Therapie für Gangster – Suchtkranke Straftäter und die Forensik

Teure Reparaturarbeiten.

Eine kleine Anlage aus niedrigen Bauten mit hohem Zaun gesichert am Rande eines Containerbahnhofes und an einer Bahnlinie mit rauchenden Kaminschloten dahinter. Könnte ein exklusives Hochsicherheitsforschungslabor, eine geheime militärische Anlage sein.

Es ist eine sehr teure gesellschaftliche Reparaturwerkstätte. Hier werden drogensüchtige Knastis umfasssend und umsichtig therapiert.

Sobo Swobodnik, der Dokumentarist (6 Jahr 7 Monat und 156 Tage – Die Morde der NSU und Der Konzertdealer) kommt ohne Federlesens zur Sache.

Eine Totale der Anlage aus großer Höhe im Zeitraffer, eine Nahe zum Eingangsbereich und schon öffnet sich die Tür. Hier drängt sich ein Einschub auf, ein Vergleich zum Film Spielmacher, bei dem mich just die verschwurbelte Eingangsszene beschäftigt; dem steht dieses überzeugend pragmatisch- unprätentiöse Vorgehen von Swobodnik entgegen.

Er mischt sich unter die Patienten dieser exklusiven Einrichtung, die den Staat sicher sehr teuer zu stehen kommt: Wärter, Wächter, Aufsichtspersonal, Therapeuten, Lehrer, Köche, Hausreinigung, Künstler, Handwerker, Psychologen.

Die Patienten sind eine kleine Gruppe Männer bestehend aus Cihan, Necco, Slawa, Ben, Sascha, Ali, Dennis, Sebastian, Ibo, die hier portraitiert werden; die müssen ja damit einverstanden sein.

Der Dokumentarist fügt sich unauffällig in die Gruppe ein. Einmal, wie eine Diskussion bei einer Kartenspielrunde heftiger gerät, sagt auch einer zur Warnung: Kamera! Klar, das baut eine Schere im Kopf.

Trotzdem ergibt der Film einen informativen Einblick, wie aufwändig solche Therapien sind. Und nicht bei jedem schlagen sie an. Einer behauptet in jeder Gruppenbesprechung erneut, dass er weniger Angst vorm Knast hat (da bekommt er seine Drogen eh), sondern vorm Rückfall, wenn er entlassen wird; da weiß er ganz genau, dass das ganz schnell gehen wird. Er sieht sich als nicht therapierbar.

Mit atmosphärischen Schnitten aus Ausblicken und Ansichten der Einrichtung werden die Szenen abgetrennt, die aus dem umsorgten Alltag berichten, von der Vorbesprechung auf den Frauenbesuch, vom Einpacken der gehorteten Vorräte für die Rückkehr in den Knast, von Bewegungs- und Gesprächstherapien, Schulunterricht, Sport und Rap-Songs, gemeinsamen Essen.

Der Zuschauer denkt, welch enormer Aufwand hier betrieben wird – der Film verzichtet ganz auf Statements und Kommentare, bis auf direkte Äußerungen der Protagonisten –, um diese Männer von ihrer Sucht zu heilen und ihnen zu einem besseren Start in das spätere Leben draußen zu verhelfen. Denn oft fängt es in der Kindheit an, dass einer auf die schiefe Bahn gerät.

Die Erkenntnis: dass Prävention bestimmt billiger zu stehen käme und so Kriminalität und den Drogenhandel wirkungsvoller zu bekämpfen wären.

Ich bin ein Mann voller Energie und ich muss diese Energie loswerden.

Wie geht’s mir beim Gehen? Konzentrative Bewegungstherapie. Was erleben wir beim Gehen, es ist auch die psychische Bewegung gemeint, also die Stimmung. ..zu spüren, wie steh ich jetzt.

Mein Körper ist gefangen, aber meine Seele ist draußen, Telefon, das ist die einzige Freiheit.

Kann man vergleichen mit Krankenhaus, wie auf Station, die Jungs sind so drauf wie wir.
Entzugsklinik. Bin klar. Positiv überrascht über die Einrichtung.

Sherlock Gnomes

Kino aus der Retorte.

Wenn Kino als eine Droge gesehen werden kann, so wäre dieser Film als Designer-Droge zu bezeichnen, Kino entworfen am Zeichentisch; man sieht förmlich, wie die „Designer“, sprich Drehbuchautoren (das sind Ben Zazove, Andy Riley + 9) sich einen Riesenspaß draus machten, hehre klassische Shakespearemotive und Sherlock Holmes -Geschichten in den Mundo gnomale, in die Gartenzwergwelt zu transponieren.

Mit Romeo und Julia haben sie schon Erfahrungen gesammelt im Mixen von Klassik und Gartenzwergkultur Gnomeo & Juliet.

Jetzt kommt London und der Sherlock-Holmes-Watson-Komplex hinzu. Der hat einen Feind, Moriarty. Der will Holmes, der ihn scheinbar besiegt hat, diesmal in die Knie zwingen. Er erklärt den Gartenzwergen den Kampf und will sie alle, alle, die in Londoner Vorgärten stehen, klauen und anschließend zertrümmern. Und Sherlock Holmes dazu.

Eben sind Gnomeo und Julia mit ihren Herrchen und Frauchen in einen niedlichen Londoner Vorgarten gezogen und wollen sich gemütlich einrichten. Da fangen die Diebstähle an. Holmes wird darauf aufmerksam gemacht und Moriarty lockt ihn und Watson auf die (falsche) Fährte.

Da Romeo und Julia außer Haus waren beim Diebstahl, schließen sie sich dem Meisterdetektiv und seinem ewigen Assistenten an. Nach dem Prinzip einer Schnitzeljagd birgt jeder Anlaufpunkt den Hinweis für die nächste Station, immer mit dem Signet „M“ für Moriarty versehen.

Das nutzen die Movie-Designer, für deren Werk John Stevenson die Regie übernommen hat, weidlich für einen Parcours durch London und die Fälle von Sherlock Holmes mit den entsprechenden Anspielungen, aber auch die sixtinische Kapelle schafft es ins Drehbuch. So ist das Vergnügen für die kennerischen Erwachsenen schon mal garantiert.

Damit die Kleinen nicht leer ausgehen, sind genügend Verfolgungsjagden und Überlebensartistik eingebaut und die visuell prima als Bösewichte erkennbaren Wasserspeier, Flugdrachenwesen, die genauso wie die Gartenzwerge mal tote Materie sind, mal leben und fliegen und sprechen können.

So rast der Film in seinen weniger als 90 Minuten durch einen Spießervorgarten, einen Blumenladen, das Museum Moderner Kunst, das naturhistorische Museum, Chinatown inklusive Chinashow, die Kanalisation, zu Zweit als Eichhörnchen getarnt im Park, um den Baskerville-Hund nicht misstrauisch zu machen, einen gotischen Kirchturm, den Tower, die Tower Bridge; das wäre Stoff für eine ganz Serie, lässt dem Zuschauer kaum Luft zum Atmen; zum Nachdenken, Mitfühlen oder Philosophieren bleibt keine Zeit.

Das Kino als eine Droge, als ein betäubender Rausch, mit Weisheitssätzen dazwischen wie „Gefühle sind der Feind der Logik“, „Der Fall kann nicht warten, Sie können es“ „Ein Mann macht Dich nicht stark, eine Pointe macht dich stärker“. Und am Schluss gibt’s Küsse verschiedener Paarungen.

Monika Hauser – Ein Porträt

JEDER KRIEG IST IMMER AUCH EIN KRIEG GEGEN FRAUEN

Medica mondiale ist eine weltumspannende feministische Frauenrechts- und Hilfsorganisation mit Sitz in Köln.

Dieser Film von Evi Oberkofler und Edith Eisenstecken portraitiert die Gründerin dieser Nichtregierungsorganisation, Monika Hauser, in Gesprächen mit ihr, sie auf Reisen begleitend, sie bei Auftritten beobachtend, sie im Urlaub in ihrer Heimat, dem Vinschgau begleitend, wobei auch dort Termine für die Organisation dazwischen kommen.

Im Zusammenhang mit den Gesprächen wird Archivmaterial eingeblendet. Monika Hausers Vorfahren stammen aus dem Vinschgau. Die Eltern sind in den 50er Jahren in die Schweiz gezogen, nach St. Gallen, wo Tochter Monika in den 50er Jahren zur Welt kam.

Früh schon wusste sie, dass sie Ärztin und auch, dass sie Aktivistin für die Frauen werden wollte, das kristallisierte sich bald heraus. Bei Ferien im Südtirol erfuhr sie von ihrer Oma, einer Bäuerin, welche häusliche Gewalt diese erlebt hatte, welche patriarchalische Strukturen dort herrschten. Diese Eindrücke verstärkten sich bei ihrem Medizinstudium in Innsbruck.

Bei ihrer Arbeit als Klinikärztin in Köln, speziell im Berich der Frauen- und Geburtsmedizin, erfuhr sie von vielen Frauen, welcher Gewalt sie ausgesetzt sind. Sie wollte sie über die Klinik hinaus betreuen, sie sah, dass nebst medizinischer Beratung auch psychologische Betreuung von Nöten ist. So initiierte sie Netzwerke, die die Frauen an ihren Orten auch über die Geburt hinaus konsultieren können.

Nach vier Jahren fühlte sie sich ausgebrannt von dieser Arbeit, hörte von den Gräueln im Jugoslawienkrieg, davon dass Frauen systematisch missbraucht, vergewaltigt werden, dezidiert als Demütigungs- und Kriegsmittel eingesetzt.

Sie kündigt ihren Job in Köln und macht sich auf den Weg nach Bosnien, mitten im Kriegsgebiet, baut Strukturen auf, kümmert sich um diese vergewaltigten Frauen. Ein besonders belastendes Problem war, dass die Frauen durch die Berichte in den Medien ein weiteres Mal erniedrigt und gedemütigt wurden. Dagegen wollte Hauser ankämpfen.

Mitte der 90er Jahre wird aus einer kleinen Vorgängerorganisation Medica Mondiale. 2008 erhält Monika Hauser dafür den alternativen Nobelpreis. Überhaupt scheint die Organisation attraktiv für Preise zu sein, mit denen sie überhäuft wird.

Der Hauptmotor ist es, den Zyklus der Gewalt, der sich über Generationen fortpflanzt, wenn er nicht zur Sprache kommen kann, zu durchbrechen, indem die Frauen darüber reden können.

Es gab Frauen in Deutschland, die sind in den Nachkriegswirren Opfer von Vergewaltigungen geworden, die hätten erst 50, 60 Jahre später das erste Mal überhaupt darüber geredet. Es kommt hinzu das Problem von Schwangerschaften, die durch solche Vergewaltigungen initiiert werden: egal wie eine Frau darauf reagiert, sie kann nur falsch reagieren; wenn sie die Schwangerschaft abbricht, kann sie darunter leiden, wenn sie das Kind behält, fällt sie in ihrer Umgebung in Ungnade (ein Thema, das kürzlich Reseba – The Dark Wind, deutlich gemacht hat). Das sind schwere Menschenrechtsverletzungen; sie haben eine zerstörerische Wirkung auf die Identität des Menschen.

Ich habe das Privileg eines europäischen Passes, ich habe eine gute Ausbildung genießen können, ich bin stark. Ich muss diese Privilegien nutzen, um andere Frauen, die auf der Schattenseite leben, zu unterstützen.

Meister der Träume – Le Prince de Nothingwood

Vom Kino fürs Leben lernen.

Das ist ein Befund, der in dieser Dokumentation von Sonia Kronlund über den afghanischen Filmemacher Salim Shaheen mehrfach fällt. Selbst ein vermummter Taliban meint, aus seinen Filmen könne er was lernen, obwohl die Taliban Filme generell ablehnen. Sie würden sogar handeln mit seinen Filmen.

Ob Russen, Taliban oder Nato in Afghanistan wüten, einer dreht unverdrossen Filme, ob im Raketenhagel oder selbst als militärischer Kommandant, einen Film nach dem anderen: Salim Shaheen.

Zur Zeit der Dreharbeiten für diese Doku arbeitet er gleich an vier Filmen parallel. Zu den Dreharbeiten in Bamyan begleitet die Französin Kronlund ihn. Ein Sicherheitsbeamter ist ständig dabei. Bei manchen Fahrten fährt ein Polizeifahrzeug voraus. Die Dokumentaristin versichert sich hin und wieder, ob die Lage sicher sei, sie hätte von Minen gehört. Salim Shaheen antwortet, und wenn, dann würden sie für die Kunst, fürs Kino sterben.

Wie er als Junge sich einmal ins Kino geschlichen hat, das wars um ihn geschehen, da war er angesteckt davon. Auch diese Szene schildert er in einem Film. In einem anderen Film schildert er, wie er im Krieg einen Angriff überlebt hat, indem er sich zu den getöteten Mitsoldaten legte. Das habe er aus einem Film gelernt.

Er arbeitet mit kleinem Team, mal schreit er, mal lacht er, braucht trotzdem seine Drehgenehmigungen, hat seinen Hauptstar Qurban dabei und weiß, dass er mit Laien besonders umgehen muss, wenn die vom Kino keine Ahnung haben, dass sie sich nicht ständig unterhalten sollen.

Sonia Kronlund ist seit dreißig Jahren Kriegsberichterstatterin in Afghanistan, bewegt sich souverän, Zigarette rauchend und mit Kopftuch, sicher in der afghanischen Männergesellschaft, kann sich unterhalten und wird von Salim Shaheen einfach als Mann behandelt, denn oft, in Privathäusern, sind die Frauen nicht dabei, auch selten bei Dreharbeiten in großartiger afghanischer Kinolandschaft, wenn Reiterkämpfe gefilmt werden. Aber die Dokumentaristin muss für diesen abenteuerlichen Trip oft die einfachsten Regeln für Reisen durch Afghanistan verletzen.

Shaheen berichte von allen Facetten des afghanischen Lebens, vom Krieg, vom Brotbacken, vom Heiraten, Travestie kommt vor und immer wieder werden die Filme mit Songs wie im Bollywoodkino unterbrochen. Er nennt es aber das Nothingwood, das Bollywood oder Hollywood ohne Geld. Wobei es für ihn offenbar immerhin reicht, ein Haus mit drei Etagen zu bewohnen. In den ersten zwei Stockwerken wohnen seine beiden Frauen, die eine, die er gezwungen geheiratet hat und die älter war und in ihm Selbstmordgedanken geweckt hat; im zweiten Stock wohnt seine Wunschfrau. Von beiden hat er zusammen acht Söhne und sechs Töchter. Und im dritten Stock wohne er, die dritte Frau. Zum Interview mit der Dokumentaristin erscheinen nur die Söhne.

Warum er mit allen Ethnien und Stämmen in Afghanistan zurechtkomme? Er sei sehr diplomatisch, überall habe er eine Mutter.

Seit ich seinen Film gesehen habe, fühle ich mich jünger.

Du fragst, ob meine Frau im Film tanzt. Dabei ist es, als würden wir jede Nacht einen Film drehen.

Herrliche Zeiten

Ein Butlerfilm
Literarische Dekadenz-Kompetenz gepaart mit Niedrigenergiekino.

Mit dem Thema liegt Jan Berger (Drehbuch) nach dem Roman von Thor Kunkel goldrichtig, er beweist Dekadenz-Kompetenz: das Spiel auf dem sich immer ärger abzeichnenden Riss in unserer Gesellschaft zwischen Arm und Reich.

Mit der Inszenierung allerdings beweist Oskar Roehler Niedrigenergiekino, es sind zu viele schwarze, tote Flächen auf der Leinwand, das aufregendste ist eine dampfende Espressomaschine; so lahmt das Teil an allem, an Inszenierung, Kadrage, Szenenauflösung, Montage und Schnitt und dazu einem wilden Verhau von Musikstücken, mal Kunst, mal Klassik.

Der Stoff ist brisant, ist heutig. Die Müller-Todts, Katja Riemann als Eva und Oliver Masucci als Klaus, sind ein kinderloses Erfolgsehepaar, das in einer angenehmen Villa wohnt. Er ist Schönheitschirurg, zapft Fett aus voluminösen Leibern, sie ist im Baubusiness.

Eines Tages steht ein einfacher Herr, der an Peter Lorre aus Fritz Langs „M – eine Stadt sucht einen Mörder“ erinnert, vor dem Tor und dann vor der Tür.

So viel wird kinematographisch immerhin klar gemacht, dass es mit diesem Mann (es ist Samuel Finzi) ein Geheimnis, etwas Unheimliches auf sich hat. Er bietet sich an, allein gegen Kost und Logis, den Diener, ja, den Butler für die beiden zu spielen. Seine Unterlagen und Zeugnisse sind frappant und exzellent.

Nach Zögern lässt sich das Ehepaar darauf ein. Es genießt fortan einen herrschaftlichen Service, wie er wohl nur im teuersten Luxushotel geboten wird. Bei der Annonce des Menüs durch den Butler beispielsweise, wie er hinter der Tafel zwischen den beiden Herrschaften steht, wird leider dieses Niedrigenergiekino besonders deutlich. Es steht ein Mann in einem Stillstandbild und sagt seinen Text. So wirkt oft die Inszenierung von Röhler, als wären die Schauspieler bei einer Leseprobe.

Arbeit im Niedrigenergiesektor, sicher aber nicht im Niedriglohnsektor und auch nicht im Niedrig-Filmfördersektor. Bald schon holt Finzi seine Frau Lana (Like Fern) nach, auch sie eine perfekte Bedienung, die zudem Massagen und Schlammbäder anbietet.

In der Nachbarschaft macht Mohammad (Yasin El Harrouk), das ‚H“ bitte wie ein etwas dickerer Teppich gesprochen, mit Party auf sich aufmerksam und den vielen Bodyguards, die ihn umgeben. Zur dekadenten Party im Sinne der alten Römer sind die Müller-Todts auch eingeladen.

Im eigenen Garten bietet der Butler an, einen Swimmingpool, ein langjähriger Traum von Eva, buddeln zu lassen. Bald schon steht eine Truppe unförmiger Bulgaren vor der Tür und quartiert sich im Garten ein.

Bei der Römer-Party freunden sich der Schönheitschirurg und der Araber an. Beim Chirurgen laufen die Geschäfte nicht mehr so flott. Und so weiter und so fort.

Die Geschichte bewegt sich in Richtung Kriminalfall, wie lange schon zu erwarten und hinterlässt, auch wenn es kinematographisch nicht so al dente ist, wegen einsatzfreudiger Schauspieler und dem Plot immerhin ein krudes Bild unserer auseinanderdriftenden Gesellschaft, wirft ein scharfes Schlaglicht mit hartem Schlagschatten darauf.

Thematisch brisant, cineastisch mühsam und statisch (Widerspruch zum Begriff „move“ aus „Movies“). Schöne Ausformulierungen der Herrschaftsansprüche der herrschenden Klasse. Ein zerrissener Film zur neuen Klassengesellschaft.

Eleanor & Colette – 55 Steps

Thema Psychiatrie, Medikamentenzwang und die Freiheit des Patienten, selbst über die Stärke der Dosierung zu entscheiden.

Hintergrund ist der, dass manche Patienten mit der Zeit besser wissen, was für sie gut ist und wo die Negativwirkungen einer Medikation größer sind. Denn Psychiatriepatienten müssen nicht unbedingt dumm sein, im Gegenteil.

Der Film von Bille August (Silent Heart – Mein Leben gehört mir, Nachtzug nach Lissabon) nach dem Drehbuch von Mark Bruce Rosin schildert nach einer wahren Begebenheit den Kampf von Eleanor Riese (Helena Bonham Carter) für dieses Patientenrecht.

Er spielt in San Francisco Mitte der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts. Eleanor wendet sich an die Anwältin Colette Hughes (Hilary Swank). Eleanor hat schlechte Erfahrungen mit Zwangsmedikation gemacht, Nierenschäden und mehr; sie leidet an Schizophrenie, ist aber ein hellwacher Mensch.

Colette lässt sich auf diesen Kampf gegen Krankenhausbürokratie, Pharmaindustrie und gegen ein Heer von mit allen Wassern gewaschenen Anwälten und Gerichten ein. Es wird eine Geduldsprobe nicht nur wegen mächtiger, schier unbezwingbarer Gegner, auch Eleanor kann nervenstrapazierend sein, wenn sie Colette immer wieder auf den menschlichen Faktor gegen den Termindruck aufmerksam macht und wegen der kleinsten Kleinigkeit droht, das Vertrauen zu entziehen.

Colette findet in Mort Cohen (Jeffrey Tambor) einen Mitstreiter. Er ist ein Rechtsgelehrter von der Golden Gate Universität, der erst nur widerwillig sich darauf einlässt.

Bille August erzählt die Geschichte in großer Klarheit und mit einem prima Spannungsboden, wobei auch für das Fischereihobby des Rechtsgelehrten noch Zeit ist, vor allem aber für die zaghafte Entwicklung einer Freundschaft zwischen Eleanor und Colette, die ob dem Stress zwischenzeitlich an einer Gürtelrose leidet und auch den Urlaub in Mexiko mit ihrem Freund Robert (Johan Heldenbergh) sausen lässt.

August hütet sich, den Sieg vor Gericht kinematographisch als Sensation auszukosten, stattdessen zieht er sich aufs Private zurück, lässt Colette und Eleanor in bescheiden menschlicher Dimension der Triumph genießen mit dem Kauf eines Sofas von eher gemeinem Geschmack. Verhaltene Erzählweise, also nicht laut, umso mehr erstrahlen die beiden Protagonistinnen als großartig überzeugende Darstellerinnen, die einem das Thema ans Herz legen – gerade jetzt, wo die neue bayerische Regierung psychisch Kranke lieber wegsperren denn heilen möchte. Siehe auch den themenverwandten Film SPK Komplex.

Die Sanfte – Krotkaya

Russlandbashing.

Die Story in dieser internationalen Koproduktion (offiziell: Frankreich, Deutschland, Littauen, Holland) von Sergei Loznitsa ist schnell erzählt. Die Titelfigur, die Sanfte (Vasilina Makovtseva), die irgendwo im russischen Hinterland lebt, hat ein Paket für ihren Mann ins Gefängnis geschickt. Das Paket kommt zurück. Deshalb nimmt sie sich ein paar Tage frei von ihrem Job an einer einsamen Tankstelle und will selber nach Magadan fahren und das Paket ihrem Mann persönlich im Gefängnis abliefern, in welchem er einsitzt, ohne dass er sich etwas hätte zuschulden kommen lassen.

Das wird eine Reise, alptraumhaft, durch ein rückständiges, verwahrlostes, ruppiges, unkultiviertes, zurückgebliebenes Russland. Modern sind nur die Erzählungen von den Atomrakten, mit denen Russland Amerika mir nichts dir nicht auslöschen könnte und die Metalldetektorgeräte zum Sicherheitscheck im Gefängnis.

Sonst fährt die Sanfte im einem uralten Bus über Land, wenn sie von ihrem abgelegenen Gehöft, das immerhin eine elektrische Lampe hat, zur Post, zum Job oder zum Einkaufen muss.

Es wechseln Szenen von langen Fahrten, solche mit wenig Monolog mit Szenen prallen – rückständigen – Lebens mit Wortfetzen dessen, was die Leute bewegt, Mord und Totschlag und die Korruptheit von Behörden oder die Story vom Transport von einem Sarg mit Leiche im Bus.

Das wird unübersehbar gezeigt bereits beim Abholen des zurückgeschickten Paketes. Bürokratie in schlimmster Manier, die Bürokraten und Bürokratinnen sind die Herren der Welt, ob Postangestellte oder im Gefängnis.

Trotzdem wird viel gesungen im Film, gerne über Panzer und Alkohol – auch der fließt bei den sich ergebenden Gelegenheiten in guten Mengen.

Gegen dieses explizite „Leben“ setzt Loznitsa seine Protagonistin, eine Frau, über deren Innenleben kaum etwas zu erfahren ist, eine Frau mit diesem herb-schönen Ausdruck angespannter Verschlossenheit. Was immer ihr auch widerfährt, sie lässt es reglos über sich ergehen. Und wenn es ihr zu weit geht, zieht sie weiter.

Erst zum Ende hin reflektiert sie in einem langen, ausführlichen Traum, ihre Reise. Wobei der Traum verhalten Kritik an Russland übt in Farcemanier. Aber auch die Frau vom Büro für Menschenrechte darf in dieser Traum-Staatsbankett-Szene sprechen. Denn bei ihr versuchte Die Sanfte noch zum letzten Mal, einen Tipp zu bekommen, wie sie vielleicht doch noch ihren Mann im Gefängnis sehen kann, in welchem sie von einer gnadenlosen Bürokaten-Matrone ein übers andere Mal brutal abgewiesen wird. Der Bereich um das Gefängnis herum wird als „staatliches Schutzgebiet“ bezeichnet, in welchem sich merkwürdige Macht- und Geldverdienstrukturen aufgebaut haben.

Während die Menschenrechtsfrau im Chaos, das die wöchentliche Razzia im Büro hinterlassen hat, versucht Ordnung zu machen, diktiert sie einen Bericht über eine behördliche Vergewaltigung an einer Frau; im Hintergrund wuselt ein Praktikant oder junger Mitarbeiter, Typ: Idealist, in Aufräumaktivitäten herum.

Die Protagonistin, die keinen Namen hat – symbolhaft für den mangelnden Widerstand in Russland? – hängt im Traum diesem grauslich-detaillierten Vergewaltigungsbericht ausführlich nach, während sie im Wartesaal der Bahn sitzt,; wobei der Film hier kurzzeitig in eine etwas fahrigere Aufnahmetechnik ausweicht, auch mit nicht allzuviel Licht.

Sicher, es ist die Kritik an Russland, die der Westen gerne sieht, es ist dieses rückständige Bild eines unterentwickelten Landes mit durchkorrumpierten Behörden und einer Welt voller Halunken, was entworfen wird und was Länder wie Deutschland, Frankreich, Litauen für das Filmprojekt vereinnahmt haben dürfte und es fördern ließ.

7 Tage in Entebbe

Kriegspropaganda.

Der Bruder des kriegerischen, unversöhnlichen Ministerpräsidenten von Israel, Benjamin Netanjahu, Jonathan, ist eines der Opfer der Geiselbefreiung in Entebbe 1976.

Der überlebende Netanjahu bricht mit dem Siedlungsbau fortdauernd das Völkerrecht, zu schweigen von der kriegerischen Unterdrückung der Palästinenser mit immer wieder zivilen Opfern, Kinder, Frauen oder der inhumanen Behandlung des Gazastreifens.

Dass sein Bruder im Einsatz für die Geiselbefreiung ums Leben gekommen ist, soll ihm wohl, das scheint eine Absicht des Filmes zu sein, Glanz von dieser Heldentaten überstreuen, um von seinen Untaten und Verbrechen abzulenken und davon, dass er kein Interesse an einer friedlichen Koexistenz mit seinen Nachbarn und den Palästinensern hat.

Das riecht streng nach übler Propaganda, umso mehr als dieser Bruder im Film als einziger der israelischen Soldaten eine kleine Liebesgeschichte zugeschrieben bekommt. Was das Heldentum noch heldischer erscheinen lässt.

Wobei seine Freundin das Bindeglied zu einem künstlerischen Zwischenstrang ist, den Gregory Burke (Buch) und José Padilha (Regie) in ihren Film einflechten, um auch mit der Kunst über den Propaganda-Effekt hinwegzutäsuchen. Wobei das Ballett, das Terrorismus zu bebildern scheint, durchaus ansehnlich ist.

Netanjahus Bruders Freundin spielt dort ausgerechnet das Opfer, das immer vornerheraus vom Stuhl auf den Boden fällt.

Schwer vorstellbar, dass in so einen eindeutig propagandistischen Film, keine Gelder aus Geheimdienst- und Kriegspropagandatöpfen geflossen sind.

Dass es sich um Propaganda handelt, stützt auch die Pyramide der Menschengüteklassen. Die Besten, das sind die Helden, die israelischen Soldaten, die die waghalsige Befreiungsaktion erfolgreich, ein bisschen erfolgreich auf jeden Fall, durchziehen.

Sehr human ist der Co-Pilot des Flugzeuges gezeichnet, der sich für Menschlichkeit einsetzt.

Auch die beiden deutschen Terroristen (Daniel Brühl als Wilfried Böse und Rosamund Pike als Brigitte Kuhlmann) werden sentimental gezeichnet, sie bekommen Gewissensbisse, sie diskutieren Sinn und Unsinn, Ziel der Aktion, sind also nicht nur böse Menschen, der Film zielt ja auch auf den deutschen Markt.

Zuunterst auf der unidfferenziertesten Stufe als nicht weiter der Nuancierung bedürfend, das sind die Palästinenser, gegen die der Film sich auch richtet, da steht der Mörderpotentat Idi Amin noch menschlicher da, indem er Geiseln freilässt.

Schlampig erzählt ist die Vorbereitung der Befreiungsaktion, da gibt es viel Löcher, da wird nur skizziert, sodass die Aktion selbst wenig Sehgenuss bereitet, weil die Vorbereitung des Zuschauers mangelhaft ist.

Der Film präsentiert sich als ein Kammerspiel. Die Szenen spielen vor allem in geschlossenen Innenräumen, Untertauchorte in Frankfurt, Regierungs- und Armeeräume in Israel, das Innere des Flugzeuges und später die Räume im Flughafen von Entebbe.

Die hohen Schlagzeilenwellen, die die Aktion schlug, sind nur minimal als TV-Nachrichteneinspieler eingebaut.

Das Ballett, das die Heldentat erzählt, bildet den Anfangsrahmen. Womit wiederum die Erzählposition des Filmes, nämlich die israelische Sicht bereits definiert ist; die ist aber nicht konsequent durchgehalten, die kommt dann erst spät nach der Geiselnahme ins Spiel.

Sonst tut der Film erst so, als wolle er die Geschichte der deutschen Terroristen erzählen. So wird später der Zusammenschnitt von Balletthöhepunkt mit der Befreiungsaktion lediglich zur eitlen Manie, da der Geschichte die Basis fehlt, weil sie nicht von Anfang an vom Helden aus erzählt wird. Das wiederum ist vielleicht der Angst der mitfinanzierenden Geheimdienste zu verdanken, die ja nicht auffliegen möchten, aber auch nicht genügend Ahnung vom filmischen Geschichtenerzählen haben.

Geiselbefreiung gelungen, der Film darüber weniger. Zudem hängt der Terrorismus durch diese Binnenerzählung als Phantom in der Luft, als ob es keinen Grund für ihn gäbe. So kann sich nur schwerlich Dramatik einstellen und der Film wirkt stellenweise so bemüht, wie die Seminararbeit eines Studenten, der nichts falsch machen will (noch ein Hinweis, der die Vermutung der Propaganda stützt).