Kommentar zu den Reviews vom 2. August 2018

Kino prall. Pralles Familienleben aus Italien, pralles Problemlösungspaket aus dem Trumpland, pralle Ästhetisierung von Liebe-Forschung-Terror deutsch-färöerischer Provenienz, praller Egotrip aus teutschen Landen.

ZUHAUSE IST ES AM SCHÖNSTEN
Mit 20 Minuten Schmetterlingen im Bauch fängt alles an.

MISSION IMPOSSIBLE – FALLOUT
Nichts ist unmöglich, wenn man überlegt vorgeht, vertrauenerweckend, freundlich und Tom Cruise ist, nicht mal die Rettung der Welt.

GRENZENLOS
Eher eng sind die Grenzen zwischen Liebe, Tiefseeforschung und Terrorismus.

EGAL WAS KOMMT
Weltreise als Selbstbestägigung.

Mission: Impossible – Fallout

Problemlösungsfilm.

„I am working on it“. Wir werden das schon erledigen. Das sind die Grundsätze, um unmögliche Missionen durchzuführen. Zum Beispiel, die Welt vor atomaren Terrorangriffen durch eine Bande namens „Apostel“ zu schützen.

Das Vorgehen von Agent Ethan Hunt (Tom Cruise mit einem Haar, das jünger wirkt als das Gesicht) ist im Sinne von überlegter Vorbildhaftigkeit. Immer wieder die Welt retten und dabei waghalsige Aktionen unternehmen. Aber auch ein Menschenleben hochzuschätzen und lieber einen Kollegen vorm Tod bewahren.

Das ist nicht unbedingt im Interesse der Mission. So dass die Agentur ihm Gegenspieler auf die Pelle rücken lässt. Das ist der übliche Mechanismus solcher Agentenfilme, damit auch eine anständige Spieldauer erreicht wird.

Die ist dick gespickt mit massivem Musikeinsatz, der jeder Szene ihre Wichtigkeit gibt. Diese stammt aber auch von der strengen Regie von Christopher McQuarrie, der das Drehbuch nach der Fernsehserie von Bruce Geller geschrieben hat.

Immer wieder wird in klassisch arrangierten, statuarischen Szenen und vor allem in leisem Ton die Lage gesprochen und was zu tun sei. Bis aus dem Nichtsheraus sich die Beratung in wilde Action verwandelt; auch diese immer im Sinne seriöser Handarbeit und unter möglichst unauffälligem Inerscheinungtreten der Computerpostpro – im Gegensatz zu den Marvelproduktionen. Auch das soll für Seriosität und Glaubwürdigkeit stehen.

Tom Cruise als Weltenretter, schon zum vierten oder fünften Mal – und die Welt ist nicht besser geworden. Eine Mission Impossible, um den amerikanischen Präsidenten Trump aus dem Weißen Haus zu jagen, wäre dringend angesagt. Wenn einer das schaffen kann, dann Cruise. Es wäre ein Versuch wert.

Tom Cruise ist der Agent, der unbedingtes Vertrauen in sein Tun wecken will. Der ganz kritisch sein Gegenüber mustert, leicht den Mund geöffnet hält und ab und an textlos den Unterkiefer etwas mahlt. Um im nächsten Moment hochkonzentriert aus einem Flugzeug zu springen und im freien Fallen den Kollegen, dem die Sauerstoffzufuhr kaputt gegangen ist, zu retten.

Die Handlung spielt in Belfast, Berlin (wegen dem stupid German Money!), Paris und London und bis hin nach Kaschmier.

Schön im Wechsel: Besprechungen und Action, plötzlich stehen sich mehrere Personen mit gezogener Schusswaffe gegenüber – und einen hat man übersehen; so dass sich die Spannung hochschraubt bis hin zu selbstmörderischen Aktionen, atemberaubenden Aktionen, Helikopterverfolgungsjagden, immer wieder Schießereien nach Schema F, aber prima gemacht, weil immer wieder noch eine Gruppierung auftaucht und noch eine verführerische Frau und noch einer plötzlich ein ganz anderer ist.

Und immer wieder kommt es zu ganz heiklen Begnungen, weil etwas übergeben werden soll, bester Standard, bis auch da urplötzlich die Schießerei und das Hit-and-Run beginnt. Oder der Schutz durch die Agentur (CIA oder MI6) kann nicht mehr garantiert werden oder die Mission wird unvermittelt als beendet erklärt.

Der Grundtenor ist die Beherrschung der Strategie und das umsichtige Reagieren, wenn nicht gerade eine halsbrecherische Verfolgungsjagd dazwischen und eine Falle kommt oder wieder in irgend einer Kellerräumlichkeit, sie lieben es unterirdisch, Pläne geschmiedet und Lagen analysiert werden müssen.

Chips und Implantate sind unentbehrliche Utensilien und Stoffe, die schnell einem Menschen injiziert werden können. Dazu Überwachungselemente und das Hereinplatzen in einen feierlichen Gottestdienst oder das Fassadenklettern zur Überraschung von Büropersonal, wilde Verfolgungsjagden mit kühnen Sprüngen über die Dächer von Londen, teilweise mit neuen Perspektiven.

Auch der Mechanismus, der altbekannte solcher Actionfilme, hat etwas Vertrauenerweckendes, so wie es offenbar auch die Mission von Tom Cruise ist und höflich ist er außerdem, er entschuldigt sich gerne.

Zweieinhalbstunden 3D ist allerdings etwas viel. Vor allem weil bei schneller Action und schnellem Schnitt immer wieder Figuren oder Gegenstände sich kurzfristig zweiteilen und ein Gewinn für den Sehgenuss nicht ersichtlich ist; womöglich sogar eine Minderung.

Die Inszenierung vergisst in keiner Sekunde – und der Ton auch nicht – dass es sich um eine ganz dringende und höchst bedeutende Mission handelt. Zur Beseitigung der letzten Zweifel: „We need people like you who care about lives“.

Es ist ein Massivkino mit spektakulären Aktionen und vielen bedeutungsvollen Besprechungen, das McQuarrie uns serviert.

Der Held ist einer, der sich entschuldigt und um das Wohl der Menschen besorgt ist, eine Art kinematographischer Gottvater (den langen Bart muss man sich denken), der um den Fortbestand der Menschheit besorgt ist.

Zuhause ist es am Schönsten

Kino als Abbild der Wirklichkeit.

Wenn Kino es schafft, ein glaubwürdiges Abbild menschlichen Lebens und Zusammenlebens zu entwerfen, und der Zuschauer oder Betrachter einen erweiterten Zugang dazu finden kann, einen Anlass zum Nachdenken darüber vorfindet, dann dürfte das Kino eine seiner hervorragendsten Qualitäten erreicht haben. Reflektion (oder auch: Projektion) des Lebens.

Dies kann Gabriele Muccino, der mit Paolo Costella auch das Drehbuch entwickelt hat, ohne weiteres attestiert werden. Denn sein Film verleitet zum Nachdenken über die Familie. Was ist Familie? Etwas, das aus dem initmsten, innersten Zusammengehen von zwei Menschen sich entwickelt, aus der Liebe, die allerdings auch Lust und Gier beinhalten.

Aber auch etwas, das keinen Bestand hat, das in ständiger Veränderung sich befindet – durch Geburt, Paarung, Vermehrung, Trennung und Tod. Eine Familie ist ein Hort für einen Schwarm der unterschiedlichsten Gefühlstemperaturen und –regungen.

Für eine größere Familie ist es allerdings von Vorteil, wenn die Großereltern über ein geräumiges Anwesen mit ausgedehntem Kakteengarten verfügen, noch dazu auf der traumhaften Mittelmeerinsel Ischia.

Zu ihrer Goldenen Hochzeit laden Alba (Stefania Sandrelli) und Pietro (Ivano Marescotti) ihre Kinder samt Anhang (Ehegespons, Ex, Kinder und Kindeskinder, Geliebte) auf die Insel ein.

Nachteil der Insellage: bei Sturm geht die Fähre aufs Festland nicht. Das nutzt Muccino, um den temperamentvollen, schnell, viel und durcheinandersprechenden Clan für eine Nacht auf der Insel zu halten.

Das wiederum ermöglicht den intimen Blick in diverse Schlafzimmer und zu provisorischen Übernachtungsräumen. Was sich da tut im Sinne der Vermehrung oder lediglich der Lust oder der Unlust.

Oder gar der fremdgehenden Lust in einer am Hafen aufgebockten Yacht. Dafür ist der Erfolgsschrifsteller Paolo (Stefano Accorsi) zu haben. Er verführt Isabella (Elena Cucci), denn ihr Gatte, von dem sie eh nicht mehr begeistert ist, ist nicht mit auf die Insel gekommen.

Paolos Bestseller „20 Minuten“ ist ein alternativer Zugang zum Thema des Filmes. Paolo geht von den ersten 20 Minuten einer Beziehung aus, die verrückt sind, voller Schmettlerlinge, inneren Aufruhrs, und aus denen 20 Stunden und dann 20 Tage bis hin zu 20 und mehr Jahren werden können. Die Beständigkeit von Familie und Liebe. Aber irgendwann scheint der Hunger nach frischen 20 Minuten sich Bahn zu brechen, zumindest beim Schriftsteller.

So ergeht es aber auch Diego (Giampaolo Morelli), dessen Date in Paris auf ihn wartet, während er seine nichtsahnende Ehefrau samt Kind bei sich hat. Oder Carlo (Pierfrancesco Favino), der bereits mit seinen zweiten 20 Minuten verheiratet ist, Ginevra (Carolina Crescentini) – aber seine Ex Elettra (Valeria Solarino) ist auch dabei. Wobei der Name Elektra auf Drama hindeutet.

So erscheint Familie als eine Abfolge – und in der Massierung auch Gleichzeitigkeit – intimster Momente von Lüge, Eifersucht, Begehren, Vereinigung, Abstoßung, von Vertrauensseligkeit, Misstrauen und guter Miene zum bösen Spiel und gleichzeitig allumfassender Herzlichkeit, von Überschwang, Hass und lautem Geschrei bis hin zur Versuchung, die Partnerin über die Klippen zu stürzen.

Wobei Muccino sich als wohlwollender, heimlich lachenden, überraschten nie aber bis zum Exzess oder zum Kriminalfall gehenden Betrachter und Erzähler geriert. Insofern hat er sich den Temperatmentpool einer durchschnittlichen italienischen Familie vorgenommen.

Sohn Riccardo (Gianmarco Tognazzi) mit seiner schwangeren Frau Luana (Giulia Michelini) nervt die Verwandtschaft mit seinen Geldsorgen und seiner Bitte um Kredit.

Beim noch bartlosen Nachwuchs regen sich die ersten Liebesgefühle, ahnungsvoll, und noch nicht so richtig im Bewusstsein der familiären Konsequenzen, wie Muccino sie uns grandios und lebensnah schildert.

Grenzenlos

Was ist der Unterschied zwischen Chemosynthese und Terrorismus?

Beide arbeiten im Dunkeln und wollen die Menschheit vorwärts bringen. Das scheint mir die Antwort in diesem Film von Wim Wenders nach dem Drehbuch von Erin Dignam nach dem Roman von J.M.Ledgared.

Wobei differenziert werden muss, nicht die Chemosynthese will den Fortschritt, es sind die Forscher vom Forschungsschiff Atalanta, die mit dem yello submarine „Nautile“ in die Tiefen des Meeres im Nordatlantik tauchen und dort Pflanzen greifen wollen, die mittels Chemosynthese anstelle von Photosynthese arbeiten; daraus sollen sich Erkenntnisse für den Fortschritt der Menschheit ergeben.

Für diesen Strang der Geschichte steht als Star die undurchlässig und makellos, fast wie eine Fassade braun geschminkte Alicia Vikander als Danielle Flinders. Sie ist eine der Lokomotiven dieser Tiefenforschung des Meeres und ist mit einem Team unterwegs.

Den Nexus zum Terrorismus schafft ihre Bekanntschaft mit dem Geheimdienstler James More (James Mc.Avoy); der im Film zwei prägnante Gesichter hat.

Das als Wasserbauingenieur, der er öffentlich und offiziell ist und als welcher er in einem schön fotograftierten, altmodischen Hotel Danielle kennenlernt. Das bringt Wenders so präzise und zielbewusst, dass es fast schon langweilig schön ist.

Über Geheimdienstaktivitäten von James ist bei einem konspirativen Treffen in einer Pinakothek etwas zu erfahren. Gerade soviel, dass klar wird, dass er eigenmächtig nach Somalia reisen wird, um dort den Kontakt zum Terror zu suchen.

Wenders dreht ein paar ästhetisch wundervolle Liebesszenen mit seinen beiden Stars. Dann müssen sie auf Forschungsreise oder auf „Entwicklungshilfereise“.

Somalia wird in Djibouti gedreht. In den Mangroven verstecken sich die Selbstmordgürtelbastler, die James Waterboy, Biyole nennen. Vorher behandeln sie James dreckig. Das nutzt Wenders für Bilder von biblischer Schönheit von diesem Elend. Und auch, um dem Islam Raum zu schaffen.

Der Islam ist im Werk von Wenders, angekommen, der gehört jetzt zu Wenders wie Wenders zu Deutschland. Zu diesem Islam gehört die Pflicht zum Konvertieren und die Steinigung einer Frau. Kompensatorisch hat Wenders deshalb einen makellosen Matinee-Film über den armen und Armut predigenden Papst ins Kino gebracht (Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes).

Und, logo, vermissen die beiden Liebenden sich in den Untertauchphasen, da sie nicht voneinander hören können, wo es Stromausfälle in der Tiefe gibt, ganz zwangsläufig aus dramaturgischen Gründen, als Paralle zum Elend von James und dem schönen Wüstensturm, der die Palmen zu Staubwedeln verformt.

Ein apart akademisches Konstrukt, das Zeit-Phänome aus der Welt der Forschung, der Entwicklungshilfe mit Seitenhieben auf UNICEF, des Islam, des Terrorismus und der Geheimdienste zitiert und seinen gemeinsamen Punkt ausgerechnet in einem altherrlichen Schlosshotel findet.

Und schon wieder kommen die Färöer-Inseln vor wie schon in Arthur Cohns wunderbarem Das etruskische Lächeln.

Egal was kommt

Die Einsamkeit übertönen.

Einmal mit dem Motorrad rund um die Welt fahren, das war schon ein Traum des Buben Christian, erzählt die Mutter, Frau Vogel, und rückt eine Zeichnung ins Bild.

Den Traum hat sich der erwachsene Christian Vogel noch vor der Midlife-Crisis erfüllt. Diese Traumerfüllung zeigt er mit diesem Film, die Bildausbeute, die er selber gemacht hat mit GoPro und anderen einfachen Aufnahmegeräten bis hin zu Handys, Bilder, die auch von anderen Menschen stammen können.

Zuhause hat derweil jemand anderes, vor allem die Mutter und die Freundin gefilmt, die Statements abgegeben. Aber so ganz allein war die Reise doch nicht, den Eindruck erweckt auf jeden Fall der Film, denn spätestens kurz vor Ende meint die Freundin, froh zu sein „dass wir das geschaukelt haben“ – als ob sie ihren Geliebten sanft entmündigt.

Ohne den Support von Zuhause hätte er vermutlich längst abgebrochen. Ausgerechnet das Ziel seiner Reise, dieses Allein-Unterwegs sein, stundenlang auf dem Motorrad in fremden Ländern, in Wüsteneien und was mit ihm derweil passiert, vermag Vogel mit dem Film allerdings nicht zu vermitteln.

Er versucht sich ab und an in kommentierenden Selbstdarstellungen, kniet in Krisensituationen neben dem Motorrad wie in Gebetsstellung, schnauft heftig, rundum Sand, oder macht die große dramatische Geste mit der Hand an den Kopf oder den Kopf eingesunken, um in nicht 100 Prozent überzeugender schauspielerischer Manier zu zeigen, dass er nachdenklich sei, dass er eine Krise habe.

Erschwerend für den Reisegenuss kommt hinzu, dass immer wieder Statement-Aufnahmen von der Mutter und der Freundin zuhause dazwischen geschnitten werden. Das unterbricht die Reise jedes Mal.

Der Rest sind wild ineinandergeschnittene Aufnahmen in kürzesten Sequenzen, als ob Vogel nirgendwo verweilen wolle, als ob er gehetzt – aus Panik vor sich selbst? – um die Welt rast. Die Begegnungen mit anderen Menschen bleiben oberflächlich und touristenhaft, die Bildausbeute privatistisch-souvenirhaft.

Der Egodokumentarist bleibt ein verschlossenes Buch, das er wie mit einem Bilderwust aus aller Welt noch mehr zuzudecken sucht. Das einzige, was er von sich preisgibt, das sind einige Werbemarken von Sponsoren auf seinem Motorrad und auf seiner Lederkluft.

Kaum zu erwarten, dass er ein Millionenpublikum erreicht wie die Macher von Weit, die eine ganz persönliche Geschichte transportierten, die nie diese Selbstergötzungsspelastik produziert haben, wie er ständig auf seinem Mottorrad, die die Lust am Fahren betont, dass er freihändig fährt, Siegeszeichen und dergleichen setzt, was mehr auf Egotrip denn auf Weltentdeckungstrip hindeutet. Insofern ein studierenswertes Exemplum des Verreisens ohne wegzukommen.

Das dürfte der Unterschied zu „Weit“ sein, dass das Pärchen hier sich vor allem für die Welt interessiert hat. Während Vogel das Ziel, was er sich in den Kopf gesetzt hat, erfüllen will: Selbstrealisierungstrip. Oder Trip des vor sich selbst Davonrennens?

Der Film bleibt unpersönlich, jedenfalls von seiner Seite aus, wobei seine Freundin deutlich mehr Interesse weckt, eine massiv tätowierte Ärztin.

Das Zielpublikum dürfte sich auf das sicher nicht allzu große Segment von Menschen beschränken, die Ähnliches planen, in der Hoffnung auf Tipps. Einen gibt ihnen der Film bestimmt: überall auf der Welt den Kontak zu Motorradclubs suchen, das zahlt sich aus in Support und Freundschaftlichkeit – und ein weiterer Garant dafür, das eigene Gesichtsfeld nicht verlassen zu müssen.