Symphony of Now

Mit der Anfangssequenz aus dem berühmten Film von Walter Ruttmann „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“ fängt Johannes Schaff seine Berlin-Doku an, die vom Now erzählen will.

Ein rasender Zug in Richtung Berlin. Der Filmemacher will wohl der Ruttman und Chronist des Heute werden. Wobei er im Abspann seinen Themenbereich eingrenzt, er wolle ein Bild vom Berliner Kulturleben abgeben.

Nach dem Ende der Ruttmann-Sequenz bricht allerdings der Rhythmus des Filmes, der wenn überhaupt von der Musik aufrechterhalten wird, jäh zusammen. Gemütlichkeit kehrt ein anstelle von City-Hektik und Turmuhr.

Ein aufgelassenes Bahngleis wird langsam abgefahren mit der Kamera, der Schotter übersät von Herbstblättern. Bald kommen nach anderen Impressionen die in München umstrittenen Stolpersteine als Holocaust-Mahnsteine prominent ins Bild, signifikant, wie themengebend. Das verschwindet wieder bis früh morgens, da schweift die Kamera im Dämmer über die Holocaust-Gedenkstätte.

Der Film ist in 5 Akte eingeteilt, ohne tiefere Bedeutung, entlang dem Tagesablauf. Der erste Akt bringt ein Fülle von Fotoimpressionen von Berlin, altes Gemäuer, neues Gemäuer, Graffiti, Baustellen, Fassaden, Zerfallenes, Drohnenaufnahmen, Menschen, Siegessäule, Rolltreppen, Läden, Springbrunnen, Roter Teppich, Bettler, Kiez, Robotermusik, Statuen, Liegestühle, Verkehr, Demos, Tanz. Die Teams um Johannes Schaff haben mit viel Fleiss einen bunten Bilderbogen zusammengewürfelt.

Ein ordnendes Prinzip oder Thema, ein Spannungsprinzip ist nicht erkennbar, weder formal noch thematisch.

Im zweiten Akt geht es schwerpunktmäßig um die Vorbereitung für den Abend, Künstler präparieren sich, leere Theater und Kinos werden gezeigt, ohne Gewichtung, ohne Charakterisierung, beliebig.

Der dritte Akt springt zum Ende der Veranstaltungen, Übergang zum Nachtleben. Ein vierter Akt zeigt ausgiebig das Discoleben. Und der fünfte Akt ist am nächsten Morgen angelangt.

Stellvertetend für die arbeitende Bevölkerung muss ein Bäcker herhalten und ein Blick in eine Großmarkthalle muss genügen oder ein Taxifahrer. Die Stadt ist jetzt leer. Letzte Nachtzügler und Frühaufsteher.

Vielleicht hätte Schaff bei der Arbeit an seinem „Konzept“ den Ruttmann nochmal genau studieren sollen, was den Reiz und die Haltbarkeit über Jahrzehnte seines Filmes ausmacht. Schaff scheint zwar begeistert von Ruttman, das gibt er zweifellos zu erkennen. Aber er verstrickt sich in seiner Begeisterung für Berlin als Kulturstadt; auch persönliche Vorlieben und Bekanntschaften mögen eine Rolle spielen.

Man spürt förmlich das Bemühen, Berlin und seine Kultur als attraktiv darzustellen; mit dem gegenteiligen Effekt, dass man eher froh ist, nicht dort zu sein. Begeisterung für eine Sache ist eines, diese Begeisterung filmisch umzusetzen, dass auch Leute von anderswoher das verstehen können, ein anderes. Ordnungssystem: die Bilder schwimmen wie Fettaugen auf der Citysuppe.

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