Kommentar zu den Reviews vom 31. Mai 2018

Dinge sind extrem falsch gelaufen. Entfremdung von zwei Schwestern durch Klassenaufstieg. Mit der Liebe könnte es extrem falsch laufen, Obacht! Viktoria wächst bei der falschen Mutter auf. Ein Indianerkiller und -hasser soll einen alten Erzfeind ins Reservat begleiten. Ein Satz eines Regisseurs verfolgt eine Regisseurin. Zudem zwei Kinototgeburten aus dem deutschen Subventionsland.

Kino
TANZ INS LEBEN – FINDING YOUR FEET
Nur ein Schicksalsschlag kann zwei Schwestern wieder zusammenbringen.

LETZTENDLICH SIND WIR DEM UNIVERSUM EGAL – EVERY DAY
Nicht von der Hand zu weisende Erörterung zum Thema, ob es die eine Liebe gibt.

MEINE TOCHTER – FIGLIA MIA
Die Nutte ist die Mutter, die Hebamme zieht das Kind auf. Es heißt Viktoria: die Siegreiche.

FEINDE – HOSTILES
Der Indianermörder wird zum feinen Herrn.

AUGENBLICKE – GESICHTER EINER REISE
Die Filmemacherin kommt trotz tauglicher Kunstbemühung von einer Jahre zurückliegenden Beleidigung eines Meisterregisseurs nicht los und übt kleinkarierte Rache.

BACK FOR GOOD
Verloren im Geisteshorizont von Dschungelcamp und Promitum.

ZWEI IM FALSCHEN FILM
Die sind nicht nur im falschen Film, die sind auch in der falschen Filmkultur.

Letztendlich sind wir dem Universum egal

Komplizierte Zeiten

Für die Liebe sind es komplizierte Zeiten, wenn man dem Roman von Davi Levithan, den Jesse Andrews hier unprätentiös und dialogorientiert verfilmt, glauben will.

Hatte zu Zeiten der Nouvelle Vague bei Rohmer beispielsweise ein Liebender das Problem zwischen zwei Frauen zu wählen, welche die Richtige ist, und das hat Filme schon randvoll gefüllt, so kommt heute für Rhiannon (Angourie Rice) ihr ganzer Collegejahrgang in Frage; denn ihre Liebe oder ihre Liebesvorstellung personifiziert sich in jedem, in jeder.

Es sind alles Ausformungen, Wiedergänger von Justin (Justice Smith), Amy (Jeni Ross), Nathan (Lucas Jade Zumann), David (Rory McDonald), Megan (Katie Douglas), James (Jacob Batalon), Vic (Ian Alexander), George (Sean Jones), Xavier (Colin Ford), Michael (Jake Sim), Kelsea (Jake Sim), Hannah (Arena Evans), Alexander (Owen Teague) und Katie (Hannah Alissa Richardson).

Wie sich bei so einer Vielfalt entscheiden? Es sind alles natürliche, attraktive, junge Menschen, liebeshungrig dazu. Wobei noch eine Interferenz zu den Eltern und ihrer Haltung zur Liebe, zu der definitiv geheirateten Liebe hineinspielt.

Wie, wenn es der Falsche ist? Wie sehen wir aus, wenn wir ein ganzes Leben zusammen sind? Sind wir nachher noch die gleichen?

Von der Thematik her erinnert der Film an Die Nacht der Nächte. In diesem Dokumentarfilm werden lauter Paare aus aller Welt porträtiert, die Liebe auf den ersten Blick waren und Jahrzehnte gehalten haben. Definitive Entscheidungen. Unumkehrbar ist die Liebesentscheidung in Stephane Brizés Ein Leben.

Die Jugend in unserer Auswahl-Konsumwelt tut sich schwer mit solch gravierendem Ja-Sagen, das indiziert der Film. Oder ist die Liebe nur eine Vorstellung, ein Traum, ein Ideal, das sich in x verschiedenen Materialisierungen in Form von Mitmenschen artikulieren kann? Gibt es die eine definitive Liebe? Was ist Liebe überhaupt, ihr Wesen, ein Hirngespinst, eine Verwirrung der Gefühle oder ein Identitätsproblem?

Um diese und ähnliche Fragen kreist der Film in anregender Weise. Als Entscheidungshilfsmittel und dramaturgischen Ankerpunkt hat er den Zeitpunkt um Mitternacht festgelegt. Die Situationen sind Alltag aus Familie, Schule und Chillen. Dem Weltall ist das offenbar wirklich egal. Und ein virulenter Begriff: die Freiheit der City.

Meine Tochter – Figlia Mia

Die alte Identitätsfrage, wer bin ich, Tochter oder Sohn von… Genealogie oder Zuneigung. Echte Eltern oder Nicht-Blutsverwandte als Eltern.

Laura Bispuri, die mit Francesca Manieri auch das Drehbuch geschrieben hat, reduziert das auf die Frage: leibliche Mutter oder die Hebamme als Mutter? Denn die leibliche Mutter Angelica (Alba Rohrwacher) ist eine Nutte und lebt verwahrlost mit Pferden zusammen, während Tina (Valeria Golino) immerhin einen Mann im Hause hat. Sie war dabei, wie Angelica Vittoria (Sara Casu) zur Welt brachte, half dabei und hat das Mädchen, das zur Zeit des Filmes, da ist es zehn Jahre alt, ganz rothaarig ist, an Mutters statt angenommen.

Auf Sardinien, wo der Film spielt, ist Vittoria schon als Rothaarige eine Außenseiterin. Die Schulkameradinnen beschäftigt gerade das Thema des Küssens, theoretisch erst mal, wie weit und ob überhaupt man den Mund dazu aufmachen müsse.

Vittoria läuft bei einem Rodeo-Rummel versehentlich an eine Outdoor-Fickszene von Angelica heran, noch nicht wissend, dass das ihre Mutter ist. Ein gegensätzlicher Typ zu Tina.

Wobei Bispuri sich das Spiel mit den Namen erlaubt, denn Angelica, die Engelhafte, ist just ein sehr leiblicher Engel für zahlkräftige Männer, während Tina sich doch slanghaft deutlich liederlicher anhört, Tina dies aber nicht ist, sondern mit heiligem Ernst versucht, die Mutterrolle glaubwürdig rüberzubringen. Und das arme Geschöpf zwischen diesen beiden Frauen, das Opfer, das nennt die Regisseurin Vittoria, die Sieghafte. Nomen ist nicht immer gleich Omen.

Die kleine Viktoria noch unbelastet von äußeren, pubertären Körperveränderungen (es gab nach der Pressevorführung unter Kollegen sogar die Frage, ob das jetzt ein Bub oder ein Mädchen sei, wie das Kind am Ende das T-Shirt auszieht) kommt hinter das Geheimnis ihrer wahren Mutter.

Sie muss sich auf Geheiß der leiblichen Mutter durch ein ganz kleines Loch bei der Nekropole von Sardinien, einem Höhlengrabhügel, zwängen, um eine angeblich wertvolle Madonnenfigur zu bergen, damit die echte Mutter ihre desaströse finanzielle Lage bereinigen kann. Sie schuldet, das ist so ein kleiner Ansatz zu einer Story, 28′ 333 Euro und 17 Cent, die sie nie aufbringen kann.

Bispuri hat sich für diese moderne Art von Cinéma Vérite mit Handkamera und ohne Beleuchtungs-, Ausstattungs- oder Schnittfirlefanz entschieden, das immer nah an seinen Protagonisten ist, in Atemnähe womöglich, das so tut, als dokumentiere es reales Geschehen und nicht Inzenierung.

Eine Kamera, die nach dem Motto: folge der Handlung, agiert. Wobei dieses Geschehen vor allem aus weiblicher Intensität, Schauspiel- und Gefühlskunst besteht. Die kommt umso prägnanter zur Geltung, als zu einem beachtlichen Teil sardisches Steppen- und Wüstenland die Kulisse bildet (Ansätze zu einem epischem Realismus, vielleicht mit dem Existenzialismus verwandt), auch das Meer und zu einem kleineren Teil bescheidene Innenräume. In der Wüste rattern ab und an Motorradfahrer massiv staubaufwirbelnd über sandige Pisten. Wie die Männer überhaupt mehr den Dekor-Part übernehmen.

Tanz ins Leben – Finding Your Feet

Kino als Spa.

Beim Spa weiß man, was auf einen zukommt und man genießt es trotzdem oder gerade erst recht, weil es so erfrischend ist.

So kann es auch mit gutem Kino sein. Man weiß, was auf einen zukommt, und freut sich erst recht. Weil die Komödie von Meg Leonard und Nick Moorcroft in der Regie von Richard Loncraine gut gemacht ist und super gespielt wird von allesamt gestandenen britischen Schauspielern.

Der Klassenunterschied spielt mit. Sandra (Imelda Staunton), die kleinere Schwester von Bif (Cella Imrie), hat durch die Heirat mit Mike (Jon Sessions) den Aufstieg in die Upper Class geschafft und sich damit auch den Titel einer „Lady“ erworben. Sie wohnt in einem Landhaus, in dem keine Musik gespielt wird.

Lang hält sich der Film bei der Schilderung dieses öden Lebens nicht auf, in welchem Sandra sich – das wird ihr erst später bewusst – „socially trapped“ fühlt. Er fängt mit der Party zum 35. Hochzeitsjubiläum von Sandra und Mike an.

Instinktdusselig platzt Sandra bald schon in eine dunkle Kammer, in der ihr „treuer“ Ehemann mit Pamela (Josie Lawrence) rumknutscht. Sie kommt dahinter, dass er sie schon seit Jahren betrügt.

Sie packt ihre Sachen. In der Not erinnert sie sich an ihre Schwester. Die ist nicht Upper Classe und wohnt in einem Backsteinmehrfamilienhaus. Später wird sie sagen können, dass sie zwar ihren Mann verloren, dafür aber eine Schwester gefunden hat.

Die Schwester heißt eigentlich Elisabeth, aber Sandra hat sie immer nur Bif genannt. Die gute Schwester, die allein lebt und in einer Tanzgruppe mitmacht, verkuppelt Sandra mit einem Freund von ihr, mit Charlie (Timothy Spall). Der lebt, weil es billiger sei, auf seinem Wohnboot „Fiona“. Dessen Frau leidet seit 5 Jahren an Demenz und ist in einem Heim untergebracht. Sie dämmert in die Tage hinein. Charlie verabschiedet sich von ihr.

Die Romanze, die sich jetzt entwickelt inklusive einer Reise der Tanzgruppe nach Rom mit einem entzückenden Bühnenauftritt und einigen Einsichten in das Leben ihrer Schwester Bif, schildert der Film mit Humor, in dieser britischen Art, die nie forciert daher kommt. Reichlich Alkohol fließt, es gibt eine amüsante Pokalvernichtungsszene, ein abzuschleppender Van wird mir-nichts-dir-nichts befreit, Mike kommt sogar zurück, nachdem die fesche Pamela ihm den Laufpass gegeben hat.

Aber wie der Titel des Filmes sagt, geht es darum, dass ein Mensch seine eigenen Füße, seine eigene Lebensweise findet. Das schildert er mit Tempo, enormem schauspielerischem Können und einem großartigen Schlussbild, das den Titel symbolisiert. Wer gründeln will, kann vielleicht eine tiefsinnige (positive) Energie an Interpretation zum Brexit herauslesen.

Feinde – Hostiles

Your are a fine man, Joe Blocker.

Ist er natürlich nicht. Er war ein schlimmer Indianerkiller. Der Film von Scott Cooper nach dem Manuskript von Donald E. Stewart (Black Mass, Auge um Auge, Crazy Heart) spielt anno 1892 im Wilden Westen.

Joe Blocker (Christian Bale) hat eine Biographie hinter sich, die man besser nicht genau studiert. Rothäute waren für die Amis damals wie Schlachtvieh. Jetzt steht Joe kurz vor der Pensionierung. Sein Chef gibt ihm einen letzten Auftrag. Er soll den Häuptling „Gelber Falke“ (Wes Studi) von Fort Beringer in New Mexiko in sein Heimatland in Montana sicher zurückbringen, denn „Gelber Falke“ ist nach langem Gefängnisaufenthalt krank und alt geworden und möchte in seiner Heimat sterben.

Blocker will sich erst weigern, denn sein Verhältnis zu dem Indianer ist in etwa das eines Todfeindes. Aber Blockers Vorgesetzter droht mit dem Entzug der bevorstehenden Pension, außerdem gibt er ihm einen persönlichen Schrieb des amerikanischen Präsidenten mit.

Es steht somit ein Roadmovie mit Pferden zu erwarten. Aber Cooper konterkariert die romantischen Ansichten vom Wilden Westen. Er zeichnet seine Figuren nicht als Helden. Sie wirken so, als seien sie in vergessenen Außenbezirken eines ausfransenden Kapitalismus vernachlässigte Randfiguren, armselig, nie wirken sie so, dass man mit ihnen tauschen möchte.

Das ist vielleicht dem Umstand zu verdanken, dass sie sich mit Alltäglichkeiten ausgiebig beschäftigen. Sie kommen an einem niedergebrannten Siedlerhof vorbei. Sie lassen sich Zeit, die Leichen zu begraben. Die überlebende Mutter nehmen sie mit. Das nimmt den Figuren diese oft in Wildwestfilmen gesehene Forschheit und Überlegenheit, auch der Natur gegenüber.

Es kommt zu einem Feuergefecht mit Indianern. Auch der kleine Pferdetrupp verliert einen Mann. Das lässt zeitweilig an aktuelle Kriegsgebiete denken, momentweise fiel mir der Film Taste of Cement ein. Die hier porträtierten Menschen leben ihr Leben mit ähnlicher Einstellung. Das setzt den Western in ein faszinierend neues Licht.

Es gibt eine ausdauernde Regenszene, sie sind der Natur ausgesetzt, nur durch ein paar Zeltblachen schützen sie sich. Es gibt ganz ruhige Gespräche. Einer ist religiös, singt verhalten ein Kirchenlied. Der ist schwarz und darf als erster sterben.

Blockers Lektüre ist Julius Cäsar.

Allerdings macht der Film diese zunächst überzeugende Haltung durch Inkonsequenz kaputt, indem am Schluss der schlimme Blocker doch recht zivil auf den Zug nach Chicago wartet, als ob er keinem Wesen ein Leid antun könne und schleicht sich von hinten in den Zug, in dem Rosalie Quaid (Rosamund Pike), die er in seinem Reisetrupp aufgenommen hat, sitzt.

Auch dass es zwischen den beiden zu einer Liebesannäherung kommt, das könnte angehen, wenn sie in der Prosaik, die der Film anfangs vorgibt, vonstatten gegangen wäre. So wirkt es, als ob der Film Rosalie recht gäbe, die zum Abschied zu Blocker meint, er sein ein feiner Herr. Dass der Film das so stehen lässt, das berührt merkwürdig befremdlich oder ist es Bales schauspielerische Eitelkeit, dass er auf so einer Reise eine Wandlung durchmachen soll; das ist pathetisch. Dass ein Killer wie Joe auf dem Trip sich seelisch reinigt, ein guter Mensch wird, das widerspricht jeglicher menschlicher Erfahrung; versetzt dem Film den K.o.-Schlag.

Augenblicke: Gesichter einer Reise

Mit JR gegen Godard.

Knackpunkt in diesem Film von Agnès Varda sind zwei handschriftliche Zeilen in schwarzer Farbe auf der Scheibe eines kleinen Glasvorbaues zur Haustür eines schmucken kleinen Häuschens mit blauen Läden in Rolle am Genfersee.

Es sei das neue Haus von Godard, dem berühmten Filmregisseur der Nouvelle Vague. Die Inschrift sei, so sagt es Agnès Varda, ein Satz, den Godard ihr nach dem Tod von Jacques (Fachleute können ergänzen: Demy, mit dem Varda bis zu dessen Tod verheiratet war) geschrieben und sie zutiefst verletzt habe.

Varda spielt Betroffenheit vor dem schmucken Häuschen, neigt den Kopf seitlich an der Kamera vorbei, zeigt Schmerz über das Eigenzitat von Godard.

Dass Godard in so ein spießiges Häuschen zieht, lässt auf einen späte Entwicklung in Richtung Biederkeit schließen. Merkwürdig ist auch, dass Frau Varda mit genau derselben Farbe und wie identischem Schriftzug und Linienführung eine Antwort unter die vorgeblichen Godar-Zeilen auf die Scheibe postet, als seien Schriften und Schreiber identisch – also extreme Seelenverwandtschaft oder Beschiss.

Auf jeden Fall steht Godard als kleinkariertes, nachtragendes, rachsüchtiges Arschloch da. Offenbar will Frau Varda das auch ihren Zuschauern mitteilen, indem sie die Szene im Film drin lässt, das lässt sie wiederum als nicht gerade taktvoll erscheinen, um höflich zu bleiben.

Sollte die Szene jedoch Fake sein, worauf einiges wie erwähnt hindeutet, dann steht sie genauso wenig taktvoll da. Nach Jahrzehnten eine Filmberühmtheit so öffentlich zu blamieren, gar zu denunzieren, lässt Frau Varda als extrem fixiert und rachsüchtig erscheinen.

Für ihren guten Rufen sind beide Aktionen nicht dienlich und für den Unterhaltungswert des Filmes ebensowenig.

Klar ist, Frau Varda kommt in vorgerücktem Alter von Herrn Godard, der die Filmgeschichte verändert habe (ohne auf dessen Spuren und Einflüsse im heutigen Kino hinzuweisen, wo bitte sind diese?) nicht loszukommen; er scheint sie förmlich vor sich herzutreiben und sie von ihrem eigentlichen Ziel dieses Filmes (oder dem billig vorgeschobenen?) abzulenken und sie daran zu hindern, den Film zu einem anständigen und glücklichen Ende zu bringen.

Dass ihr eitler Co-Protagonist, der Fotokünstler JR, endlich seine Sonnenbrille abnimmt, was aber nur aus der verschwommenen Subjektiven der schwachen Augen von Frau Varda gezeigt wird, ist weder ergiebig noch zu inspirierenden Interpretationen verführend.

Bis dahin hatte der Film durchaus zu vereinnahmen gewusst als kulturjournalistisches Roadmovie mit Fotoperformances, Gernstl auf Französisch und auf fortgeschrittenem Niveau quasi.

Frau Varda mit ihrem rötlich-weißen Clownshaarschopf reist mit JR mit Hut und Sonnenbrille in dessen Fotosprinter kreuz und quer (vorgeblich zufällig) durch Frankreich auf der Suche nach Locations und Menschen, die etwas über das Arbeiten im Lande erzählen würden, gediegenes Kunsthandwerk alleweil.

Sie fotografieren diese Menschen, stellen großformatige Abzüge her, die sie aus einem Schlitz in der Wand des Fotosprinters ziehen und kleben diese zusammengesetzt auf Haus- und andere Wände.

Wie Erstaunen ablaufen kann, das wird sichtbar bei der Frau in der fast verlassenen Ziegelstein-Bergbausiedlung. Wie sie vor ihr Haus tritt und zum ersten Mal sich selbst hauswandgroß sieht, das setzt eine ganze Eruption an geistigen und emotionalen Vorgängen in Gang, wie sie kaum je ein Schauspieler darzustellen in der Lage sein dürfte (oder ein Regisseur zu inszenieren).

Aber je länger die Reise dauert, desto mehr gewinnt die Erinnerung an Godard die Überhand und verdirbt den Spaß.

Back for Good

Ausgetüftelt.

Viele gute Noten gibt’s zu verteilen in diesem Film von Regisseurin Mia Spengler, die auch als Co-Schreiberin von Drehbuchautorin Stefanie Schmitz fungiert.

Ausgetüftelte Ausstattung, ausgetüfteltes Bühnenbild, ausgetüftelte Maske, ausgetüftelte Kostüme, ausgetüftelte Kamera, ausgetüfteltes Licht, ausgetüftelte Einstellungen, Schnitt, Dialogtexte, Schauspielerführung. Ausgetüftelt heißt hier: die haben alle in ihren Gewerken sich mit irrem Einsatz reingehängt in die Produktion, haben erwogen und verworfen, haben hin und her gedreht, haben es sich nicht leicht gemacht. Und trotzdem haben wir eine Filmleiche vor uns, eine perfekt aufbereitete Filmmumie.

Unverständlich, was Stefanie Groß, die öffentlich-rechtliche Fernsehredakteurin geritten haben mag, den Film mit Zwangsgebührengeldern zu fördern. Denn er zeigt nur dumme Menschen, Menschen mit bescheuerten Handlungen.

Die Hauptfigur ist Angie (Kim Riedle), eine grobkörnige Frau. Sie hat einen Drogenentzug hinter sich und ihr Ziel ist es, ins Dschungelcamp zu kommen. Damit ist der geistige Horizont für Figur und Filmprodukt bereits abgesteckt. Vertiefung nicht vorgesehen.

Einen Moment der Wahrheit gibt es theoretisch. Das ist, wenn Andreas seine Soloperformance gibt und sie unbeachtet daneben steht. Da könnte sie, wenn sie es denn könnte, in ihre Seele und in ihre Tiefen blicken lassen. Zu sehen ist aber nur Leere, eventuell Angepisstheit.

Was Autorin und Regisseurin an kaputten Menschen so reizt, können sie uns allerdings nicht vermitteln. Es gibt eine Familienkonstellation. Angie kommt vorerst bei ihrer Mutter (Juliane Köhler; inzwischen spezialisiert darauf, die kaputte deutsche Hausfrau zu mimen) unter. Von ihr heißt es, sie habe früher ein wildes Leben geführt. Davon ist Kaputtheit und Leere geblieben. Sie hat noch ein zweites Kind, Kiki (Leonie Wesselow). Ihr hervorragendes Merkmal ist, dass sie Epileptikerin ist und stets einen Schutzhelm tragen muss. Sie geht noch zur Schule.

Der geistige Horizont dieser Figuren beschränkt sich auf Dschungelcamp, Promizoo, soziale Netzwerke, Internetselfie-Filmchen und Promitum. Es gibt pausenlos sich abwechselnde Szenen zwischen zuhause, auf der Straße, in Autos, im Bad, im Schlafzimmer, beim Waxy, in der Disco, vor der Schule, bei Tanzproben in einem Cowboy-Club oder beim Burger-Drive-In. Motto: Entwerfen Sie Alltagsszenen mit kaputten Frauen.

Ach, und dann ist noch die Erfindung, wie originell, mit der Tupperware, die auch keine weitere Bedeutung hat.

Wenn die Menschen so sind, wie hier gezeichnet, dann können wir getrost auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit seinem demokratischen Grundauftrag verzichten.

Eine identifizierbare Location gibt es: das Schiller Nationalmuseum in Marbach, und, Beispiel für die condition humaine dégénerée: wenn man auf jemanden sauer ist, schiebt man ihm ein belegtes Brot in die Arschritze unter die Hosen. Die Aura der Epileptikerin. Die schicke Tasche, die ein Langzeit-EKG verbirgt.

Kennst Du viele Promis?“
„Ich kann auf der Luftmatratze nicht schlafen“
„Pro oder Promi?“
„Ich lass nicht zu, dass du sie so kaputt machst, wie du mich kaputt gemacht hast.“
„Du brauchst dringend ein Backup

Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers!

Zwei im falschen Film

Der Hans fickt seine Praktikantin auf der Toilette.

Hans (Marc Hosemann) und Heinz (Laura Tonke). Szenen einer Heterobeziehung. Hans betreibt einen Copyshop. Heinz ist Synchronsprecherin, war wohl mal Schauspielerin, spricht Ampelmännchen-Texte.

Die Beziehung ist lustlos festgefahren. Keine Kinder; irgendwie hats immer grad nicht gepasst. Übliches Thema. Ein Wochenende auf dem Land reanimiert die Liebe kurzfristig. Auf einer Kostümparty fickt Hans die Praktikantin und Heinz trifft Max wieder, eine frühere Liebe.

In diese Doppel-Seitensprungegeschichte auf der Party platzt die Todesnachricht des Vaters von Hans rein. Noch in den lächerlichen Kostümen eilen Hans und Heinz in dessen Elternhaus zur dementen Mutter und dem Bruder, der mit einem Mann liiert ist (Familienverhältnisse, für die jeder Trottel von Fernsehredakteur offenbar blind Zwangsgebührengelder fließen lässt).

Der Tod des Vaters gibt Anlass für weitere Szenen zum Thema Beerdigung und Bestattungswesen. Der Bestatter ist ein Freund von früher. Also kommt es auch noch zur Einladung von Hans und Heinz bei der schick eingerichteten Bestatterfamilie, Vorbildfamilie mit zwei Kindern und eigenem Neubauhaus.

Irgendwie ist der Film von Laura Lackmann an dieser Stelle schon ziemlich lang geworden und muss zu einem versöhnlichen Schluss kommen. So schickt die Filmemacherin Hans und Heinz mit der Absicht eines Ansatzes von Glück oder Glückserinnerung ans Meer, wir sind ja im Film.

Außerdem wird die fördernden Gremien und Fernsehanstalten von dem Drehbuch überzeugt haben, dass der Film im Kino anfängt und er einige Statements zum Kino absondert, nicht dass diese inspirierend oder reflektierenswert wären, sie wirken eher beliebig, signalisierend, dass jemand über Kino nachdenken möchte, wobei der Film selbst noch auf viel Nachholbedarf hinweist.

Vor allem hinsichtlich der beiden Hauptfiguren, dass die nicht auf ihre Charaktere hin untersucht worden sind und das daraus resultierende, spannungserzeugende, konfliktfördernde und -treibende Potential, weshalb der Angelegenheit die Spannnung fehlt, was für die Kinokasse Gift ist.

Deshalb wirken die Szenen als Ad-hoc-Szenen, so jetzt spielt mal ein Ehepaar, was nichts anfangen kann miteinander, jetzt spielt mal eine Ehepaar mit Geschlechtsverkehr, bei welchem der Mann auf den Bauch der Frau abspritzt oder spielt mal Eure erste Begegnung oder sie soll ihm die Zähne putzen. Sie wirken alle so erfunden, diese Menschen.

Die Schauspielerbemühung steht im Vordergrund und wirkt wie aus einer Regieübung an einer Filmhochschule. Diese Szenen sind zu einem Film zusammengefügt worden, der so geignet ist für das Museum der Pathologie des deutschen subventionierten Kinos des frühen 3. Jahrtausends, bittschön in Formalin einlegen und der Sammlung „missgeburtiges Subventionskino“ oder „deutsches, subventioniertes Abtörnkino“ hinzufügen.