Vollblüter

Das Theater ist eine moralische Anstalt – nicht nur bei Schiller – auch im modernen Ostküstenamerika und kann beispielsweise mit der Schilderung kaputter menschlicher Verhältnissse und also Spiegel von Verkommenheit im Reichenmilieu beachtlichen Erfolg haben.

Genau dies tut Cory Finley mit seinem Theaterstück, das er hier als Debütant hochtalentiert und mit einem TopEnsemble verfilmt.

Finley gibt ein trendig-griffiges Bild einer von psychischen Schäden angegriffenen, von Nihilismus imprägnierten, liebesunfähigen Oberschicht.

Das Theaterhafte – und das Thesenhafte – dominieren geschmackvoll. Im Theater spricht man von Akten. Die braucht es wegen allfälliger Umbauten. Das Kino kann darauf verzichten. Deshalb ist der Film in auf Schwarzbild annnoncierte Kapitel römisch 1 bis 4, entgegen der klassischen Dreiteilung und Einheit von Zeit, Handlung und Ort unterteilt. Diese Vorschrift handhabt Finley großzügiger in seinem dialoglastigen Stück, das auf kulturelle Referenzen weitgehend verzichtet, bis auf Ausschnitte aus Filmklassikern, die im TV gezeigt werden.

Die kulturellen Querverweise lassen sich bei einem ausführlichen Rundgang durch das fette Landhaus der Eltern von Lily (Anya Taylor-Joy) an Gemälden und weiteren Ausstattungsgegenständen besichtigen.

Lilys frühere Schulfreundin Amanda (die unnahbar faszinierende Olivia Cooke) wird von ihrer Mutter hintenrum (aber Amanda liest die Mails) unter fadenscheinigem Vorwand an Lily vermittelt, gedacht als Heilmittel gegen ihre psychischen Probleme.

Lily leidet unter ihrem Stiefvater Mark (Paul Sparks). Die beiden Mädels verstehen sich bald, entwickeln Mörderfantasien. Der Kleinganove Tim (Anton Yelchin – seinem Andenken ist der Film posthum gewidmet) soll die Tat vollbringen.

Die Kaputtheit des Milieus wird manifest in der selbstverständlichen Benutzung von Drogen, Beruhigungsmitteln und anderen Medikamenten, dem generell dekadenten Lifestyle (wie Weinkeller oder deLuxe Spa) oder einem Institut wie das von Brockmore, das sich reichtumsgeschädigter Jugendlicher annimmt, in der leichten Verfügbarkeit von Schusswaffen, in der problemlosen, technischen Herstellung von Tränen durch Amanda, in der Ermöglichung eines Praktikumplatzes für Lily mittels Bestechung.

Die jazzige Untermalung des Geschehens ist enthusiastisch durch und durch, macht sich die Geräusche eines Ergo-Trainingsgerätes fallweise genauso zunutze wie ein Handyklingeln oder führt eine Assoziation zum Rasseln der Klapperschlange ein, kennt keine Grenzen, feuert an, lässt sich voll ein auf das Geschehen und muss aufpassen, nicht allzu viel zu verraten.

Der Film spielt in Connecticut. Der Hinweis auf die titelgebenden Vollblüter erfolgt als akademisches Apercu.

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