Vor der Vorführung des Filmes werfe ich gerne einen Blick in das Presseheft und mach mir Gedanken, was das wohl werden wir in den nächsten anderthalb Stunden.
Zu diesem Film von Gabriel Julien-Laferrière nach dem Drehbuch von Francois Desagnat, Camille Moreau, Romain Protat und Olivier Treiner gibt es ein Presseheft von dieser aussterbenden Sorte, richtig schön gedruckt und mit vielen farbigen Abbildungen.
Die Fotos gaben Anlass zur Erwartung, dass es sich hierbei um einen dieser locker aus dem Ärmel geschüttelten französischen Komödien handelt, die ein soziales Thema mit ungebremst gebündelter Energie quicklebendig auf die Leinwand bringen, ohne jeden Anspruch auf Ewigkeitswert oder Perfektion sondern auf Verbreiten von Kinofreude durch Nonchalence. So kommt es hier auch.
Die Fotos sind immer prallvoll mit Menschen; es werden keine einzelnen Helden herausgestellt. Das Thema ist die moderne Patchworkfamilie und das Kino darf es auf die Spitze treiben.
Der kleine Bastian (Teilo Azais) bringt es auf den Punkt, wie das Liebesleben der Eltern abläuft, er hat es schon mehrfach mit seiner Mutter Sophie (Julie Gayet) erlebt: sie verliebt sich, sie heiratet, sie bekommt ein Kind und nach einem Jahr ist die Liebe dahin, die Trennung folgt und der Zyklus beginnt von Neuem. Und Bastian hat ein Geschwisterchen mehr.
Da die Väter nach der Trennung von Sophie weitermachen mit Heiraten und Kinderzeugen, entsteht eine Patchworkfamilie mit mindestens 7 Geschwistern und Halbgeschwistern und jeder Menge Väter, Mütter und Omas.
Allein durch die Aufrechterhaltung des Familienbetriebes ist für Turbulenz gesorgt. Wer bringt wen zur Schule, welches Kind ist wann bei welchem Elternteil, wann muss sich die Oma (die sich womöglich mit dem Vorspielen von Demenz davor drückt!) um welches der Kinder kümmern.
Bastien reicht es, denn es ergeben sich auch Dispute unter den Eltern, weil alle viel Wichtigeres in aller Welt zu tun haben, als sich um die Kinder zu kümmern. Er trommelt seine Geschwister und Halbgeschwister zusammen und heckt einen dramturgisch geschickten Plan aus: die Umkehrung der Erdrotation.
Die Kinder requirieren die großzügige Altbauwohnung einer Oma und ziehen dort ein. Sie machen das so geschickt, dass vorerst unentedeckt bleibt, dass sie gar nicht mehr zuhause sind, denn alle Elternteile glauben, die Kinder seien gerade beim jeweils anderen Elternteil.
Wie sie auffliegen, zitieren sie alle Elternteile in die Wohnung und handeln mit ihnen den Plan aus, dass ab jetzt diese Wohnung für die Kinder der stabile Wohnort sei. Die Kinder erstellen einen Fahrplan für die Eltern, wer sich wann um wen zu kümmern habe (das „Shuffle“-System“). Nachher gibt es allseits Manöverbesprechungen.
Etwa nach einer temporeichen Kinostunde ist es soweit. Dann gerät die Story etwas in Schleudern, fängt sich aber wieder auf mit den Themen des Elternabends und dem beabsichtigten Wohnungsverkauf (Käufervergrämungsaktion durch die Kinder inbegriffen), weil Hugo (Lucien Jean-Baptiste) sich den Traum vom eigenen Restaurant in London verwirklichen will. Damit wäre das schöne Patchworkmodell beendet.
Und noch die holpernd (nicht vom Erzählduktus, sondern vom Verhalten der Beteiligten her) in Gang kommende Liebesgeschichte zwischen Bastian und Marie (Caterina Murino), die flott auf den Höhepunkt bei einem Konzert hin gebürstet wird mit der fröhlichen Message, dass wir alle im Paradies landen werden. Ganz nebenbei bekommen Airbnb, der Organhandel und auch die Kontaktpflege zu den Kindern über Internet und Großbildschirm (der ist super für Pornos!) ihr Fett ab.