meier-Laden gesichtet? Erhält dieser eine Vorzugsbehandlung und vor allem: Vorzugspreise? Die Versuchung ist in so einer TV-Promi-Position groß.

Texte und andere Blüten:
Kommissar: „Finden Sie allein raus? Oder soll ich Sie bringen?“
„Gang runter links ist die Damentoilette, die andere ist kaputt.“
(Antwort: „das mach ich nicht“) und weitere Sendezeit geht drauf für die Erklärung zur Toilette.
Kommissar: „Gewalt ist schwer zu dosieren, wenn man sie sorglos genießen will“ (welch ahnungsloses Hirn scheißt denn solche Weisheiten?).
Wertvolle Sendezeit wird verplempert nach Kommissars Erklärung, dass er die Wunde nicht richtig versorgen könne: „ich geh dann mal zur Pforte, um Verbandszeug zu holen – und nicht weglaufen, versprochen?“.
Kommissar: „Er hat doch nicht einen Bürgerkrieg überlebt, um sich hier am Stadtrand totprügeln zu lassen“ (welche sprachlich-gedankliche Sumpfblüte!).
Und weiter im Sumpfblütentext bei einer Wohnungsdurchsuchung: „Vor zwanzig Jahren hätten wir hier „Mein Kampf“ gefunden“.

Die komisch-zynisch-lyrische Verletzungsbeschreibung des Kommissars.
Dann fasst er den Verdächtigen mit der Wunde mit bloßer Hand am Kinn und will wissen, wer von ihnen das Opfer getötet hat – wobei nach der Verletzungsbeschreibung wohl eh ausgeschlossen ist, dass einer ganz klar der Täter sein kann.

„Ich war bei den Regensburger Domvotzen.“

Die Szene mit dem Aufnehmen der Polizeifotos ist grottenschlechtes Theater. Da fehlts auch am Inszenierungsdurchblick.

Unergiebiger Lokaltermin mit Zeugenbefragung bei einer Unterführung.

Ein Castingproblem: viele Schauspieler, die schlecht zu verstehen sind. Fällt beim Fehlen eines durchdachten Drehbuchs besonders ins Gewicht.

Man kapiert nicht die erste Szene mit Joachim Król. Was ist seine Funktion?
Und dann wieder schlechtes Theater: die Kampfszene im Gefängnis.

Warum trägt der Junge Windeln, wenn er nach dem Kampf allein in einer Zelle liegt? (sowas muss begründet werden in einem seriösen Drehbuch).

Nach seiner Freilassung spielt ein Verdächtiger eine unergiebige Liebesszene in einem Zwischengeschoß-Fastfood-Laden. Wobei auch diese diffus gedreht ist.
Dann Job in Logistikzentrum. Figur bleibt unklar.

Nach einer halben Stunde sollen die vier Jugendlichen plötzlich Neonazis sein – echte Überraschung. In diesem Polizeiruf stimmt nichts außer dem Leiden des Kommissars an Routine und Deplatziertheit.

Auch diese Neonazis spielen sie einfach grauenhaft schlecht. Aber das liegt am Drehbuch, dass es nicht vorhanden ist und dass es also auch keine Überlegungen zu den Figuren gibt, zu ihren Beweggründen, dass die Drehbucharbeit fehlt. Das ist, wie wenn Ikea Bretter liefert, die durchs Zusammenschrauben keine Stabilität erhalten – es sind zwar Bretter, aber sie ergeben kein Regal.

Wieso kommt der Kommissar in das Neonazi-Lokal?
Das Lokal ist bald halbvoll, bald halbleer. Die Reaktionen auf den Kommissar sind unglaubwürdig.

Miserabel inszenierter Überfall auf den Straßenstrich.

Auch wie der Junge zum Spitzel wird, oder dass er einer ist, wird nicht nachvollziehbar erzählt – dabei geht es um ein elementares, dramaturgisches Element in diesem Fernsehfilm.

Nicht nachvollziehbar ist die Zeugenkonfrontation in einem Imbiss im Bahnhofsviertel – und der für die Tageszeit auch ungewöhnlich leer ist, wohl wegen der Dreharbeiten. Absolut unrealistische Szene, wie der Kommissar verlangt, dass der Typ sich entschuldigen soll. (Der junge Darsteller kann nichts dafür, dass ihm keine besser durchdachte Rolle angeboten wird). Und auch hier wird nur schlechtes Theater draus, mangels Buch!
Wie bescheuert muss dieser Idiot von Kommissar sein, der daraufhin verlangt, dass der Verdächtige ihm sofort sage, wer das Opfer getötet habe.

Aha, und dann mit Kilometern Verspätung kapieren wir, dass hier der Verfassungsschutz mitspielt. Und das wird offen und laut in einem Imbiss verhandelt. Noch ein Grund zu verstehen, dass der Kopmmissar die Nase voll hat. Während der Verfassungsschutz sich bestens amüsiert.

Es gibt hier offenbar auch keine staatlichen Entscheidungshierarchien. Der Verfassungsschützer tut so als arbeite er auf eigene Rechnung und gibt dem Kommissar Anweisungen. Voll daneben mangels Drehbuch und Recherche.

Das schlechte Jugendtheater geht weiter mit der Pistole am Lagerfeuer.

Brandt ist halt doch ein Seelsorger und kein Kommissar: das beweist das Bekehrungsgespräch mit dem jungen Spitzel.

Wie eine schlechte Kabarettnummer ist das vorgebliche Telefon des Verfassungsschützers mit dem Innenminister – und im Hintergrund steht der Abschirmdienst vom Dreh-Set. Was ist los mit Król? Er wirkt so aufgeputscht.

Und dann machen sie (der Spitzel und seine Tusse) offen in der Kneipe einen Liebestanz – nicht nachvollziehbar bei der Bedrohlichkeit der Situation.

Wenn der BR nicht in der Lage ist, einen Polizeiruf glaubwürdiger und nachvollziehbarer zu produzieren, dann soll er es bleiben lassen. Ein konfuses Stück Fernsehen. Die verantwortliche Redakteurin, Frau Cornelia Ackers, sollte bei Herrn Wilhelm um eine Auszeit bitten. Wobei dieser eh schon im Off zu agieren scheint (oder ist er grad bei Ed. Meier am Aussuchen von Schuhen?).

Einen Großteil des Budgets muss die Werbung für die Ed. Meier-Schuhe verschlungen haben – und dann ist kaum was übrig geblieben, nicht für einen Drehbuchautor, nicht für ein qualifiziertes Ensemble.

Diesem Film fehlt die intellektuelle Führung. Hat Meuffels irrtümlich den Drehbuchautor in den Knast gesteckt? Höchste Zeit für den Kommissar, abzudanken.

Kindertheater: die Erschießungsszene.

Dieser Fernsehfilm beweist, dass die Diskussion um die Wichtigkeit von Autoren dringlicher ist denn je.

Bei diesem Polizeiruf wird augenfällig, dass nicht nur bei der Polizei und beim Verfassungschutz einiges im Argen liegt, sondern auch beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers!

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