Landrauschen

Dialekt (Schwäbisch-Bayerisch) eingesetzt, um einem alltäglich menschlichen Thema (Akzeptanz des Anderen) Individualität und kinematographische Größe zu verleihen. Wobei die deutsche Untertitelung sparsam nur bei ganz urigen Sätzen angewandt wird und der Rest recht gut verständlich ist, zumindest für süddeutsche Ohren.

Der Dialekt nicht zum Schenkelklopfen eingesetzt, nicht zum originellen Fez, nicht, um sich abzuheben von anderen. Der Dialekt als die Musik einer Gegend, als Ausdruck der Prägung der Menschen, die hier aber auch keine anderen Probleme haben, als anderswo auch. Der Dialekt auch nicht denunziatorisch eingesetzt oder als eitle Delikatesse wie beim Franken-Tatort. Dialekt als Mittel zur Vertiefung der Substanz des Filmes.

In diesem Film von Lisa Miller radelt ihre Protagonistin Toni (Kathrin Wolf) aus Berlin kommend und aus weiter nicht hervorhebenswerten Gründen in ihr schwäbisches Heiamtdorf Bubenhausen ein. Dabei erzählt sie in Voice-Over ihre Gedanken.

Sie hat in Berlin studiert, zwei Abschlüsse, aber keinen Job und Beziehung offenbar auch nicht. Auch das ist weiter nicht explizit nennenswert, erschließt sich aus dem Folgenden. Sie memoriert die Unterschiede zwischen Großstadt und Dorf, die schier grenzenlosen Ablenkungs- und Bewegungsmöglichkeiten der Kapitale und die übersichtliche Begrenztheit auf dem Lande.

Sie kann im Lokalblatt über den örtlichen Fasching schreiben; dass es eine ganze Seite werden soll, begeistert sie nicht. Schnell legt sie sich mit ihrem Chef an.

Sie begegnet Rosa (Nadine Sauter) wieder, die sich als zweite wunderbare Protagonistin entpuppen wird. Mit ihr fährt sie mit knallbunt gesprayten Haaren und Fummeln zum Christopher Street Day in die Stadt. Damit ist das Außenseiterthema gesetzt, das was Martin Sperr in den 60ern Jahren noch bahnbrechend in seinen Jagdszenen aus Niederbayern dramatisiert hatte.

Der Film von Lisa Miller zeigt damit auch, dass sich ein bisschen was an dem Thema entwickelt hat, dass es dieses explosive Material nicht mehr ist. Aber Miller zeigt auch, dass es nicht aus der Welt ist in einer eindrücklich fies-lustigen Szene später im Film, wenn Rosa bei einem Voksfest begrüßt wird, das andere Ufer sei auch da.

Der Satz löst filmisch deutlich überhöht gezeigtes Gelächter aus, sie lacht mit, verlässt das Fest. Rosa geht ihr nach. Die beiden haben ein essentielles Gespräch zu dem Thema, dass diese Sprüche immer wieder kommen und das sie mitlache darüber.

Dass alles noch voll da ist mit den Vorurteilen, zeigt auch Rosas Äußerung, dass sie zeitweilig den Eindruck hatte, sie sei geisteskrank.

Mit Rosa kommt auch die Kirche ins Spiel, denn sie arbeitet bei einer kirchlichen Einrichtung, Betreuung von Jugendlichen und Asylanten, die sie mit dem Bus chauffiert. Mit dem kirchlichen Thema und wie der Pfarrer damit umgeht, wird der Film zum bestens hör- und verstehbaren Zwischenruf an den geleckten Film von Wim Wenders über Papst Franziskus (Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes).

Geleckt ist der Film von Lisa Miller garantiert nicht. Er will nicht aufzeigen, er will nicht inszeniert wirken; er liebt das Beiläufige, das Spontane, das Flüchtige, das Nahe, das Detail, das nicht durch seine Umgebung relativiert wird, um so dem Zuschauer seine Mündigkeit zu lassen, ihn selbst entdecken zu lassen, selbst kombinieren zu lassen.

Und auch die Musik wirkt Miller als mitarbeitenden Faktor ein, Ich bin komplett im Arsch von Feine Sahne Fischfilet oder Die Wäsche trocknet an der Sonne von Kofelgschroa. Hier zeigt der Film die tiefere Bedeutung solcher Songs.

Der Minibus von Rosa gibt Anlass für eine der Polizistenszenen, die auch weit entfernt von der denunziatorischen Variante von „dümmer als die Polizei“ erlaubt, diese eher in verdattertem Ungeschick abschmieren lässt.

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