In den Gängen

Oh du glückliche, sozialistische Arbeitswelt. Wie ist man da nett zueinander.

Die Regalauffüller in dem Megasupermarkt irgendwo in der Gegend von Autokennzeichen DZ = Delitzsch – von der Stadt ist praktisch nichts zu sehen – werden am Arbeitsschluss noch per Handschlag vom Chef verabschiedet.

Hier im Westen gibt’s stattdessen Personal- und Taschenkontrollen. Die Umkleideräume hier im Film haben immerhin sowas wie Sitz- und Ablagegelegenheiten in der Mitte und die Menschen unterhalten sich einander zugewandt. Im Kaufhof am Marienplatz in München gibt’s nur enge, kalte Spindreihen und eisige Atmosphäre, kein Platz, um auch nur etwas abzustellen, ein Unort, von dem jeder so schnell wie möglich und wortlos Reißaus nimmt.

In Delitzsch ist die Regalauffüllerabteilung sogar ein Ort der Resozialisierung.

Der Film von Thomas Stuber, der mit Clemens Meyer auch das Drehbuch nach dessen Texten geschrieben hat, beschreibt die Probezeit von Christian (Franz Rogowski) nach seiner Entlassung aus dem Knast. Er soll Getränke auffüllen und den Gabelstapler fahren. Dazu muss er einen Kurs nehmen.

Stuber hat schon mit Herbert eine intensive Studie einer Ossifigur hingelegt. Auch jetzt bleibt er konsequent mit seinem Interesse bei Franz, der dicke Tätowierungen hat an Rücken und Arm und – das ist sozusagen ein Running Gag – immer beim Anziehen der Berufskleidung darauf achten muss, dass diese nicht zu sehr unter Kragen und Ärmeln hervorschauen.

Rogowski spielt eine verschüchterte Kreatur, die nur wenig spricht, aber auch keinerlei Aggression oder Widerstand aufscheinen lässt. Er ist die Demut selbst. Das Berufsumfeld ist hingebungsvoll nett zu ihm. Es gibt keinerlei Druck am Arbeitsplatz. Die Mitarbeiter sehen nicht so gestresst aus wie bei uns im Westen in den Supermärkten.

Stuber resp. der Autor Meyer hat das Milieu studiert, bringt Begriffe in die Dialoge wie den der Ameise für einen bestimmten, etwas komplizierteren Gablerstaplertypen oder es ist die Rede Staplerkonflikten, die aber empirisch kaum in Erscheinung treten.

Christian kann seelenruhig mit seinem Gabelstapler üben. Die Sprache vom Nachtverräumer, „Meine Ameise ist tabu für Dich, Neuer“. Der Film wirkt wie eine Arbeitsplatzstudie – oder Arbeitsplatzidealisierung?

Christian hat in Bruno (Peter Kurth) einen verständnisvollen Chef, der langsam ein Vertrauensverhältnis zu ihm aufbaut. Von ihm erfahren wir, dass er in der DDR noch LKW-Fahrer war und nach der Wende zum Gabelstaplerfahrer geworden ist und dass ihn das quält.

Überhaupt legt sich über die fast besinnliche Arbeitsplatzatmosphäre eine Decke von Alltagsliteratur oder von literarischem Alltag in den literarisch angehauchten Monologen von Christian. Poesie der Alltags- und Routinetristesse.

Eine zarte Beziehung zu einer Mitarbeiterin zeichnet sich ab, zu Marion (Sandra Hüller), „Süßware, klassische Aufräumer“, „Süßwarenmarion“. Man sieht, diese Besetzungen sind allesamt bekannt verlässlich und gremienkonsensfähig und es ist auch angenehm, den Schauspielern zuzuschauen, wie sie am Kaffeautomaten zugange sind, wie sie ihre „15 Minuten“ nehmen, die Zigarettenpausen, auch mal Bruno und Christian zusammen in einem Kloabteil, wie die Kollegen gepflegt vom Feierabendbier sprechen, wie Marion Christian lange als „Frischling“ bezeichnet und er einmal ihre Wohnung inspiziert und einen Blumenstrauß hinterlässt.

Der Alltag dieser Menschen wirkt wie eine hervorragend präparierte Einzigartigkeit und wie in Formalin eingelegt, so kostbar kommt er daher. Wie schön diese heile Arbeitswelt ist, zeigt auch die musikalische Unermalung, die mit einem Straußwalzer beginnt, mit dem feinbürgerlichen „Pour Élise“ fortfährt und weiter so im Sound.

Viellicht ist es ein Fortschritt für das deutsche Kino: schon mal so zu tun, als ob es sich für die arbeitsweltliche Realität und den Menschen darin interessiert – auch wenn es eine von gestern sein mag und von drüben. Romantischer, halbliterarischer Arbeiterrealismus mit verklärender Beleuchtung von Arbeitereinsamkeit.

Christian ist ethnologisch gebildet: in „Sibirien“, dem Kühlraum, zeigt er Marion, wie Eskimos sich guten Tag sagen – Kühlraumerotik.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert