Mit JR gegen Godard.
Knackpunkt in diesem Film von Agnès Varda sind zwei handschriftliche Zeilen in schwarzer Farbe auf der Scheibe eines kleinen Glasvorbaues zur Haustür eines schmucken kleinen Häuschens mit blauen Läden in Rolle am Genfersee.
Es sei das neue Haus von Godard, dem berühmten Filmregisseur der Nouvelle Vague. Die Inschrift sei, so sagt es Agnès Varda, ein Satz, den Godard ihr nach dem Tod von Jacques (Fachleute können ergänzen: Demy, mit dem Varda bis zu dessen Tod verheiratet war) geschrieben und sie zutiefst verletzt habe.
Varda spielt Betroffenheit vor dem schmucken Häuschen, neigt den Kopf seitlich an der Kamera vorbei, zeigt Schmerz über das Eigenzitat von Godard.
Dass Godard in so ein spießiges Häuschen zieht, lässt auf einen späte Entwicklung in Richtung Biederkeit schließen. Merkwürdig ist auch, dass Frau Varda mit genau derselben Farbe und wie identischem Schriftzug und Linienführung eine Antwort unter die vorgeblichen Godar-Zeilen auf die Scheibe postet, als seien Schriften und Schreiber identisch – also extreme Seelenverwandtschaft oder Beschiss.
Auf jeden Fall steht Godard als kleinkariertes, nachtragendes, rachsüchtiges Arschloch da. Offenbar will Frau Varda das auch ihren Zuschauern mitteilen, indem sie die Szene im Film drin lässt, das lässt sie wiederum als nicht gerade taktvoll erscheinen, um höflich zu bleiben.
Sollte die Szene jedoch Fake sein, worauf einiges wie erwähnt hindeutet, dann steht sie genauso wenig taktvoll da. Nach Jahrzehnten eine Filmberühmtheit so öffentlich zu blamieren, gar zu denunzieren, lässt Frau Varda als extrem fixiert und rachsüchtig erscheinen.
Für ihren guten Rufen sind beide Aktionen nicht dienlich und für den Unterhaltungswert des Filmes ebensowenig.
Klar ist, Frau Varda kommt in vorgerücktem Alter von Herrn Godard, der die Filmgeschichte verändert habe (ohne auf dessen Spuren und Einflüsse im heutigen Kino hinzuweisen, wo bitte sind diese?) nicht loszukommen; er scheint sie förmlich vor sich herzutreiben und sie von ihrem eigentlichen Ziel dieses Filmes (oder dem billig vorgeschobenen?) abzulenken und sie daran zu hindern, den Film zu einem anständigen und glücklichen Ende zu bringen.
Dass ihr eitler Co-Protagonist, der Fotokünstler JR, endlich seine Sonnenbrille abnimmt, was aber nur aus der verschwommenen Subjektiven der schwachen Augen von Frau Varda gezeigt wird, ist weder ergiebig noch zu inspirierenden Interpretationen verführend.
Bis dahin hatte der Film durchaus zu vereinnahmen gewusst als kulturjournalistisches Roadmovie mit Fotoperformances, Gernstl auf Französisch und auf fortgeschrittenem Niveau quasi.
Frau Varda mit ihrem rötlich-weißen Clownshaarschopf reist mit JR mit Hut und Sonnenbrille in dessen Fotosprinter kreuz und quer (vorgeblich zufällig) durch Frankreich auf der Suche nach Locations und Menschen, die etwas über das Arbeiten im Lande erzählen würden, gediegenes Kunsthandwerk alleweil.
Sie fotografieren diese Menschen, stellen großformatige Abzüge her, die sie aus einem Schlitz in der Wand des Fotosprinters ziehen und kleben diese zusammengesetzt auf Haus- und andere Wände.
Wie Erstaunen ablaufen kann, das wird sichtbar bei der Frau in der fast verlassenen Ziegelstein-Bergbausiedlung. Wie sie vor ihr Haus tritt und zum ersten Mal sich selbst hauswandgroß sieht, das setzt eine ganze Eruption an geistigen und emotionalen Vorgängen in Gang, wie sie kaum je ein Schauspieler darzustellen in der Lage sein dürfte (oder ein Regisseur zu inszenieren).
Aber je länger die Reise dauert, desto mehr gewinnt die Erinnerung an Godard die Überhand und verdirbt den Spaß.