Metal Politics Taiwan

Im stillen Auge des Taifuns.

Der Taifun, das sind die großen weltpolitischen Bewegungen, das Erwachen des Löwen Chinas bei gleichzeitig immer stärkerer politisch-autokratischer Erstarrung, der sich abzeichnende Handelskrieg mit den USA unter ihrem erratischen Präsidenten, das ist unüberhörbar weltpolitsches Getöse.

Mitten im stillen Auge dieses Taifuns liegt Taiwan, das bis heute nicht in der UN ist, weil China es nicht will, weil China vom Einchina aus geht. In Taiwan gibt es im Gegensatz zu China eine demokratische Erneuerung. 1990 wurde die jahrzehntelange Alleinherrschaft der Kuomintang beendet.

Ein Protagonist der demokratischen Erneuerung in Taiwan ist Freddy Lim. Er ist Rockstar (mit nacktem Oberkörper und schwarzen Linien im Gesicht; der berühmteste Heavy-Metal Rocker Taiwans) und Parlamentarier (in Hemd und Anzug). Marco Wilms durfte sich während des ersten Parlamentsjahres an dessen Fersen heften, solange er ihn nicht störe und nicht im Wege steht. Denn so ein Parlamentarierleben ist aufreibend. Lim wurde 2017 gewählt.

In der Art einer spannenden, flüssigen Reportage berichtet Wilms darüber, findet trotzdem mal in der U-Bahn (in Washington!) oder bei einer Schulbesichtigung oder im Auto Zeit, ein paar Fragen zu stellen, gibt einen knappen Überblick über Geschichte, Charakterisierung und die neuesten Entwicklungen Taiwans (hier ist alles streng geregelt, funktional geometrisch, Fenster vergittert, die latente Angst vor China, striktes Befolgen der Regeln, Perfektionismus und Anpassung dominieren).

Lim geht ein auf die speziellen Beziehungen zwischen Tibetern und Taiwanesen und deren problematisches Verhältnis zu China. Er macht einen Besuch beim Dalai Lama, der sich seit 2011 aus dem politischen Feld zurückgezogen hat. Eine Tafel mit Bildern von Tibetanern, die sich aus Protest gegen China selbst verbrannten, ist zu sehen.

Man erinnert sich, welche Aufregung das jedes Mal verursacht hat, wenn bei uns ein Politiker den Dalai Lama empfangen hat und wie harsch China darauf reagiert hat. Das ist nach wie vor ein schwelender Konflikt. Der ist auch in Taiwan längst nicht ausgestanden. Die Suche nach der eigenen Identität ist in vollem Gange, gerade auch mit demokratischen Aktivitäten, hat aber auch mit dem Idiom zu tun: Taiwanesisch statt Mandarin zu sprechen. Und auch die Beschäftigung mit der Mythologie: Lim gibt ein Rockkonzert beim Götterfest – er mag Mythologie, da die Götter Dinge können, die wir nicht können.

Taiwan ist voll von Denkmälern in Erinnerung an die Diktatur Chian Kai Sheks
Freddy Lim findet das absurd, eine Demokratie, die einen weltberühmten Massenmörder verehre. Auch dagegen gibt es Aktivitäten: Masseneierwurf auf so ein Denkmal.

Zur Inauguration des amerikanischen Präsidenten reist Lim mit einer taiwanesischen Delegation nach Washington – zum Missvergnügen Chinas.

Auf die Frage, was er lieber mache, Musik oder Politik meint Lim, es gebe Dinge, die Spaß machen (die Musik) und Dinge, die nötig sind (die Politik).

Lim verkörpert einen unkonventionellen Politikertypus. Die Doku von Wilms könnte man wunderbar zusammen mit derjenigen von Malte Blockhaus über den deutschen Grünenpolitiker Robert Habeck zeigen.

In diesen für die Demokratie weltweit stürmischen Zeiten ist es dringlicher und wichtiger denn je, einen Blick in so ein stilles Auge des Taifuns zu werfen.