Kommentar zu den Reviews vom 5. Juli 2018

Alles dreht sich. Alte Liebe auf Video. Um Gewalt. Ums Rennrad. Ein Rollstuhl für die Komödie. Um drei Hundert-Euro-Scheine. Ein Indianerporträt ruht in sich. Zuletzt dreht sich alles um die Protagonistin.

CANDELARIA – EIN KUBANISCHER SOMMER
Mit Künstlernamen und Pornodreh sich das Alter und die Liebe versüßen – auf Kuba.

THE FIRST PURGE
Vehement gegen den Rassismus im Weißen Haus.

TIME TRIAL
Angefressen vom Radsport und der Tour de France – ein Schotte.

LIEBE BRINGT ALLES INS ROLLEN – TOUT LE MONDE DEBOUT
Leichte Rollstuhl-, Liebes- und Lügenkomödie aus Frankreich.

AM ENDE IST MAN TOT
Ein Theaterensemble macht Kino und will die Geldwelt parodieren – in Hamburg.

DIE FRAU, DIE VORAUSGEHT
Ein Mahngemälde zur Erinnerung an Verbrechen der USA-Regierung an Indianern.

HOW TO PARTY WITH MOM
Vom Heimchen am Herd dank Scheidung zur fickenden Studentin. Zumindest angedacht.

Die Frau, die vorausgeht

Ein gemäldehaftes Mahn- und Gedenkblatt an einen Wortbruch und ein Verbrechen der amerikanischen Regierung an den Lakota vom Stamme der Sioux in Dakota im ausgehenden 19. Jahrhundert, das in einem blutigen Massacker endete.

Es ist die Geschichte eines Porträts.

Die New Yorker Malerin Catherine Weldon (Jessica Chastain) mit Beziehungen zu den höchsten Kreisen, will nach dem Tod ihres Mannes ihren Beruf wieder ausüben und als Porträt-Malerin arbeiten. Sie hat schon hohe – weiße – Persönlichkeiten der amerikanischen Politik gemalt. Sie stellt fest, dass es vom berlühmten Indianerhäuptling Sitting Bull noch kein Bild gibt. Das will sie ändern.

Weldon reist auf eigene Faust und allein mit ihren Malutensilien in einem höchst komfortablen Pullman-Bahnabteil gegen Westen.

Der Film von Susanna White nach dem Drehbuch von Steven Knight nutzt diese Phase des Filmes, um Chastain als hübsche, sinnliche Frau mit offenen Augen und wachen Sinnen zu zeichnen. Allerdings häufen sich um sie herum die Bemerkungen, was denn eine Frau solo so weit im Westen wolle. Von dem Vorhaben wird ihr abgeraten.

Weldon lässt sich nicht berirren. Sie lernt Sitting Bull kennen und schätzen und zeichnet ihn. Über ihn erfährt sie, was den Indianern angetan worden ist.

Die Regierung in Washington will den Lakota neue, schlechtere Verträge andrehen. Sitting Bull, moralisch unterstützt von Miss Weldon, klärt seine Stammesbrüder auf und will auf demokratischem Wege eine Ablehnung erreichen.

Formal unterstützt der General Crook (Bill Camp) vorgeblich das demokratische Verfahren. Sitting Bull (Michael Greyeyes) überzeugt mit einer eindringlichen Rede am Beispiel der Verwandlung der Erde zu Staub durch die vom Staat erzwungene Umstellung auf Kartoffelbau und die Ausrottung der Bisons.

Aber Crook, der nicht umsonst Crook (Halunke, Betrüger) heißt, nutzt die Demokratie als Finte, um im Nachhinein mit Verleumdungen einen Grund für den Massackerfeldzug zu finden.

Der Film steht pathetisch auf der Seite der Indianer. Vom Bild her orientiert er sich an der Malerei von George Catlin.

Der Film sollte fester Bestandteil einer jeden Ausstellung und eines jeden Museums zur Geschichte der Indianer in den USA werden. Und nach Washington gehört er selbstverständlich auch – gut sichtbar!

The First Purge

Gewalt-Musik-Video als Votum für den Kampf der „Nigger“ (Begriff aus dem Abspannsong).

Und jetzt die Vorgeschichte nach Purge, Anarchy, Election Year.

Gerard McMuray (Regie) und James DeMonaco (Drehbuch) woll zeigen, wie der Purge-Gedanke auf Staten-Island schon mal experimentiert wurde. Wobei erstaunlich ist, dass er hier noch ganz krude formuliert wird. Eher hätte ich mir eine ausführlichere Exposition des Gedankens und des Problems, was die Pruge-Idee ist und bringen sollte, erwartet.

Vielleicht haben sich die Macher gedacht, dass sie das schon dreimal durchexerziert haben, dass an einem Tag im Jahr jeder ungestraft jedes Verbrechen verüben kann – am beliebtesten ist Mord – in der Absicht, dass die Leute ihre Aggressionen ausleben und den Rest des Jahres keine Verbrechen mehr begehen. Ein Ventil im Sinne der Verbesserung der Kriminalitätsrate im Lande.

Als nächstes könnte noch ein Film kommen, der die bisherigen Purges evaluiert, ob die Purge-Idee zu einem bessern Leben geführt hat.

Aus aktuellem Anlass (Trump) hat sich das vielleicht etwas gewandelt, wendet sich die Idee gegen den Rassismus der weißen Rasse; die Hauptverbrecher sind diesmal weiße Söldner, die den Purge unfair missbrauchen. Sie wollen mit den Schwarzen im Hochhausquartier „Park Hill Towers“ aufräumen wollen.

Insofern unterscheidet sich die Story von den vorhergehenden Filmen, in denen Individuen sich zuerst gegen den Purge absichern wollen, ihre Häuser und Wohnungen verbarrikadieren und wie es sich zeigt, dass es keine Sicherheit gibt und wie sie damit umgehen, das hat sich offenbar auserzählt.

Jetzt geht es den Filmemacherm darum, Schwarzen-Vitalität und Überlebenskampf auch künstlerisch vorzuführen mit hastiger Kamera, schnellen Schnitten, mit Aufmotzen der ästhetischen Qualitäten und des Musikscores und der Effekte; Herstellung eines Stimmungsbildes, wohinter die Story zurücktritt.

Die Story zeigt sich erst mit dem Aufmarsch der Miliz der weißen Söldner der NFFA. Zudem wird sie teils wie neutral aus der Position des News-Geschäftes mit seiner Sensationsperspektive berichtet; der übliche Horrorspannungsbogen interessiert die Macher weniger, als der Kampf der Schwarzen gegen weiße Söldner und somit gegen weiße Politiker. Insofern ein Agit-Prop-Film.

Die deutsche Synchro würde man am liebsten auch in den Purge schicken.

In einer einführenden Szene geht es um die psychiatrische Behandlung der Wut eines Schwarzen – wofür sich der Purge anbiete. Und selbstverständlich gibt die Purge-Idee auch den weißen Mann im weißen Haus frei.

Candelaria – Ein kubanischer Sommer

Für diesen Film von Jhonny Hendrix, der mit Maria Camila Arias, Abel Arcos Soto und Carlos Quintela auch das Drehbuch geschrieben hat, lassen sich eine ganze Reihe charakterisierender Titel finden.

Silencio
ist eines von vier Kücken, die Candelaria (Verónica Lynn) und Victor Hugo (Alden Knigth) in ihrer Wohnung in Havanna halten. Sie wollen sie aufziehen, um ihre bescheidene Speisekarte aufzubessern. Das ist selbstverständlich verboten.

Der Film spielt zur Zeit der Herrschaft der CDR (das Komitee der Revolution), aber diese ist in diesem poetischen Film nun wirklich eine Nebensache, die wenig zur Sprache kommt. Silencio ist kein langes Leben beschert. Es verunglückt unter den Füßen des unachtsamen Victor Hugo; die Traurigkeit dieser kleinen Geschichte liegt in ihrer poetischen Symbolik.

Candelaria und Victor Hugo,
so nennen sich die beiden Protagonisten. Sie sind ein hochbetagtes Paar, leben in einer Wohnung, in die es hineinregnet und die diesen abblätternden Charme ausstrahlt, der einen aus jedem Kubafilm anspringt. Sie arbeitet anfangs noch in einer Wäscherei, er liest in eine Zigarrenfabrik den Zigarrendrehern Nachrichten und Sportergebnisse vor. Beide singen in einem Chor.

Una buena pelicula porno
nennt el Carpintero (Philipp Hochmair) das, was er auf der Videokamera, die Victor geklaut worden ist, entdeckt hat. Denn Candelaria und Victor haben sich selbst beim Liebesspiel aufgenommen, ganz ungeniert.

Die Kamera ist Candelaria bei der Arbeit zugefallen. Sie hat sie in einer Tasche gefunden, die ihr aus dem Wäscheschacht vor die Nase geplumpst ist. El Carpintero betreibt einen Handel mit Hehlerware, alles, was in Havanna gestohlen wird, landet, wenn es wertvoll ist, betont er, bei ihm.

Wie Victor die vermisste Kamera bei ihm sucht, bekommt er von Carpintero das Kompliment, dass es sich um einen guten Pornofilm handelt. Das Filmchen verkauftsich blendend, der Handlungsstrang verlangt nach mehr solcher Filmchen und stellt das alte Paar vor die Frage: Geld oder Anstand, die es mit Twists und Charme löst.

Blüten der Blockade
könnte der Film, das wäre ein fast zynischer Ansatz, auch genannt werden; er schildert diese armselig-zufriedenen Menschen auf Kuba, die durch die Blockade gebeutelt werden, ohne einen Aufstand dagegen anzuzetteln; eher geht ein Kleid, ein Fahrrad, eine Zigarrenkiste einen Weg, den es laut CDR nicht nehmen darf. Verbote sind da, um umgangen zu werden. Gerade die filmische Exploitation dieser idealistisch-sozialistischen Armut ist von beachtlichem Seh- und Gefühlsswert.

Ein kleine Begebenheit.
Ganz unprätentiös erzählt Hendrix und wie beiläufig die kleine Begebenheit, wie das hochbetagte Paar zu der Kamera kommt und wie es anfängt, sich beim Liebesspiel zu filmen und wie dies ihrem Leben und ihrer Liebe einen neuen Impuls verleiht. Eine verschmitzt berichtete Geschichte als ein Fundstück, das der Filmemacher wie zufälligerweise gefunden hat, so wie dem Paar die Kamera zugefallen ist, über das er staunt und womit er ganz nebenbei quasi-dokumentarisch ein Stück kubanischen Lebens und Alltags auf die Leinwand und uns nahe bringt.

Weggeweht wie ein altes Taschentuch im Wind,
ist eine Zeile aus einem der wunderschönen Lieder, die von Liebe und Martyrium erzählen, um die der einfache und gleichzeitig dichte Film von Jhonny Hendrix sich dreht und der so persönlich wird, weil seine Maxime die ist, nur Filme zu drehen, so sein Statement im Presseheft, zu denen er einen persönlichen Zugang hat. Er ist zwar aus Kolumbien, aber wie seine Frau schwanger war, überlegten sie, nach Kuba zu ziehen; ihr Kind wollten sie „Candelaria“ nennen. Später hat er in Kuba tatsächlich eine „Candelaria“ kennengelernt, die ihm die Grundelemente der Geschichte erzählt hat.

Erwin Piscator
war ein berühmter deutscher Theatermann. Sein Name taucht im Presseheft auf, denn die Darstellerin Verónica Lynn, die sei ein Schützling von Piscator gewesen, der „ihr den Weg in die kubanische Theater- und Kinoszene ebnete“. Das ist doch eine unerwartete Verbindung und es wäre interessant, mehr darüber zu erfahren.

Auf einer spanischen Website relativiert sich diese Überraschung etwas: „En 1956 comenzó a recibir clases de Andrés Castro que había sido alumno de Erwin Piscator, director alemán, discípulo de Constantin Stanislavski – el hombre que había sintetizado el conocimiento de los actores – aunque ya la actriz se había iniciado en sus estudios de la técnica.

(Lynn „fing 1956 an, Schauspielerunterricht bei Andrés Castro zu nehmen, der ein Schüler von Erwin Piscator gewesen ist, einem deutschen Regisseur, der (wiederum) ein Schüler von Constantin Stanislavski war – der Mann, der die Wahrnehmungen/Einsichten der Schauspieler systematisiert hatte – obwohl die Schauspielerin bereits begonnen hatte, sich in seine Theorie und Technik einzuarbeiten“ – so laut meinem kruden Spanisch).

Time Trial

Angefressen.

Dieser Film von Finlay Pretsell ist der faszinierende Versuch, sich mit dezidiert filmischen Mitteln und im ergiebigen Breitleinwandformat in die Welt des britischen Ausnahmeradrennfahrers David Millar hineinzudenken und hineinzufühlen, diese „Angefressenheit“ durch den Radsport im besten Sinne mit radikaler Konzentration und maximaler Perfektion bildlich-akustisch und textlich nachvollziehbar zu machen.

Es ist ein filmisch-dokumentarisches Experiment weit mehr als die üblich gängige Heroisierung oder Denkmalsetzung für Helden des Sportes und unter Verzicht auf diese kaum noch zu ertragende Ineinvanderverzopfung von Archivmaterialen, Interviews und Statements zugewandter Orte.

Der Film ist ein filmisches Eintauchen in das sündige Radfahrergenie aus Schottland. Er ist eine aufregende Collage aus Tourimpressionen, filmisch und von der Kadrage her nie beliebig, immer faszinierend ausgewählt und gesetzt, aus vielen Details vor dem Rennen und nach dem Rennen, auch arrangierte Szenen aus dem Zweierzimmer, GoPro als subjektive Renneindrücke sowohl mit Minikamera am Fahrrad mit Blick auf die Straße oder die Fahrer davor oder mit Blick zum schnaufenden Fahrer.

Details von Reifenwechsel, Begleitfahrzeugen, das trickreiche Anziehen der Regenjack während der Fahrt, sogar relaxter Smalltalk mit anderen Mitfahrern beim Rennen, fliegende Versorgung mit Nahrung und Wasser, die fürsorgliche Getränkeflaschenverteilung an die Mitglieder seines Teams oder das taube Gefühl in der Hand.

Es gibt ein rückblickendes Interview, eine trancehafte Discoszene, die befreiend wirkt, nach dem Ende der Karriere. Wie Millar mit 15 sein erstes Rad erhalten hat, war er vom Moment an gepackt vom Rennfieber.

Einmal wollte er wenigstens die Tour de France fahren. Es seien 12 daraus geworden und – so deutet es der Film an – die dreizehnte wurde mit einem Sturz auf regennasser Straße beendet.

Millar hatte eine Dopingaffäre durchzustehen, eine darauf folgende zweijährige Sperre, er ist offen und offensiv damit umgegangen, schaffte ein Comeback und machte die bittere Erfahrung, dass die Kräfte nicht mehr so sind, wie die des Nachwuchses.

Der Film wirft nur einen kurzen Blick auf das Siegertreppchen mit David oben, der selber fassungslos ist und damit nicht gerechnet hat. Er beleuchtet das Gefühl des Rennfahrers, was ihn fasziniert, ob Rennenfahren Freiheit sei oder Kette. Der Film vermittelt hautnah das Gefühl des Pelotonfahrens („a weird beast“), dieses Blockfahrens nach dem Start und wie die Teamchefs versuchen, Ausbruchsversuche zu verhindern.

Dann die Ausbruchsversuche oder das Gefühl, ganz vorne allein in eine City einzufahren, ein erhabenes Gefühl, dagegen das klaustrophobische Erlebnis mit den Bergfahrten, den endlosen Serpentinen, die Zuschauer dicht an dicht vor dem Pass.

Es ist ein Film, der ein vielseitiges und differenziertes Bild vom Radrennfahrer und seiner Position im gigantischen Radrennzirkus entwirft. Und weil Millar zuviel nachdenkt, was beim Rennen nicht unbedingt hilfreich ist, ist er mit seinen Reflektionen umso ergiebiger für das filmische Porträt.

Den Film taucht Finlay Pretsell in einen vibrierenden Dauerdrive-Stresssound von Dan Deacon.

Liebe bringt alles ins Rollen

Dieser Film von Franck Dubosc mit den stahlblauen Augen (Drehbuch, Regie, Hauptrolle) zupft ganz ohne Schmerzen und ohne bedrohlich zu werden an der Oberfläche von Lügengespinsten. Garniert ist er dicht mit Scherzen zum Thema der Behinderung vor dem Hintergrund weitherum konsensfähiger Toleranz.

Jocelyn (Franck Dubosc) ist CEO einer Turnschuhfabrik, die in der Liga der großen Sportschuhhersteller mitspielen möchte. Allerdings ist Jocelyn ein chronischer Lügenbold. Was richtigerweise vermuten lässt, dass es hier um Komödie und nicht um Realismus geht.

Das zeigt gleich die erste Szene am Flughafen. Er ist gelandet, mustert die Abholer und eine fesche Schwarze, die ein Namensschild aufhält, steuert er gezielt an und gibt sich als der Erwartete zu erkennen. Dass alles vorne und hinten nicht stimmen kann, was er behauptet, ist schnell ersichtlich, denn die Dame erwartet einen Afrikaner und keinen hellhäutigen, blauäugigen Pariser.

Anlass für seinen Besuch ist die Beerdigung seiner Mutter. Wie Jocelyn in ihrer Wohnung Mutter deren Hinterlassenschaft mustert, stößt die Nachbarin Florence (Alexandrea Lamy) dazu; er sitzt gerade im Rollstuhl seiner Mutter. Deshalb erfüllt er ihre Erwartung, dass er lahm sei, neue Lüge, die die Komödie ins rollen bringt.

So passt es, dass Florence ihn mit seiner ebenfalls gelähmten Schwester Julie (Caroline Anglade) zusammenbringt.

Die Voraussetzungen für Situationskomik sind gegeben, der Zuschauer weiß immer mehr als manche der Beteiligten und kann sich daran delektieren.

Jocelyn muss seine Rolle als Gelähmter durchziehen, um mit Julie zusammenzukommen, ja seine Firma wird künftig auch Behindertensport unterstützen. Seine Vorzimmerdame Marie (Elsa Zylberstein) hat den ganzen Zirkus schweigend zu ertragen und darf ihn nicht auffliegen lassen.

Sein Arzt Max (Gérard Darmon) macht die Komödie ebenfalls mit. Claude Brasseur hat Auftritte im Altenheim als Jocelyns Vater. Und der Wallfahrtsort Lourdes wird seiner Wunderpflicht nicht so gerecht, wie zu erwarten wäre.

Es tragen andere dramaturgische Twists zur Auflösung der rollstuhlfixierten Lüge bei. So dass der Zuschauer beschwingt das Kino verlassen kann, denn die Franzosen haben einmal mehr gezeigt, dass sie Komödie können, auch wenn die Rollstuhlparallele zu „Ziemlich beste Freunde“ etwas weit hergegriffen ist. Es ist alleweil angenehmer, so einen Film zu schauen, anstatt Trübsal zu blasen oder sich im deutschen Subventonstümpel für dumm verkaufen zu lassen. Der Film hinterlässt den Eindruck, dass es um die Menschheit doch nicht so schlecht bestellt ist, wie einen die Nachrichten pausenlos glauben machen möchten.

Am Ende ist man tot

Für diesen Film von Daniel Lommatsch müsste eine eigene Kategorie erfunden: Schauspieler eines Theaterensembles machen ein Film zum Teambuildung und als Extrapolation zur harten Bühnenarbeit. In dieser Kategorie dürfte dieser Film einer der besten sein.

Und falls der Film typisch für dieses neue Genre sein sollte, so würde er vor allem durch schauspielerische Präsenz, den schauspielerischen Elan, den schauspielerischen Power stehen. So dass der Film auf jeden Fall ein Muss ist für Regisseure (Theater oder Film), Redakteure, Filmförderer und dergleichen Gremienmitglieder als auch für Caster aber auch für Drehbuchautoren.

Weil die Darsteller sich einen Spaß draus machen, aus einer dünnen Geschichte, die in gepflegt hanseatischem Kaufmanns- und Künstlermileu angesiedelt ist, etwas zu machen, ihr Fleisch und Blut zu leihen, immer den Widerborst gegen dröge Fernseh- und Filmförderdialoge im Genick.

Wobei die Inspiration für die Szenen, die sich um 3 Hundert-Euroscheine, die fortdauernd die Hand wechseln, doch wiederum eher auf hauptsächlichen, deutschen Fernsehkonsum und weniger auf eine Referenz an anspruchsvolles, internationales Kino schließen lässt.

Ganz im Argen liegt bei diesem Genre allerdings das Storytelling, das ist bestenfalls fernsehanpasserisch. Es ist dann doch eine andere Baustelle: zu schürfen in der Gesellschaft, Tiefenströmungen aufzuspüren und in Klartext umzumodeln.

Hier wurde eher leichtsinnig die oberflächliche Idee des Geldes zum Anlass für Szenen im bürgerlich-künstlerischen Milieu genommen. Und bleibt in gewisser Weise insiderisch. Trotzdem macht es mehr Vergnügen, diesen bühnenfitten Schuspielern hier zuzuschauen als in manch krampfigem, hochgefördertem Subventionstümpel-Film.

How to party with Mom

Wenn Jack (Luke Benward) Deanna (Melissa McCarthy) heiraten würde (immerhin haben sie schon Sex in der Uni-Bibliothek gehabt), dann wäre Deannas Schwiegermutter Marcie (Julie Bowen) die Geliebte ihres Ex Dan (Matt Walsh) und ihr Ex würde zu ihrem künftigen Schwiegervater, der damit gleichzeitig zum Stiefvater ihres neues Mannes würde; sie selbst würde somit zur Schwiegertochter ihres Ex.

Scheidungen können kuriose Familienkonstellationen nach sich ziehen, die sich bestens für Komödien eignen.

Bei den McCarthys bleibt alles in der Familie, denn Melissa ist Produzentin, Autorin und Protagonistin dieses Filmes und ihr Mann Ben Falcone ist Co-Autor und Regisseur. Befruchtung von außen nicht mehr nötig. Denken die sich.

In der Tat gehen MaCarthy-Falcone die Exposition der Komödie mit der nötigen Dialektik an, die ihr ein gutes Sprungbrett verschafft; dass es dann ein brutaler Sprung ins Belanglose wird, ist vielleicht dieser mangelnden Befruchtung von außen zuzuschreiben.

Deanna und Dan verabschieden ihre Tochter Maddie (Molly Gordon) ins College. Den Abschied zelebriert Mama Deanna mit der McCarthyschen Herzlichkeit und Molligkeit und Mütterlichkeit, als gäbe es kein Wiedersehen, dabei ist das College vom Provinzörtchen, wo sie wohnen, gerade mal 40 Meilen entfernt.

Die Eltern wollen erst mal in Urlaub fahren nach Italien. Kaum ist jedoch das Töchterchen außer Sicht, hält Dan den Wagen an und offenbart seiner verdutzten Frau, dass er sich scheiden lassen möchte. Sie fällt aus allen Wolken. Das ist gut nachvollziehbar, so wie sie ihre Figur anlegt mit dieser Billig-Locken-Perücke und mit dem riesigen Kassengestell auf der Nase und dem Billig-Süß-Pulli nach dem Hausfrauenblättchen. Sie ist das Heimchen am Herd, das auf den eigenen College-Abschluss zugunsten von Mann und dem Kind, das unterwegs war, verzichtet hat.

Die kurze Exposition, die mit einem Establishing Shot über dem Wohnquartier der Familie beginnt, kommt schnell zu einem motivierenden Tiefpunkt, von dem aus Deanna sich aufrappelt, das ist ja die McCarthy-Message, sich nicht unterkriegen lässt, ihr Leben selber in die Hand nimmt.

Deanna will den Studienabschluss nachholen. Sie schreibt sich an der Decatur-University ein, da, wo ihre Tochter schon Studentin ist. Dort schreibt sie zwei dumme Tussenstudentinnen von arrogantem Jugendlichkeitswahn ins Drehbuch, die ihr blöd kommen und die später verhauen werden.

Sonst sind alles McCarthy-gläubige Jungschauspielerinnen, die ihr nicht Paroli bieten, die sie bedingungslos bewundern, die ihren keinen Widerstand leisten. So dass sie aus Verzweiflung zu unbeholfenen Gags greifen muss. Da macht sie ein Riesenfass an Performance auf, um bei ihrem ersten Referat zu versagen, allerdings nicht richtig krass und auch nicht so richtig nicht richtig.

Der Rest – was nicht gerade Party ist, wovon es unlustig reichlich gibt – ist an einer Hand abzählbar. Der Film wirkt so, als wolle er den Kopf vor der aufgewühlten Trump-Welt in den Sand stecken, als möchte er Placebo-Mutmacherchen von Mütterchen verteilen.