Kommentar zu den Reviews vom 26. Juli 2018

Zwei befreiende Filme aus Spanien, ein leichter und ein düsterer aus Frankreich, eine Männerverrücktheit, ein Experiment und ein industrieller Comic aus den USA, das Porträt eines schwachen Charakters aus Italien und ein Olm aus dem deutschen Subventionstümpel. Auf DVD gibts den inspirierenden Film über Werner Nekes. Und das deutsch-italienische Fernsehen hat im Schutzwald gewildert.

Kino
WIR SIND CHAMPIONS
Heilsame Strafe für einen ausgerutschten Fußballtrainer und ein Riesenerfolg in Spanien.

FRIEDAS SOMMER
Wie ein Kind einen schweren Schicksalsschlag wegsteckt – ebenfalls im Spanien.

EIN LIED IN GOTTES OHR
Konzerngewinnstreben lässt Musikproduzenten einen Hit konstruieren – in Frankreich.

PAPILLON
Die berühmte Gefängnisausbrechergeschichte in düster-skandinavischem Licht – aus Frankreich.

CATCH ME!
Fangenspielen bis die grauen Haare wachsen.

HOTEL ARTEMIS
Predigt Regeln, versucht sich selbst in stilistischer Regellosigkeit – aus den USA.

ANT-MAN AND THE WASP
Kinderspielzeugkram gegen die Gesetze der Physik und von Größenrelationen – aus den USA.

DIE VERBORGENEN FARBEN DER DINGE
Mit Blindheit geschlagen, sind sie schwer zu entdecken.

ES IST AUS HELMUT
Vermutlich haben hier die mitkochenden Förderer und Fernsehredakteure den Brei vermasselt – aus deutschen Subventionslanden.

DVD
WERNER NEKES – DAS LEBEN ZWISCHEN DEN BILDERN
Bilder haben mit Fantasie zu tun – und Eigenleben – und sollten sich nicht nach Maximen von Filmförderern und Fernsehredakteuren richten.

TV
DIE BERGPOLIZEI – GANZ NAH AM HIMMEL
Im Bergwald rückt Terence Hill dem Himmel näher.

Die verborgenen Farben der Dinge – Il colore nascosto delle cose

Ein schwacher Charakter.

Theo (Adriano Giannini), Werbefachmann, Single in Beziehung mit Greta (Anna Ferzetti), in eigener Wohnung lebend, deren lebendigster Bestandteil der Staubsaugerroboter Horazio ist, ist ein schwacher Charakter und ein Lügner dazu.

Es kann sich nicht für eine Frau entscheiden und kann Frauen nicht die Wahrheit über sich und seine Beziehungen zu anderen Frauen offenlegen.

Er kann Greta nicht sagen, dass sein Vater gestorben ist. Wobei die Beziehung zu seiner Familie überaus gestört scheint. Grad an Weihnachten besucht er sie in dem Dorf außerhalb von Rom, aber mit der Vespa zu erreichen.

Sein Vater, das erfährt man erst später, ist gar nicht sein richtiger Vater. Der ist brutal zu ihm gewesen.

Silvio Soldini (Was will ich mehr) hat diesen labilen Typen entworfen und inszeniert. Er folgt ihm in einem lichtarmen Film, der auf das Mittel des künstlichen Aufhellens von Gesichtern, Räumen oder Gegenständen verzichtet, in einem endlos sprudelnden Alltags“chiacchiere“, also Gebabbele, Gerede, Alltagsgerede zuhause, unterwegs, in der Werbefirma, beim Einkaufen, in verschiedenen Wohnungen verschiedener Frauen.

Der Film beginnt mit einem „Gespräch im Dunkeln“. Auf Schwarzbild ist die Tonspur zu hören, Stimmen durcheinander, ein klarer Kontext ist nicht zu ermitteln. Menschen machen in einem Dunkelraum die Erfahrung des Blindseins.

Hier lernt Theo die blinde Osteopathin Emma (Valeria Golino) kennen. Er wird ihr wieder begegnen und mit ihr anbandeln. Emma führt ein anderes Hauptthema in den Film ein: Blindheit, oder in den Zusammenhang mit Theo gesetzt: mit Blindheit geschlagen.

Dazu gibt es fragmentarische Gesprächsansätze, die jedoch nicht vertieft werden; ebenso flirrt in den Szenen in der Werbeagentur Vokabular und Argumentation aus der Werbebranche ohne besondere Zweckdienlichkeit auf.

Bei einem unvermittelten Ausflug von Theo zu seiner Familie verengt Soldini den eh schon nicht allzu breiten Bildausschnitt fast auf das quadratische Format, was aber bei der generellen Lichtschwäche der Bilder nicht sonderlich auffällt.

Fazit: Soldini zeigt mit einer Tendenz zur Fingerzeighaftigkeit einen schwachen Charakter, einen oberflächlichen Mann, der zwar geschwätzig aber eben nur zu pseudoernsten Gesprächen fähig ist. Dieser Theo schwimmt wie ein Blatt Laub auf einem Fluss unaufhörlichen Plauderns und Plapperns, Begegnens und Anbandelns und von Lügen.

Seat ist ein offengelegter Werbepartner in diesem Zweistundenfilm.

Catch Me!

tag tag – in jedem Manne steckt ein Kind.

Hier zeigen die Amis mal wieder, wie sie aus einer Mücke einen Elefanten, aus einem Artikel im Wall Street Journal (von Russell Adams) einen taff gebürsteten Unterhaltungsfilm machen können.

In dem Artikel wurde über eine Gruppe von Männern berichtet, die in der Kindheit Nachbarskinder waren und Fangen gespielt haben.

Andere Kinder machen das auch und werden erwachsen und das Fangenspiel verliert sich. Nicht so bei Hogan (Ed Helms), Chilli (Jake Johnson), Bob Callahan (Jon Hamm), Jerry (Jeremy Renner) und Sable (Hannibal Buress). Sie sind physisch längst erwachsen geworden, stehen im Familien- und Berufsleben.

Aber sie haben ihr Fangenspiel über 28 Jahre weitergespielt. Das führt zu einer Kaskade von kindischen und unangemessenen Situationen im beruflichen wie im privaten Alltag.

Es fängt damit an, dass Hogan, der „es“ gerade ist, Bob Callahan, der eine hohe Unternehmerposition einnimmt, fangen, tagen, möchte. Der hat in seiner Firma allerlei Vorkehrungen gegen derlei Eindringlinge getroffen. Hogan überlistet sie und lässt sich in Callahans Betrieb als Putzmann engagieren.

In komödienhaft knalliger Verkleidung, das ist das System solcher reinen Unterhaltungskomödien, betritt er mit seinem Putzwagen einen Konferenzraum, in welchem Callahan gerade einer Reporterin des Wall Street Journals ein Interview gibt.

Hogan hantiert unverschämt und dick verkleidet mit dem Müll rum, gezielt störend, bis Callahan sich aus der Ruhe bringen lässt, die Reporterin verdutzt zurücklassend.

Solche Szenen inszeniert Jeff Tomsic nach dem Drehbuch Rob McKittrick und Mark Stellen nach dem Wall-Street-Journal-Artikel von Russell Adams ohne jede Hemmschwelle und ohne Respekt vor bürgerlichem Benimm direkt und klar rausgeknallt.

Die Reporterin merkt schnell, dass ihr hier eine Story über den Weg läuft, der sie folgen wird. Dagegen sind die Märchen, die Callahan ihr über seine neuen Produkte auftischen will, monströs langweilig.

Die Reporterin heftet sich an die Fersen der Männer. Jeder wird, auch das gehört zur Komödiensystematik, der Reihe nach getagt. Sie alle wollen jetzt endlich Jerry fangen, der sich bislang immer entzogen hat, der Unberührbare.

Jerry will demnächst heiraten. Wie die Spieler dahin kommen und wie sie die Hochzeit doch noch durcheinanderbringen, das wird hochprofessionell und ohne falsche Scham in gekonntem Tempo durchgezogen. Die Schauspieler kommen durch die straffe Regie als unterschiedliche Typen klar zur Geltung und sie beweisen, dass in jedem Manne ein Kind steckt, das spielen will.

Wir sind Champions – Campiones

Normal, aber andersfähig

sind die Basketballer „Los Amigos“. Es sind nicht Intellektuelle mit Behinderungen, wie es an einer Stelle missverstanden wird, sondern es sind intellektuell Behinderte, wie erklärt wird: Downsyndrom beispielsweise.

Ja, der spanische Erfolgsfilm von Javier Fesser, der mit David Marqués auch das Drehbuch geschrieben hat, zeigt, dass der Behindertensport erschreckend normal ist, wie eine Betrugsgeschichte von den Paralympics in Sideney 2000 zeigt. Hier haben normale Profis sich als Behinderte ausgegeben, um an Fördergelder zu kommen.

Und bei den „Los Amigos“ dieses Filmes foult die kleine „Stechmücke“ ihre Gegner so gezielt, dass sie ausfallen, kaum weniger brutal als Ramos Real Madrid zum schäbigen Champions League Titelgewinn gegen Liverpool verholfen hat – und Verletzte säumten seinen/ihren Weg.

Nur dass es hier im Film um Basketball geht. Der kommt durch lebendige Kamera (immer in Bewegung) und durch Schnittgeschick spannend und im Finale auf Fuertaventura richtig berauschend rüber.

Schon die Drehbuchabteilung hat Hervorrangendes geleistet, so dass die zwei Stunden nicht zu lang sind, immer fällt dem Film noch eine neue Wendung oder eine illustrierende Anekdote ein, die ein sympathieheischendes Licht auf diese Sportlergruppe wirft.

Der zweite Trainer einer Fußballmannschaft, Marco (Javier Gutiérrez) hat akut Mühe mit Selbstbeherrschung und, um nicht als der Verlassene dazustehen, hat er vorbeugend seine Freundin Sonia (Athenea Mata) verlassen.

Am Spielfeldrand spielt er die zweite Geige, glaubt manches besser zu wissen, fetzt sich körperlich mit seinem ersten Trainer, das verdünnt sein Nervenkostüm noch mehr. Alkohol drüber und einem Polizeiauto den Seitenspiegel abrasiert, das reicht für Gewahrsam und Verhandlung.

Strafe: Drei Monate Sozialarbeit. Immerhin kann er die als Trainer bei den „Los Amigos“ abarbeiten. Was ihn anfangs gar nicht begeistert, weil es sich nicht mal um Fußball handelt.

Die drei Monate sind für ihn und auch für den Zuschauer eine Lektion über die Differenz von „normal“ und „andersfähig“, über den Reichtum von Andersfähigkeit. Wobei Narren und Behinderte gerade im Film und für die Darsteller ergiebige Rollen sind. Weil sie einen ungewöhnlichen Blick auf die Normalität werfen.

Die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Mannschaft und Trainer ist turbulent und geschmeidig, mit herzlichem Humor angereichert und vom Storyfaden her läuft sie auf das Finale für die Mannschaft hinaus, wozu sie sich noch einen Sponsor für die Reise inklusive Flug nach Tenerifa (die Landratten von Cuenca haben noch nie das Meer gesehen) ergattern muss. Auch hier hat das Drehbuch vorgesorgt, dass der nicht Nein sagen kann.

Mit Gutierrez in der Hauptrolle hat Regisseur Fesser eine ensemblebildende Zentrifugalkraft in seine Geschichte eingebaut, die ganz ohne moralischen Zeigefinger oder Minderheitenschongetue auskommt. Besonders heilsam wirkt sich die Sozialarbeit für das Peter-Pan-Syncdrom von Marco aus. Und die fesche Musik wirkt als anfeuernder Sound.

Papillon

Ein Schmetterling, die deutsche Übersetzung des Wortes „Papillon“, ist ein Symbol für Helligkeit und Leichtigkeit, so jedenfalls in meiner Erinnerung an die erste Verfilmung des Buches von Henri „Papillon“ Charriere von 1973 mit Steve McQueen in der Hauptfigur.

Papillon war ein Dieb im schicken Paris von 1931, Juwelen und nichts Kleineres. Er arbeitet für die Unterwelt. Diese fühlt sich bei seinem letzten Raub hintergangen, vermutet, er habe Steine für sich behalten, was er scherzhaft auch bejaht.

Das lässt sich die Unterwelt nicht bieten, schiebt ihm einen Mord in die Schuhe. Die Gemeinheit funktioniert. Papillon wird des Mordes angeklagt und verurteilt und in die französische Strafkolonie Saint Joseph verschickt.

Papillon möchte vom ersten Moment an abhauen. Als Genossen sucht er sich den hochintelligenten Louis Dega (Rami Malek), der wegen Finanzdelikten zu Recht verurteilt wurde. Er spannt ihn von Anfang an in das Schmieden von Ausbruchsplänen ein.

Nach Jahren gelingt das. Sie landen in Kolumbien bei Nonnen. Sie werden aber vom jungen Maturette (Joel Basman) verraten. Es folgt die Todesinsel. Das ist ein kahler Felsbrocken im Meer. Keine Entkommenschance bei der harten Brandung.

Sie wohnen in einer nicht weiter gesicherten Ruine. Auch hier schafft Papillon den Ausbruch und bleibt in Freiheit (und hat in Original sein Buch geschrieben).

Diese Neuinszenierung des Stoffes von Michael Noer nach dem Drehbuch von Aaron Guzkowski versteht sich laut Interpretation des Abspannes als ein Erinnerungs- und Mahnbuch an die französisch Sträflingspolitik, die Verbannung und menschenunwürdige Behandlung in französisch Guayana und auf der Toteninsel, ein Gedenken an die Zehntausenden von Gefangen, die hier ein elendigliches Leben fristeten.

Der Däne Noer hat den Stoff in düster-skandinavischer Manier verfilmt, es könnte sich um einen Adler-Olsen-Thriller handeln. Er legt das Hauptaugenmerk auf die Düsternis der Geschichte.

Mit dem Darsteller des Papillon, Charlie Hunnam, habe ich insofern ein Problem, als er als Typ just die Frage eines französischen Offiziers, warum ihn selbst 5 Jahre Isolationshaft nicht gebrochen haben, nicht beantworten kann, seine Augen können das nicht erzählen, sein Wesen nicht. Da kann der Schauspieler nichts dafür. Die einzige Antwort, die er als Typ zu vermitteln vermag: weil es im Drehbuch steht. Insofern setzt diese Besetzung gerade nicht die Helligkeit und Leichtigkeit eines Schmetterlings der Düsternis entgegen, die das Entkommen überhaupt erst möglich macht.

Während die Besetzung von Dega durchwegs rund erscheint, angenehm im Gegensatz zu Papillon, der zu Solipsismus neigt. Der aus dem deutschen Subventionstümpel wohl aus Koproduktionsgründen gecastete Sidekick Maturette, Joel Basman, macht sich gut in diesem internationalen Milieu und dürfte sich für weitere Auftritte in dem Karussell empfehlen.

Entschieden gegen den Kinogenuss richtet sich die deutsche Billigsynchro. Sie vermittelt – ungewollt – das düstere Gefängnisgefühl, das der Hoffnungslosigkeit.

Hotel Artemis

Ein stilistisches Experiment in Pompadour-Futurismus nicht ohne ästhetische Values, die auch vom Billigcharme der Dunkelproduktion (vorgeblich: „Noir“) zehren.

Ein Hotel wie Kinoträumer es sich vielleicht vorstellen und zehn Jahre in die Zukunft gedacht in einer dystopischen Welt selbstverständlich, das passt zum akademischen Flair, das die Produktion von Drew Pearce sich gibt, indem sie sich einer spannenden Story konsequent verweigert und mit Thriller- und SciFi-Elementen jongliert und die in eben diesem Hotel spielen lässt.

Hier ist die Herrscherin Jodie Foster als The Nurse, die Krankenschwester. Die löst die Unvereinbarkeit der Eigenschaften im Rollenprofil, nämlich einerseits kümmernde Krankenschwester zu sein und andererseits eine Kumpanin des Verbrechens, (in ihrer gut getarnten Absteige werden Kriminelle medizinisch behandelt) mit maniriert-artifiziellem Schnellsprech; alles in einem Ton weg, so schnell wie möglich, nicht dass der Zuschauer in die Position kommen könnte, sich zu fragen, ob das alles so wichtiger und qualifizierter Text sei.

Bewacht wird die Nurse von einem Bodybuilderberg von Mann, der Everest (Dave Bautista) heißt. Man mag das für beabsichtigt originell halten oder nicht. Der ganze Laden gehört dem Oberhalunken, der auch die Polizei kauft. Es gibt mehrere Figuren, die sich in dem Hotel, das von Empireausstattung bis zum modernsten Operations-Roboter verfügt, aufhalten. In Zimmern, die beispielsweise Niagara heißen. Hier füllt ein Gemälde der Niagara-Fälle eine ganze Wand.

Alles wird überwacht mit Systemen, die wohl in zehn Jahren gängig sein sollen, und die wir aus den Blockbustern aus Hollywood zur Genüge kennen, Hologramme etc.

Die Nostalgie wird bedient mit Songs von Mamas und Papas, was wiederum für eine geistige und zeitgeistige Verortung der Mentalität des Filmes hilfreich sein kann.

Zudem leidet die Chefschwester unter Asthma, wodurch sie einen tüdelnden Gang entwickelt wie eine Japanerin im Kimono, die sich übermäßig beeilen muss.

Da viel geschossen wird, muss viel operiert werden.

Vielleicht handelt es sich bei dem Film auch lediglich um eine Assemblage einer Kollektion von Filmsujets, die Drew Pearce beeindrucken und die er selbst auch mal auf die Leinwand bringen wollte. Durchaus skurril, so besehen – es kommt halt auf die Erwartungshaltung an. Mehr fällt mir aktuell zur Rettung des Streifens nicht ein.

Dauertopos der Nurse: die Regeln, an die man sich zu halten habe – vermutlich als Witz gedacht, weil der Regisseur und gleichzeitigauch der Autor beabsichtigt, gegen jegliche Genreregeln zu verstoßen.

Fridas Sommer

Glückliche Kindheit.

Kinder stecken Schicksalsschläge leicht weg. Wenn sie in einer Familie sind, die sie liebt. Wenn es auch nicht die eigene ist.

Bei Frida (Lala Artigas) ist es die Familie des Bruders ihrer Mutter, von Esteve (David Verdaguer) und Marga (Bruna Cusi), die mit Töchterchen Anna (Paula Robies) im schönsten katalanischen Bergland lebt in einem Steinhaus, also keine Brandgefahr, mit Kühen und Hühnern.

Esteve hat eine Schreinerwerkstätte. Im Dorf gibt es die Tradition der Großköpfe, eine Folklore mit Erwachsenen auf Stelzen, die ein Paar darstellen. Und um sie herum ein Haufen Kinder, die tanzen. Sie alle habe diese Ganzkopfmasken auf und wirken übergroß und gleichzeitig zwergenhaft. Diese Tradition wird im Film von Carla Simón eingesetzt, um die Einbindung von Frida, dem anfangs fremden Mädchen aus Barcelona, deutlich zu machen.

Sie wird hierhergebracht, weil ihre Mama gestorben ist. Zwischen dem Alltag, den Simón filmt, als ob sie das richtige Leben vor sich hat, fallen ab und an zwischen Hackfleischbestellung, Kekse essen, Hühner füttern oder Kinderspielen wenige Sätze, die auf einen Bruch im Leben von Frida hinweisen.

Denn Mama ist an einer, der Film spielt 1993, rätselhaften Erkrankung gestorben. Momentweise, bei einer Verletzung von Frida, wenn sie mit den Kindern herumtobt und sich eine blutende Knieverletzung holt, bricht kurz Panik bei den Erwachsenen aus. Nie aber geht es soweit, Frida prinzipiell auszugrenzen.

Der Film bringt in seinen abrupten Wechseln zwischen Tageslichtszenen und Nachtszenen den Rhythmus des Wechsels von Lachen und Weinen, von Rumtoben und Traurigsein angemessen zum Ausdruck.

Die Lebensbewältigung auf dem Dorf kompensiert alles, was es an Ungereimtheiten im Leben eines Kindes gibt, sei es Schicksal oder persönliche Entwicklungen wie das Ausfallen eines Zahnes, schluckt alles, nimmt Schärfe und Bosheit.

Das Miteinander dieser Menschen umfängt Frida, dass sie dazu kommt, von Marga als ihrer zweiten Mutter zu sprechen. Das zu frühe Auftauchen der Großeltern kann kurzfristig zu Problemen führen, aber auch sie werden nicht penetrant ausdiskutiert. Sie werden von den nächsten Alltagsproblemen wieder weggeschwemmt, es bleibt gar keine Zeit für Rachsucht, für Ausgrenzung, für Niedertracht, für das Nachtragen.

Es ist aus, Helmut

Petting statt Pershing

oder die offene Zweierbeziehung, das waren dominierende Schlagworte in den frühen 80ern, als die Welt noch übersichtlich, dual hinterm und vorm Eisernen Vorhang war.

Zum Thema Offene Zweierbeziehung gab es sogar von Dario Fo und Franco Rame ein Theatererfolgsstück.

Gegen die Stationierung der Pershings durch die Amis in Deutschland protestierte die aufgeweckte Jugend.

In dieser Zeit erlebt die mollige und intelligente Ursula (Anna Florkowski) ihre Pubertät in einem scheußlich-modernen Arztbungalow auf dem Lande irgendwo zwischen Darmstadt und Groß-Gerau, die brachliegenden Äcker in der Umgebung nutzt Petra Lüschow für ihren Film fotogen.

Im Dorf hat sich auf einem Hof eine Kommune von Müslis eingenistet. Diese praktizieren die offene Zweierbeziehung und protestieren in Mutlangen gegen die Stationierung der Pershings, gegen den NATO-Doppelbeschluss.

Der neue Lehrer Siegfrid Grimm (Florian Stetter) für Physik und Bio ist ein verführerischer Typ und profitiert vom Thema der offenen Zweierbeziehung zur eigenen Lustgewinnung und -mehrung. Alle verlieben sich in ihn. Auch Ursula. Aber näher liegt ihr der gleichaltrige Ralf (Oskar Bökelmann), der sich mit ihr einen argen BH-Scherz leistet. Auch die Mutter von Ursula, Monika (Petra Zieser), lässt sich vom Lehrer verführen, ebenso die Sportlehrerin Karin (Barbara Philipp), geschieden, zwei pubertierende Kinder, mit der der Vater Helmut (Thorsten Merten) von Ursula ein Verhältnis hat.

Die Mama von Ursula nimmt teil an einem Kurs zur Entdeckung und Befreiung der eigenen Muschi. Auch der Altnazi von Opa (Helmut Beyer) mit seinem Arsenal an Handgranaten darf nicht fehlen (Komödie: in seiner Leichenstarre, macht er, wenn man ihn aufrichtet, den Hitlergruss, weil er im Augenblick des Eintretens des Todes nach Pralinen greifen wollte; klumpfüßig inszeniert).

Lüschow hat dies und viele weitere Charakteristika dieser Zeit (wie das Schwarz-Rot-Gold-Küssen) liebevoll rekonstruiert und recherchiert, möglicherweise bei den eigenen Eltern. Die Konflikte, die sich aus den Konstellationen und den divergierenden Liebesinteressen ergeben, löst sie allerdings realitätsfern mit einer Rahmenhandlung, die grotesk auf einem braunen Acker anfängt und die vermutlich die Klassifizierung des Filmes als Komödie einlösen soll.

Mag die Recherchearbeit dem Film zu einem Touch Wahrhaftigkeit verhelfen im Sinne eines Fachbuches oder dem Anspruch eines historischen Ausfluges in die frühen 80er gerecht werden, so scheint der Filmemacherin allerdings das Handwerk des filmischen Geschichtenerzählens gänzlich unbekannt.

Vielleicht aber stimmt die Behauptung auch gar nicht, vielleicht war ihre Geschichte anfangs schräg, geil, verrückt und tatsächlich zugleich; dann aber haben vier Fernsehredaktionen, ein Redakteur, der sich im Abspann sogar mit dem Professorentitel eintragen lässt, Herr Professor Redakteur schreitet zum Müllern oder so, ihr Dreingepfusche angefangen, wodurch die möglicherweise akzeptable Geschichte jämmerlich zugrunde geht zugunsten von einem gremienkompatiblen Pseudorealismus.

Womit das Fernsehen ein weiteres Mal einen Kinofilm versaut hätte. Wogegen der krude Mix von Cast, dieses Ungeschliffene, wiederum eher zu einer Art Glaubwürdigkeit beiträgt. Oder: zeittypische Anekdotensammlung?

Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers!

Ant-Man and the Wasp

Kinderspielzeugkino.

Wenn Kinder mit Figürchen spielen, so können die alles machen. Das Animationsgenre und speziell die Marvelstudios weiten diese Möglichkeiten – auch gerne angeregt durch Comic-Bücher – noch exzessiv aus: der Ameisenmann kann klein und groß werden und sowieso gleich die Gesetze der Physik und der Logik von Abläufen außer Kraft setzen, in andere Universen abtauchen und ebenso verschwindet die Relation von Größen: Ameisenmann kann zum Riesen werden oder zum kleinen surrenden Insekt, das von einer Wespe durch die Lüfte getragen wird.

Und wo spielen Kinder am liebsten? Zuhause, im Schoß der Familie, da können sie alles um sich herum vergessen und sich in ihre Fantasiewelten vertiefen.

Deshalb ist das große Credo dieses Filmes von Peyton Reed nach dem Drehbuch von Chris McKenna, Erik Sommers + 3 die Sehnsucht nach der Intaktheit der Familie. Sie löst die never-ending Schnitzeljagd oder Suche nach der verschollenen Mutter aus, die in den Tiefen der Spielewelten verloren gegangen ist.

Dazu bedarf es noch einer weiteren Vater-Tochter-Beziehung. Und wie bei den Kindern, fällt den Machern ständig noch eine neue Sequenz, noch eine weitere Wendung, noch ein neuer Bösewicht oder Verhinderer ein; so wie bei der berühmten Buckelstraße von San Francisco, die auch mitspielt, nach jedem Knick taucht eine neue Welt auf und noch eine und noch eine.

Und dann noch ein Scherz und noch ein Scherz zu einer nicht enden wollenden Scherzkekserei in sitcomhafter Manier.

Berühmte Schauspieler konnten dem wohl verführerisch guten Angebot nicht widersprechen, leihen den Kinderspielzeugfiguren ihre bekannten Gesicht, schieben eine ruhige Studiokugel ohne Rollenprobleme und werden dafür fürstlich entlohnt.

Der Film gibt dem Auge viel zu tun, bietet eine abenteuerlich anmutende, jokereiche Abwechslung zu einem von erstarrten Größenrelationen und der Physik der Alltäglichkeit beherrschten Lebenstrott, der im festen Klammergriff des Familiengedankens steckt; er ist der Presse in billigem, schwindlig machendem 3D gezeigt worden; der Kinobesuch dürfte also ziemlich teuer ausfallen für diese Eskapade aus dem normierten Familien- und Berufsleben.

Ein Lied in Gottes Ohr – Coexister

Der breit aufgestellte Konzern Demanche mit Frau Demanche (Mathilde Seigner) als CEO hält Bilanzversammmlung ab. Einzeln lobt oder kritisiert die Chefin die Abteilungen für ihre Resultate. Der Esprit Demanche, der ist ein reiner Zahlenesprit. Die Chefin ist absolut gnadenlos, nur Zahlen zählen und wer bei seiner Rechtfertigung in Stottern gerät, kann Saal und Firma gleichzeitig verlassen.

Nicolas (Fabrice Eboué; er ist auch der Regisseur und Autor dieses Filmes) kommt wegen familärer Schwierigkeiten zu spät, platzt in die Versammlung hinein und erhält von einem eben Geschassten das Mikro. So entschuldigt er sich öffentlich. Und heimst gleich einen Rüffel für die Stagnation für die von ihm zu verantwortende Musikabteilung ein.

Statt eines Rausschmisses lässt er sich auf die Wette ein, er werde innert nützlicher Frist einen Hit landen mit einer Gruppe, die die Olympiahalle füllt.

Nach diversen Brainstormings mit Jokes an der kurzen Leine, mit seiner extrem taffen Mitarbeiterin Sabrina (Audrey Lamy), für die Geschlechtsverkehr offenbar nichts Spezielleres ist als Händeschütteln, haben sie die geniale Idee, ein Trio aus einem Priester, einem Rabbi und einem Imam auf die Beine zu stellen.

Das Casting für die Band bereitet unterhaltsame Pointen und Situationen. Des weiteren reizt der Film das Scherz- und Witzpotential der religiösen Konstellation, Toleranz, Intoleranz und Vorurteil sowie die normalen menschlichen Schwächen ordentlich aus.

Das Gesangsteam besteht aus einem ehrlichen Priester Benoit (Guillaume de Tonquédec), dem traumatisierten Rabbi Samuel (Jonathan Cohen) – der hatte bei einer Beschneidung versehentlich den Schniedel weggemessert und dem getürkten Fake-Imam Moncef (Ramzy Bedia).

Aber sie schaffen es und schlecht singen tun sie sowieso nicht und beeindrucken mit exzellenter Leinwandpräsenz. Die Pointendrescherei und Ausschlachterei wirkt als musikalisch leicht beschwingt.

Sie gehen auf Tournee. Der Produzent ist mehr Seelsorger, Krankenschwester, Motivator und Friedensrichter als Organisator und hat mit seiner Frau noch Probleme. Auf der Tournee locken die Versuchungen des Fleisches mehr als sonst, Nähe, Hotelzimmer, die Bilder der Geistlichen müssen aber in der Öffentlichkeit aufrecht erhalten werden. Die Band heißt „Coexister“ wie der Filmtitel auf Französisch: nebeneinander her existieren, auch leben und leben lassen. Eine Botschaft, die der Film unangestrengt und mit präsenten Schauspielern transportiert.